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Karl Hegel an Immanuel Hegel, Erlangen, 27. November 1870

Lieber Manuel!

So eben erhielt ich Deinen lieben Brief vom vorgestrigen Datum1, den ich nun zugleich mit Deinem früheren2 beantworte. Ich komme erste jetzt ein wenig zu Athem, nachdem ich die dringendsten Prorectoratsgeschäfte für den Anfang des Universitätsjahres erledigt und heute Abend auch den letzten Correcturbogen meines 2. Bandes3 fertiggebracht habe. Die letzte Registerarbeit für die beiden Bände Straßburg4 hat mich fortwährend neben der Prorectoratsrede5, den Vorlesungen, den äußeren Geschäften an der Universität und Correspondenzen in Chronikensachen6 gefangen gehalten, und bin ich herzlich froh, dieser Last endlich entledigt zu sein. Meine Straßburger Edition ist, wie ich in der Vorrede sage, unerwartet zu einer Rettungsthat geworden.7 Denn das Meiste, was sie enthält, ist in dem Bibliotheksbrande für immer zu Grunde gegangen, nicht minder alle späteren Straßburger Chroniken nebst den werthvollen Sammlungen für die Geschichte von Straßburg und Elsaß. Wahrhaft unbegreiflich ist der sträfliche Leichtsinn der Bibliotheksbeamten, welche für Bergung und Rettung dieser Schätze nicht das Geringste gethan haben, wozu sie selbst nach der Schlacht bei Wöhrd8 noch volle 14 Tage Zeit hatten, bis das Bombardement begann, und gehört auch dies zur Charakterisierung der elenden französischen Verwaltung, die nichts ohne höheren Befehl zu thun gewohnt war. Und doch schreien nun die Straßburger – und zwar die besten unter ihnen und meine guten Freunde – über die „sinnlose Barbarei der Deutschen“! Die Elsässer zu guten Deutschen zu machen, ist wahrlich keine leichte Arbeit, von welcher die Frucht erst kaum nach drei Generationen zu hoffen ist.

Meine Prorectoratsrede hat im hiesigen Kreise und weitherhin eine sehr erfreuliche Aufnahme gefunden; sie wird auszugsweise in den Zeitungen wiedergegeben und hat den Münchener Volksboten veranlaßt, über mich als einen Treulosen und Unwissenden herzufallen, was ich mir ebenfalls zur Ehre anrechne. Eine hiesige Buchhandlung hat die Rede in 2. Auflage zum Besten der verwundeten und erkrankten Krieger erscheinen lassen.9

Es ist mir lieb, daß die Enthüllung des Denkmals nicht am 14. November stattgefunden hat; es wäre mir kaum möglich gewesen zu kommen. Michelet hat mir seine Jubiläumsschrift10 mit einem Schreiben11 zugeschickt, welches letztere ich auf der Stelle beantwortet habe. Hinsichtlich der Druckschrift bin ich mit Dir Einer Meinung. Sie ist in der Sache oberflächlich und lediglich absprechend und in der Form taktlos und unanständig, namentlich in der Polemik gegen Trendelenburg, die natürlich von diesem ebenso unerwidert bleiben wird, wie die ähnlichen früheren Angriffe, was Michelet lächerlicher Weise so deutet, als ob der Gegner sich als überwunden erkenne. Nur die Pflicht der Dankbarkeit, die wir gegen Michelet haben, hat mich abgehalten, ihm meine Meinung darüber zu sagen. Außerdem schrieb er mir von verschiedenen Absendungen, welche er unserem Vater zuerkennen will, und die ich wieder abdrucken lassen solle. Ich bin natürlich sehr weit entfernt davon und habe ihm dies geantwortet, sowie auch das, daß ich den handschriftlichen Entwurf über das deutsche Reich12 nicht für druckfähig halte. In der That bewegt sich derselbe in weitläufigen abstracten Betrachtungen ohne Plan und sachlichen Gehalt, womit nichts zu machen ist, abgesehen davon, daß man Form und Satzbildung vielfach erst hinzuthun müßte, um das Ganze lesbar herzustellen. Ich bin daher nur in meinem Vorsatz bestärkt worden, nichts weiter als die noch ungedruckten Briefe zu geben.13 Welche vorläufigen Schritte ich schon im vergangenen Frühjahr gethan, um deren noch mehrere herbeizuschaffen, glaube ich Dir bereits mitgetheilt zu haben.14 Seitdem habe ich alles darauf Bezügliche, wegen des Drucks des 2. Bandes15, den ich während dieser Zeit zum Theil noch ausarbeiten mußte, liegen gelassen und kann erst im Laufe dieses Winters darauf zurückkommen. Du siehst hieraus, daß ich auch mit dem was Du an Köstlin geschrieben, ganz einverstanden bin, soweit es die bloßen unfertigen Entwürfe und Vorarbeiten unseres Vaters betrifft; ob aber unter dem Nachlaß sich noch Anderes findet, was wirklich druckfähig wäre, vermag ich nach meiner Kenntniß davon nicht zu beurtheilen. Deinen Brief an Köstlin schicke ich sofort ab.

Wir freuen uns der guten Nachrichten von Willys Wohlbefinden. Das ist gewiß ein Beweis von seiner kräftigen Constitution. Gott behüte ihn auch künftig vor den Kugeln der Feinde, wie vor gefährlicher Krankheit. Auch meine Schwäger Friedrich und Ulrich sind noch wohlbehalten vor Paris bei Châtenoy und in der Nachbarschaft, wo das 2. bairische Corps steht. Die Schlappe von 16 war doch recht unangenehm, übrigens ein guter Dämpfer für uns Baiern. Endlich sind wir nun auch mit einem Fuße oder anderthalben glücklich in das große Fahrzeug von Deutschland eingestiegen. Es wird immerhin viel damit erreicht sein, wenn nur so viel in der gegenwärtigen Kammer mit patriotischer d. h. particularistischer Mehrheit durchgebracht werden kann. Den Ministern und dem Könige ist es schwer genug angekommen. Die Kammern werden ebenso wenig dem Willen des Landes und der Armee widerstehen können!

Grüße Deine Schwäger, den 50er Theodor17 und Adalbert.

Herzliche Grüße von mir und den Meinigen an Clara, Marie und Clärchen.

Dein Bruder Karl.

P. S. Auch dem Urbayern Vetter Sigmund18 meinen freundlichen Gruß.