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Karl Rosenkranz an Karl Hegel, Königsberg, 10. September 1870

Verehrter Freund,

Die ungeheure politische Bewegung1 der Gegenwart hat die Säcularfeier Hegels2 in den Hintergrund gedrängt3; aber das Interesse an seiner Philosophie wird mit der Feier nur um so triftiger sich erneuern. Ich habe auch für die philosophische Bibliothek, die Herr von Kirchmann herausgibt, eine neue Ausgabe der Encyklopädie Hegels mit einer Einleitung und Erläuterungen, zur Säcularfeier, veranstaltet.4 Die Feier aber ist dazwischen gekommen und wird die Ausgabe der Erläuterungen bis Ende October vorläufig verschoben bleiben. Auch Ihr Briefwechsel Hegels ist nicht ins Licht getreten. Vielleicht wollen Sie erst den dritten Band des Schellingschen abwarten. Werden Sie nicht der Vollständigkeit wegen, auch die schon gedruckten Briefe Hegels aufnehmen?

Weshalb ich nun eigentlich schreibe, ist, Ihnen mitzutheilen, daß von sehr verschiedenen Seiten, unter Anderen, von Professor Köstlin in Tübingen, der Wunsch an mich gelegt ist, Hegels Schrift über die Verfassung Deutschlands5, von der ich in seinem Leben ein Auszug gegeben, vollständig drucken zu lassen. Sie werden jetzt ein hohes Interessen haben. Da ich mir Augen halber6– zu solcher Arbeit nicht mehr tauge, so hab ich geantwortet, daß ich Ihnen das Verborgene mittheilen würde, wie hier auch geschieht. Überhaupt wird der Wunsch, von Hegels früheren Arbeiten die wichtigsten dem Druck übergeben zu sehen, immer lauter. Stirling in Edinburgh drang sogar einmal in mich, Hegels ursprüngliches System der Logik7 drucken zu lassen.

Waren Sie zum 27. August in Berlin? Ich kann leider so weite Reisen nicht mehr unternehmen und mich in kein festliches Getümmel wagen, da ich nach Außen zu unsicher und unselbständig bin. Ich gehe in keine Gesellschaft mehr. Am schmerzlichsten wird mir, daß ich den Besuch des Theaters meiden muß. Doch fort mit diesen Gedanken, da mir keine8 freudige Privatexistenz. Ich lebe jetzt, da ich so viel müßig gehen muß, die Zeitgeschichte in ihrer ganzen Breite mit durch. Jetzt hat sich Frankreich zum dritten Mal als Republik erklärt.9 Am 9. Mai erklärte es sich im Plebiscit noch für gut kaiserlich. Was wird nun werden? Für die Oesterreicher, die erst Bonaparte, dann jetzt der Republik ihren Degen gegen uns angeboten haben, nur um sich der grande nation als nicht französisch anzuschmeicheln, habe ich gar keine Sympathie. Ich würde den Franzosen das Vergnügen, sich im Innern umzugestalten, wie es ihnen beliebt, überlassen.

Leben Sie wohl, lieber Hegel!
In treuer Anhänglichkeit
Ihr
ergebenster
Rosenkranz.

P. S.Hörte ich doch endlich, daß Straßburg und Metz über sind. Das Schicksal dieser Städte bedrückt mich wie ein Alp und läßt mich auch oft kaum ein schlafen.