Erlangen 29 August
1870.
Lieber Manuel!
Eine drückende Last wurde uns heute vom Herzen genommen durch die frohe Botschaft, welche uns Mariens Brief mittheilte. Seit ich wußte, daß das 10. Armee Corps in der furchtbaren Schlacht am 16. August gestanden, trug ich die stille Angst wegen Willis mit mir herum und sie wurde aufs Höchste gesteigert durch den ersten Brief von Marie, den wir vor 3 Tagen erhielten. Gott sei gedankt, daß der brave tapfere Junge glücklich aus Todesgrauen gerettet und unversehrt geblieben ist von drei Kugeln, die ihn erreicht haben, von denen jede seinem Euch und uns so theuren Leben ein frühes Ende bereiten konnte! Er ist Euch und uns gleichwie aufs neue geschenkt worden, und Ihr wisset jetzt noch mehr als sonst, was Euch dieser liebe Sohn und Bruder werth ist. Freilich ist er auch jetzt noch allen möglichen Gefahren und Unfällen bloß gestellt, aber der einen und hoffentlich größten ist er doch glücklich entronnen. Das ist vorläufig ein großer Trost, und im übrigen stellen wir ihn | in Gottes Hand und unter Seinen allmächtigen Schutz. Jetzt steht er noch vor Metz dem verzweiflungsvollen Feind gegenüber, der sicher wie ein wüthender Bär noch einmal aus seiner Höhle hervorbrechen wird; doch wie ich zu meiner Beruhigung heute gelesen, sind nun ihn zu bewachen und zu erdrücken, nicht weniger als 7 Armee Corps ihm gegenüber stehen geblieben; an solcher Übermacht wird er zerschellen.
Unsere Baiern bei der III. Armee haben bisher viel leichteren Stand gehabt und um viel geringeren Preis schöne Lorbeeren gepflückt; und sind vielleicht über Gebühr deshalb gerühmt worden. Doch das Beste ist gewiß die einmüthige Waffenbrüderschaft und das dauernde festere Band, welches dadurch zwischen Nord und Süd geknüpft wird. Friedrich stand und steht wohl noch mit dem 2. bairischen Artillerieregiment vor Bitsch; das 14. Infanterie Regiment, welchem Ulrich angehört, in dem 2. bairischen Armee Corps wird wohl den Kronprinzen auf seinem jetzigen Vormarsch begleiten. Tüchtige Märsche haben sie und manches nasse Biewak | bis dahin aushalten müssen. Von unseren hiesigen Freiwilligen im Erlanger Jägerbataillon hörten wir heute, daß sie vor die Festung Toul commandirt seien.
Die arme Stadt Straßburg dauert mich unendlich und oft muß ich an meine lieben Freunde dort denken. Zum Theil standen sie im Herzen unentschieden zwischen Frankreich und Deutschland, zum Theil, die jüngeren für ersteres, die älteren für letzteres. Jetzt unterliegen sie alle dem gleichen erbarmungslosen Geschick, zugleich bedrängt durch ein barbarisches Regiment und eine wilde Soldatesca im Inneren und die glühenden Bomber und Granaten von außen. Die Stadt muß, wenn gewonnen, unser bleiben, mit ihr ganz Elsaß und Lothringens Festungen. Preußen muß mit seinem starken Arm den ganzen Oberrhein umfassen und seine unüberwindliche Brustwehr vor den deutschen Strom legen. Das ist jetzt wohl das allgemeine Gefühl, trotz allen Bedenken, und es scheint aus vielen Zeichen zu entnehmen, daß auch Preußens großer Staatsmann, auf dem ein immenses Vertrauen der ganzen Nation ruht, nichts Geringeres anstrebt. Wenn auch dies noch erreicht ist, dann hat Preußens Heldenkönig, haben seine großen Staatsmänner und Feldherren ein Werk ohne Gleichen in der | deutschen Geschichte vollbracht, hat Preußen seine glorreiche Bestimmung in Deutschland erfüllt. Glücklich wir, daß wir solche Zeit und so große Dinge in ihr und solche Genugthuung noch miterleben dürfen! Gepriesen seien die Tapferen, die dafür in den Tod gegangen sind! –
Der 100jährige Geburtstag unseres Vaters ist ungefeiert vorübergegangen. Doch ist seiner, wie ich sehe, von mancher Seite freundlich und anerkennend gedacht worden. Eine vor kurzem in Tübingen erschienene Schrift von Professor Karl
