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Karl Hegel an Susanna Maria Hegel, geb. Tucher, Frankfurt, 21. September 1870

Liebes Weibchen!

Ich komme eben nach Haus, um einige Zeilen an Dich zu schreiben. Mein Haus ist Hotel Drexel, nicht Landsberg. Denn der gute Landsberg ist, wie ich von einem Reisenden schon vor Ankunft erfuhr, zum Theil abgebrannt und wird noch gebaut. Das Hotel ist mittelmäßig. Gestern Nachmittag 6 Uhr kam ich an. In Würzburg wurde ich von Wegele sehr freundlich auf dem Bahnhof empfangen. Frau Dr. Schiller war bei ihrer Tochter auf dem Lande und sollte erst Ende der Woche zurückkommen, ich sah sie also nicht. Ich ging mit Wegele auf die Mainbrücke und aß bei ihm zu Mittag. Frau Wegele wiederholte ihre herzliche Einladung für Anna. Ich sah das liebliche strahlende Kind, fand aber doch nicht, daß unser Gottliebchen von ihm so ganz in den Schatten gestellt wäre: eins kann wohl neben dem andern bestehen. Herzliche Grüße wurden mir von Frau Wegele aufgetragen.

Hier habe ich heute morgen die Bibliothek besucht und mich lange dort aufgehalten. Das Wetter war hell und schön. Heut Nachmittag ist es wieder trübe geworden. Ich ging auch auf die Pfingstweide hinaus und sah dort die Lagerstadt für die Verwundeten1: eine weite hölzern Umzäunung, welche eine große Zahl von Holzbaracken einschließt, ähnlich derjenigen in unserm Spitalgarten. Nach 12 Uhr ging ich hinaus in die Taunusstraße, um Frau Pfarrer Grünewald zu besuchen. Ich traf sie noch mitten im Umzug begriffen, doch zum Theil schon wohnlich eingerichtet. Ich fand sie doch gefaßter als ich erwartete; sie sprach sich in rührend herzlicher Weise gegen mich aus, theilte viel von ihren schönen Erinnerungen, von den letzten Lebenstagen ihrers Mannes mit2; sie nöthigte mich bei Tisch zu bleiben. Die Freundin aus Danzig, Frl. Hain, war wieder da und ist eine recht erwünschte Hülfe im Haus seit Juli. Die alte Mutter, liebevoll und gut, fand ich unverändert. Von den Kindern waren Marie, August und Elisabeth anwesend. Paul sah ich nicht; er war so ermüdet von dem vormittägigen Übungswerkh, daß er sich schlafen gelegt hatte; er hat noch nicht ins Feld ausrücken müssen, ist auch erst seit April eingetreten. Anna ist noch in Nauheim. August ist recht gewachsen und sieht dem Vater am meisten ähnlich. Ich habe für Luischen um die Photographien gebeten; sie sind ihr aufs neue versprochen. Frau Grünewald entschuldigte sich wegen ihres Nichtschreibens, sie habe sich noch nicht zur Beantwortung der vielen theilnehmenden Briefe entschließen können.

Ich war gestern Abend im Theater und sah eine recht gute Aufführung von Stradella; Frl. Stella eine stattliche Erscheinung mit einer sehr gut geschulten reinen Sopranstimme gab die Leonore; Herr Schmidt hatte die Hauptrolle, ein angenehmer Tenor. Heute Abend werde ich ein Schauspiel, die Schule des Lebens von Raupach sehen, worin der alte Hendrichs die Gastrolle spielt. Ich vermißte im Theater meinen Operngucker und bitte Dich mir ihn nach München mitzuschicken; er befindet sich in meinem Schreibtisch, Schublade rechts.

Ich schicke Dir hier die Geldpapiere zurück, die ich vergeblich mitgenommen. Sieh doch in meinem Secretär nach, ob in einem der oberen Pakete 3 amerikanische Papiere sich vorfinden gleich demjenigen, welches hier einliegt. Ich muß in der Eile das Paket verwechselt haben. Vielleicht liegen jene 3 Stück in der Schublade rechts, wo das andere Geld. Schreibe mir nach Stuttgart, ob Du sie vorgefunden, Adresse Oberstudienrath von Stälin3.

Ich gedenke morgen Vormittag nach Mannheim und Heidelberg zu fahren, wo ich übernachten will. Vielleicht treffe ich Gervinus.

Ich wünsche von Herzen, daß es Dir und den Kindern wohl geht. Es wird Euch die Zeit auch ohne mich nicht zu lang werden, da es im Hause und sonst in Erlangen immer viel zu thun giebt.

Lebe wohl, geliebte Susi. Tausend Grüße an Alle

 von
Deinem Getreuen.

P. S. Lasse nicht das kleine Papierchen herausfallen: es sind werthvolle Coupons.