XML PDF

Susanna Maria Hegel, geb. Tucher, an Karl Hegel, Erlangen, 26. September 1870

Mein Geliebter!

Dein lieber Brief1, den ich gestern Mittag erhielt, hat mich sehr gefreut, als ein Zeichen, daß es Dir gut geht, und daß Du unser in Liebe gedenkst. Hoffentlich hast Du meinen ersten Brief2, den ich am Sonnabend Nachmittag abschickte, gestern in Stuttgart erhalten, denn Du wolltest ja den schönen Sonntag3 dort zubringen bei den lieben Freunden Stälin. Auch wir haben den herrlichen, warmen und klaren Herbsttag zu einem Spaziergang nach Bubenreuth benützt, wo wir mehrere bekannte junge Leute fanden, sonst war’s ziemlich leer. R. Schmid war auch da, und erzählte uns von seinen Erlebnissen auf der Reise mit Ziemssen, ebenso der junge Lindner, der am Dienstag wieder nach dem Kriegs-Schauplatz abreist, und hofft, direkt nach Paris zu kommen. Es ist doch eine herrliche Zeit und beneidenswerth sind die jungen Leute, die aus eigener Anschauung sich diesen Schatz interessanter Erinnerungen sammeln können. Gottlob daß wir mit freudigem Stolze und dankbaren Herzens dem Gange der weltgeschichtlichen Ereignisse folgen können, und hoffen dürfen, als Siegespreis ein einiges, mächtiges deutsches Vaterland zu gewinnen. Fast geht es Einem jetzt zu langsam, besonders ungeduldig blicken wir Alle nach Straßburg, ob da noch kein Ende sein darf mit der Zerstörung und mit dem Jammer, und Du theilst gewiß diesen Wunsch. Prof. Schmid sagte vorgestern, daß Du große Lust gezeigt hättest, gleich hinzugehen, wenn die schwer geprüfte Stadt fällt, so lange Du in der Nähe bist. Ich begreife, daß es Dich drängt, nach den lieben Freunden und nach den Schätzen der Bibliothek und des Archivs zu sehen, aber es scheint nicht, daß der unerschütterliche Commandant es Dir zu Gefallen thut. Wenn nur nicht so viele arme Bürger, Frauen und Kinder darunter leiden müßten.

Daß Du nicht nach Heidelberg bist, thut mir leid, es ist doch zu schön, aber freilich so alleine, und ohne zu wissen, ob Gervinus da ist, wäre es gewagt gewesen. Frau Marquardsen reist morgen mit Pauline hin, nachdem endlich das große Werk der Einrichtung vollendet ist. Ich war gestern dort, es ist wunderhübsch, gemüthlich und elegant, aber mich jammert doch die Frau, die darin ihr Lebensglück findet.

Was Du mir über die Heil-Anstalt in Canstatt schreibst und der Prospekt4 selbst, macht mir doch den Eindruck, daß das nicht dasjenige ist, was für unser Annchen angezeigt ist. Die Behandlung richtet sich doch hauptsächlich gegen Flechten, woran sie nie litt, auch Drüsenleiden zeigte sich nie; doch will ich mit Aldinger ein-gehend sprechen. Soviel ich mir erinnere, litt die kleine Crailsheimer, der die Behandlung so gut that, an Drüsen, trug immer einen Kopfbund und sah so ungesund und gedunsen aus. Keinenfalls möchte ich die Hülfe von Tröltsch jetzt zurückweisen, da mir doch für jede innere Cur, wobei Bäder angewandt werden, der Sommer günstiger erscheint. Ich finde durchaus nicht, daß es gerade jetzt weniger gut geht, sie ist frisch, und frei von Schnupfen, und dann hört sie auch immer besser, aber freilich haben wir keine Sicherheit, daß es so bleibt. Ich hätte am Meisten Vertrauen auf Kreuznach nächsten Sommer. Gott wolle Seinen Segen auf das legen, was wir nach bestem Wissen und im Gebet für das liebe Kind thun. Ich freue mich wieder so an ihr gerade im Verkehr mit den beiden Schwestern, zwischen denen sie vermittelt; kräftiger und klarer wie Luischen und doch weicher und mittheilender als Mariechen.

Die Correktur, die gestern gekommen ist, sende ich Dir hiermit. Alles Andre, was Du wünschest, morgen nach München.

Die Kinder sind Alle wohl, nur Mundel hat seinen bekannten Bellerhusten. Georg arbeitet, was er muß.

Bei Döderleins ist neues Leid eingezogen; der Sohn in Augsburg ist wieder geistesgestört. Mathilde ist hin; es wird Weizsäcker auch interessieren.

Prof. Usinger war vor wenigen Tagen da, bedauerte, Dich nicht zu treffen.

Leb wohl, mein Liebster; ich umarme Dich in treuer Liebe.

 Deine Susanna.