Köstlin: Hegel usw. für das deutsche Volk dargestellt, ist Dir wohl zu Gesicht gekommen. Sie ist gut geschrieben und erfüllt, wenn ich offen meine Meinung sagen soll, ihren Zweck weit besser als das übrigens verdienstliche Buch von Rosenkranz. Einen nicht minder ansprechenden Artikel, der zum 27. August in der Schwäbischen Chronik des Merkurs erschien, werde ich mir zu verschaffen suchen und Dir ein Exemplar davon zuschicken. So eben kommt mir ferner zu eine Broschüre von dem wohlmeinenden Salbader Professor
Thaulow in Kiel: Acten den 100jährigen Geburtstag Hegel‘s betreffend Heft 1, worin seine Briefe abgedruckt sind, die er überallhin ausgesendet hat, um an allen Orten Statuen des großen Philosophen hervorzurufen: dieser Eifer ist geradezu lächerlich. In den Berliner Zeitungen | habe ich nichts zum 27. August gefunden. Es scheint demnach, daß die philosophische
Gesellschaft geschwiegen hat; gewiß das Beste, was sie jetzt thun konnte; irgend ein Lebenszeichen hätte ich aber doch erwartet.
Wir haben seit drei Wochen beständige Regengüsse, die mit einer Art Wolkenbruch und einer nie gesehenen Überschwemmung der kleinen Schwabach begannen; und in den letzten Tagen war es so kalt, daß wir eingeheizt haben. – Herzliche Grüße an Clara und Marie. Tausend Grüße auch an Willi, wenn Du an ihn schreibst. In brüderlicher Liebe
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel)Immanuel HegelJurist/Konsistorialpräsident der Provinz Brandenburg11657072518141891 Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel) (1814–1891), Bruder Karl Hegels, studierte von 1832 bis 1834 und von 1835 bis 1836 Jura an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, von 1834 bis 1835 an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München, trat 1836 in den preußischen Staatsdienst ein und war als Verwaltungsjurist in verschiedenen Verwendungen des Königreichs Preußen, vor allem im Staatsministerium, tätig, wurde 1865 Präsident des Konsistoriums der Provinz Brandenburg, heiratete 1845 Friederike Flottwell (1822–1861) und 1865 Clara Flottwell (1825–1912), beide Töchter des oftmaligen preußischen Oberpräsidenten und Staatsmanns Eduard Heinrich Flottwell (1786–1865), war u. a. Vater des preußischen Verwaltungsbeamten und Politikers Wilhelm (Willi) Hegel (1849–1925), war 1856 Taufpate seines Neffen Georg Hegel (1856–1933).
Erlangen49.5928616,11.0056Mittelfränkische Universitätsstadt, etwa 20 Kilometer nördlich von Nürnberg gelegen, seit 1810 Stadt und Universität des Königreichs Bayern.
Privatbesitz
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Privatbesitz
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Hegel, Marie (Maria), verh. BitterMarie Hegel, verh. Bitter103810830618481925Hegel, Marie (1848–1925), Tochter Immanuel (1814–1891) und Friederike Hegels, geb. Flottwell (1822–1861), Ehefrau des Juristen, hohen preußischen Verwaltungsbeamten, Kronsyndikus und Politikers Rudolf Bitter (1846–1914), siehe auch: Bitter, Marie.
Hegel, Wilhelm (Willi)Wilhelm Hegel13593263718491925Hegel, Wilhelm (Willi) (1849–1925), in Berlin geborener Sohn Immanuel (1814–1891) und Friederike Hegels (1822–1861), Ehemann Armgard Hegels, geb. Wulffen (1862–1928), und Neffe Karl Hegels. Er war hoher preußischer Verwaltungsbeamter, u. a. von 1886 bis 1890 Landrat des Kreises Jerichow I, von 1895 bis 1905 Regierungspräsident von Gumbinnen, von 1905 bis 1908 in Allenstein, von 1908 bis 1917 Oberpräsident der Provinz Sachsen. Es war von 1887 bis 1890 Mitglied des Deutschen Reichstages und wurde im Jahre 1909 in den erblichen preußischen Adelsstand erhoben.
