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Susanna Maria Hegel, geb. Tucher, an Karl Hegel, Erlangen, 3. Oktober 1870

Mein Geliebter!

Eben erhalte ich Deinen lieben Brief1 aus München, den ich schon sehnlich erwartete, da ich seit Du am Mittwoch2 Cannstadt verließest nicht mehr wußte wo Dich suchen, da ich mir einbildete Du könntest Straßburgs Nähe nicht verlassen, ohne Dich dort umzusehen. Nun weiß ich Dich glücklich in München und bald wieder bei uns, das ist das Schönste.

Doch lasse Dir von uns erzählen, es war ziemlich bunt diese letzte Zeit. Samstag3 war ja doch der lieben Mutter Geburtstag4, den wir erst in Nürnberg mitfeiern wollten. Nun kam aber am Donnerstag ein Brief von Karoline, der den Wunsch der lieben Eltern ausspricht, zu uns zu kommen, da die liebe Mutter doch etwas angegriffen sey und sie ihr die Unruhe im Haus ersparen wollten. Ich war natürlich mit Freuden bereit und so kam denn gestern Mittag eine große Gesellschaft, 5 Große und 4 Kinder und wir verlebten einen recht gemüthlichen Nachmittag; die Hauptgäste waren die lieben Eltern, Caroline, Stephanie und Rosa; Dich vermißten wir freilich sehr, mein Liebster, und ließen Dich hoch leben nebst dem jungen Ehepaar, dessen Ehrentag Du eben mit feiertest. Verschönert war unser Zusammensein durch ganz neue Briefe aus Frankreich, die gerade am 1ten Oktober mit guten Nachrichten und Glückwünschen angekommen waren. Ulrich war beim Gefecht am 19ten September wieder im Feuer, aber Gottlob unversehrt und Friedrich war gar nicht dabei. Nachdem wir unsre Lieben um 7 Uhr fortgeleitet hatten, kamen zum Thee unser Sonntags Gast Freudel und Pauline Lichtenberger; sie blieben nicht lange, da sie wußten, daß wir heute um 6 Uhr reisen wollten. Anna hatte Alles gepackt und ich brachte sie nach Fürth, ging mit ihr zu Aldinger, der sie untersuchte und nicht finden konnte, daß sich der Zustand seit vorigem Herbst so verschlimmert habe, wie Tröltsch zu bemerken glaubte. Er war sehr freundlich und eingehend, versprach heute noch einen genauen Bericht und seine Notitzen an Tröltsch einzuschicken, billigte sehr unsre Meinung nächstes Jahr eine innere Cur in Kreuznach, Tölz oder Soden zu gebrauchen und wir schieden sehr befriedigt und zuversichtlich. Nach einem Besuch bei Lehmus gingen wir nach der Bahn und wollten etwas vor und etwas nach Zwölf unsre Fahrten nach verschiedenen Richtungen antreten, da hieß es: der Zug nach Würzburg ist eingestellt, erst um 4 geht einer, der kommt um 10 Uhr nach Würzburg. Was war zu thun? So spät wollte Anna nicht in Würzburg ankommen, also schnell entschlossen mit mir nach Erlangen zurück, ohne es zu wissen mit dem jungen Mangelsdorfschen Paar gefahren, das wir in Erlangen beim Aussteigen begrüßen und dann fährt Anna weiter nach Bamberg und kommt hoffentlich gegen 5 Uhr in Würzburg an, wo sie von Schillers erwartet wird. Ich hoffe sehr, daß diese Verschlimmerung, über die Tröltsch so erschrocken war, nur momentan war und er ihr und uns wieder bessere Hoffnung geben kann; sie ist recht gefaßt und nimmt sich zusammen, aber ohne Aufregung geht es natürlich nicht vorüber. Gott gebe seinen Segen!

Über ein mögliches Rendez-vous in Nürnberg kann ich jetzt noch Nichts bestimmen, da ich nicht weiß, wann Du zurückkommst. Ich könnte Donnerstag mit Mariechen nach Nürnberg kommen, wenn Du es wünschst, doch erwarte ich noch bestimmte Nachricht und ob Du jedenfalls den Nachmittag dort bleiben willst. Leb wohl, mein Liebster, es ist wieder eine Correktur gekommen, ich sende sie Dir aber nicht mehr, da Du sie nicht zu erwarten scheinst. Du schreibst gar Nichts vom Hochzeitsgeschenk, was Ihr gewählt, wann Ihr es übergeben u. s. w. Kannst Du nicht bei der Gelegenheit etwas für Lehmus besorgen? am Liebsten wäre mir freilich eine Photographie der Caecilia von Raphael, aber wenn das zu theuer ist und nicht zu haben wäre, würde ein Farbendruck-Bild auch hübsch sein. Jedenfalls müssen wir Etwas thun.

Leb wohl, beste Grüße an Löffelholz und Tuchers. Gott befohlen; von Herzen

Deine Susanna.