Tucher, Friedrich Wilhelm Sigmund Friedrich Wilhelm Sigmund Tucher116153730918461924Tucher, Friedrich Wilhelm Sigmund (1846–1924), Sohn Johann Sigmund Karl Tuchers (1794–1871) und Maria Magdalena Tuchers, geb. Grundherr (1802–1876), jüngster Bruder Susanna Maria Hegels (1826–1878), Taufpate Gottlieb Friedrich Hegels (1867–1874), 1867 Forsteleve in Aschaffenburg, Ehemann Auguste Marianna Tuchers, geb. Stramer (1857–1887), nach deren Tod ab 1888 Maria Margarethe Charlotte Tuchers, geb. Anns (1852–1917).
Friedrich III. von Hohenzollern, Prinz von Preußen11853566818311888Friedrich III. (1831–1888) von Hohenzollern, Prinz von Preußen, Kronprinz, Preußischer König und Deutscher Kaiser im Jahre 1888, Ehemann Prinzessin Victorias von Großbritannien und Irland (1840–1901).
Bismarck, Otto11851136X18151898Bismarck, Otto (1815–1898), in Schönhausen an der Elbe geborener preußischer und deutscher Politiker, der 1850 Mitglied des Erfurter Unionsparlaments war, von 1862 bis 1890 preußischer Ministerpräsident, zugleich von 1867 bis 1871 einziger Bundeskanzler des Norddeutschen Bundes und von 1871 bis 1890 erster Reichskanzler des Deutschen Reiches.
Wilhelm I., König von Preußen, Deutscher KaiserWilhelm I., König von Preußen, Deutscher Kaiser11863288417971888Wilhelm I. (1797–1888), Prinz von Preußen, König von Preußen von 1861 bis 1888, ab 1871 auch Deutscher Kaiser.
Hegel, Georg Wilhelm FriedrichGeorg Wilhelm Friedrich Hegel https://www.deutsche-biographie.de/sfz28648.html#ndbcontent11854773917701831 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1770–1831), Philosoph, Ehemann Maria Helena Susanna Hegels, geb. Tucher (1791–1855), Vater Karl und Immanuel Hegels , von 1808 bis 1816 Gymnasialrektor und Schulrat in Nürnberg, ordentlicher Universitätsprofessor für Philosophie von 1816 bis 1818 an der Universität Heidelberg und von 1818 bis 1831 an der Universität Berlin.
Köstlin, Karl ReinholdKarl Reinhold Köstlin11630166X18191894Köstlin, Karl Reinhold (1819–1894), im schwäbischen Urach geborener evangelischer Theologe und Literaturhistoriker, der von 1837 bis 1841 an der Universität Tübingen studierte und anschließend in den Kirchendienst eintrat. Im Jahre 1849 zum Dr. phil. promoviert, wurde er Privatdozent und 1853 außerordentlicher Professor an der Universität Tübingen. 1858 übernahm er den Lehrstuhl für Ästhetik und Kunstgeschichte in der Philosophischen Fakultät und wurde 1863 Ordinarius, im Jahre 1877 war er Dekan.
Rosenkranz, Johann Karl FriedrichKarl Rosenkranz11860272118051879 Rosenkranz, Johann Karl Friedrich (1805–1879), in Magdeburg geborener Philosoph und Sohn des Steuerbeamten Johann Heinrich Rosenkranz (1757–1830) und seiner Ehefrau Marie-Katharine Rosenkranz, geb. Gruson (1770–1824). Er war von 1831 bis 1833 außerordentlicher Professor an der Universität Halle, von 1833 bis 1874 ordentliche Professor an der Universität Königsberg und Verfasser der ersten Biographie Georg Wilhelm Friedrich Hegels (1770–1831).
Thaulow, Gustav Ferdinand11730018718171883Thaulow, Gustav Ferdinand (1817–1883), in Schleswig geborener Philosoph und Kunstsammler, der von 1837 bis 1842 Theologie und Philosophie an den Universitäten Kiel und Berlin studierte, 1842 promoviert wurde und sich 1843 in Kiel habilitierte. 1846 wurde er dort außerordentlicher, 1854 ordentlicher Professor für Philosophie und Pädagogik.
Hegel, Clara (Klara), geb. Flottwell
Clara Hegel, geb. Flottwell116570776?18251912Hegel, Clara (Klara), geb. Flottwell (1825–1912), Tochter Eduard Heinrich Flottwells (1786–1865) und Auguste Flottwells, geb. Lüdecke (1794–1862), jüngere Schwester Friederike Hegels, geb. Flottwell (1822–1861), der ersten Ehefrau Immanuel Hegels (1814–1891) und dessen zweite Ehefrau ab 8. September 1865.
Metz49.1196964,6.1763552Etwa 800 Kilometer südöstlich von Berlin und etwa 150 Kilometer nordwestlich von Straßburg an der Mosel gelegene Festungsstadt und Verwaltungssitz des Bezirks Lothringen im Reichsland Elsaß-Lothringen.
Bitsch49.0508729,7.4254577Etwa 130 Kilometer östlich von Metz und etwa 70 Kilometer nordwestlich von Straßburg gelegene Stadt in Lothringen südlich der Rheinpfalz.
Toul48.6762624,5.8941759Etwa 300 Kilometer östlich von Paris und etwa 160 Kilometer westlich von Straßburg an der Mosel gelegene ehemalige Freie Reichsstadt des Heiligen Römischen Reiches, deren Festung am 23. September 1870 im preußisch-französischen Krieg von 1870/71 kapitulierte.
Straßburg48.584614,7.7507127Ehemalige Reichs-, Universitäts- und Bischofsstadt am Westufer des Rheines und an der Ill zwischen Vogesen im Westen und Schwarzwald im Osten gelegen.
ElsaßLandschaft im Osten Frankreichs, von den Vogesen bis zum Flußlauf des Rheines und von der Burgundischen Pforte im Süden bis zur Stadt Weißenburg an der Lauter im Norden reichend, an die Schweiz und Deutschland grenzend.
LothringenWestlich an das Elsaß anschließendes Gebiet im Nordosten Frankreichs an den Oberläufen der Flüsse Maas, Mosel, Saar und Saône.
Preußen, Prusse Königreich Preußen (französisch: Prusse), auch Ostpreußen als östlichste Provinz des Königreichs.
OberrheinUfergebiete des Rheins von Basel bis Bingen.
Tübingen48.5236164,9.0535531Stadt am Neckar im Königreich Württemberg mit 1477 gegründeter Universität, etwa 40 Kilometer südlich von Stuttgart gelegen.
Kiel54.3227085,10.135555Im 13. Jahrhundert gegründete Hansestadt an der Ostsee, etwa 90 Kilometer nördlich von Hamburg gelegen, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts dänisch war und 1815 mit dem Herzogtum Holstein zum Deutschen Bund kam. Durch die Eisenbahnlinie zwischen Kiel und Altona wurde 1844 der Ostseehafen über die Elbe mit der Nordsee verbunden.
SchwabachKleiner Fluß in Franken, der in Erlangen, von Osten kommend, in die von Süden kommende Regnitz mündet.
Jägerbataillon„Jäger“ waren eine Kampftruppe der Infanterie, die in stark bewaldetem und bebauten Gelände zum Einsatz kam. In Erlangen war seit 1868 das Königlich Bayerische 6. Jägerbataillon stationiert, das im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 an der Schlacht bei Sedan und an der Belagerung von Paris beteiligt war und 15 Gefallene zu beklagen hatte.
BrustwehrSchutz- und Deckungsbereich bei Befestigungsanlagen.
Schwäbischer MerkurZusammen mit der Schwäbischen Chronik in Stuttgart erscheinende Tageszeitung. Im Jahre 1785 gegründet, entwickelte sie sich im 19. Jahrhundert zur führenden Tageszeitung im Königreich Württemberg und erschien – zusammen mit Beilagen – in einer 1. Abteilung mit Nachrichten von außerhalb Schwabens. Die Schwäbische Chronik als 2. Abteilung des Schwäbischen Merkurs brachte Nachrichten aus Schwaben.
Philosophische Gesellschaft zu BerlinDie Gesellschaft gab ab 1860 heraus: Der Gedanke. Philosophische Zeitschrift. Organ der Philosophischen Gesellschaft zu Berlin, Erster Band 1861. Ab 1875 erschienen in einem ersten Heft „Verhandlungen der Philosophischen Gesellschaft zu Berlin“. Im Vorwort heißt es zu dieser neuen Publikation einleitend: „In der in Berlin seit mehreren Jahrzehnten bestehenden philosophischen Gesellschaft finden allmonatlich Versammlungen statt […].“