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Karl Hegel an Immanuel Hegel, Erlangen, 16./17. April 1871

Lieber Manuel!

Ich sage Dir herzlichen Dank für Deine treuen brüderlichen Glück- und Segenswünsche zur Confirmation unseres Georg, sowie für den ernsten und tiefgefühlten Zuspruch, den Du an ihn selbst gerichtet, und die schönen Gaben, womit Du diesen begleitet hast. Ich will hoffen und wünschen, daß Deine Worte und die Mahnungen, an denen wir Eltern es auch nicht haben fehlen lassen, vor allem aber die feierliche und erhebend kirchliche Handlung selbst und die heilige Communion1, welche darauf gefolgt ist, einen tiefen und bleibenden Eindruck für sein ganzes künftiges Leben in seinem jungen Herzen gewirkt haben, so daß daraus eine recht heilsame und erfreuliche Frucht der Besserung im Wollen und Thun hervorgehe, wozu Gott seinen Segen verleihen möge!

Nach hiesiger kirchlicher Sitte findet die Beichte und Absolution am Nachmittag des der Communion vorhergehenden Tages statt, und folgt die Communion unmittelbar auf die Confirmation nach der Predigt. Vor der Beichte richtete Stadtpfarrer Wunderer eine recht eindringliche Ansprache an die Kinder, worauf diese, zuerst die Knaben, dann die Mädchen, je drei vor dem Altar knieend die Absolution empfingen. Die heutige Vormittagspredigt hielt mein trefflicher College von Zezschwitz mit vieler Wärme und Kraft und dem lebendigen Ausdruck unmittelbaren Ergriffenseins, der ihm wie Wenigen in freier Beherrschung der Sprache zu Gebote steht. Die eigentliche Confirmationsrede des Decans von Biarowsky, welcher den Knaben den katechetischen Unterricht ertheilt hat, erschien dagegen recht matt und hätte die Wirkung der früheren Rede nur abschwächen können, wenn nicht die heilige Handlung selbst darauf gefolgt wäre. Zwei Mal gingen die Kinder wieder je drei zum Altar, zuerst zur Confirmation, und dann zur Communion. Die letztere beschränkte sich ebenfalls nur auf diese allein und nahmen keine  Erwachsenen daran Theil.

Am zweiten Ostertage2 brachten wir unseren Sohn nach Nürnberg, um ihn dort seinem anderen Pathen, dem lieben Großvater vorzustellen, dessen Befinden sich Gottlob in den letzten Tagen gebessert hatte. Er konnte Mittags bei Tisch anwesend sein und Theil nehmen an der Unterhaltung im größeren Familienkreis des Nachmittags, versuchte auch zum ersten Mal sein gewohntes Pfeifchen, was am meisten die Wiederkehr eines gewissen schmerzlosen Behagens, wenn auch nicht der eigentlichen Gesundheit, bezeichnet. Es war rührend, die Freude und das Glück der liebenden Sorge unserer guten Mutter zu beobachten. Eine weitere Erfrischung und glückliche Befriedigung brachte auch die Zurückkunft des Sohnes Friedrich aus Frankreich, der auf Urlaub auf 5 Wochen entlassen worden ist und schwerlich wieder zurückberufen werden wird. Er sieht sehr wohl und kräftig aus und ist mit üppigem Bartwuchs versehen; er ist brav und verständig und verspricht ein tüchtiger Forstmann zu werden. Die Eltern haben somit nur Ursache, sich an diesem wackeren einzigen Sohn zu freuen, der zugleich die anderen dahingegangenen ersetzen muß. Vor wenigen Tagen ist nun auch die Tochter Luise mit einem ihrer Kinder aus München zum Besuch angekommen, während unser Luischen sie in ihrem Hause bei den anderen Kindern vertritt. Diese schreibt sehr glücklich und befriedigt von dort, wo ihr eine so wichtige Stelle angewiesen ist und wo sie so viel Gelegenheit hat, ihre Kenntnisse und Erfahrungen an Menschen und Dingen zu bereichern. Endlich haben wir auch heute wieder recht erfreuliche Nachricht aus Nürnberg über das fortschreitende Besserbefinden des lieben Vaters erhalten, so daß wir doch wohl Hoffnung auf eine längere Fristung seines theuren Lebens fassen können.

Als wir ihm, wie gesagt, am 2. Ostertage seinen Pathen vorstellten, gab er diesem seinen Segensspruch und schenkte ihm zum Andenken eine silberne Uhr, die ihn hoch erfreute. Am folgenden Tage traf hier in Erlangen ein gleich schönes und werthvolles Geschenk von Dir für ihn ein. Diese zweite Überraschung übertraf zwar noch die erste, von der wenigstens wir Eltern zum voraus Kunde hatten, aber wir mußten uns doch sagen, daß jedenfalls zwei Uhren für den einen Georg zu viel seien, und ich glaubte deshalb in Deinem Sinne zu handeln, wenn ich Dein Pathengeschenk in ein anderes gleich sehr willkommenes umwandelte. Ich wählte die schöne Grote’sche Ausgabe der sämmtlichen Werke von Schiller mit hübschen Illustrationen in 12 Bänden, geschmackvoll eingebunden mit dem Schillerkopf auf dem Deckel in 6 Doppelbänden, und hoffe, Du wirst damit einverstanden sein. Für die hübsche Uhr habe ich eine andere passende Verwendung, falls Du sie nicht zurückverlangst. Georg wird selbst Dir seinen Dank aussprechen.

Mit der Haltung unseres Deutschen Reichstags wirst Du im allgemeinen zufrieden sein. Unsere bairische Fortschrittspartei hat sich unter verschiedenen älteren Parteien vertheilt, theils einer neuen Reichspartei angeschlossen. Für den verständigsten unserer Politiker halte ich den zu dieser gehörigen Marquard Bardt; als der talentirteste gilt Herr von Stauffenberg, dessen Liberalismus aber noch zu wenig gereifte politische Erfahrung zeigt. Gottlob, daß endlich der Weißenburger Spuk aus der Welt geschafft ist; diese unnöthige bairische Abfindung wäre das Schlimmste gewesen, was man den Elsässern in der neuen Ordnung der Dinge hätte zufügen können. Unser König hat sich wie es scheint sehr schwer in den Verzicht ergeben, aus welchem ihm jetzt ein neues großes patriotisches Verdienst zugerechnet wird: Besser hätte er den ungeschickten Anspruch gar nicht erhoben!

Willi wird also Euch schon wieder verlassen, und ebenso Marie. Da wird es stille werden im Hause. Zur Einzugsfeier würde ich wo möglich kommen. Kannst Du denn gar nichts über die Enthüllung des Denkmals3 erfahren?

Ich wünsche Euch Glück zu der neuen besonders angenehmen Wohnung. An meinem Hause baue ich jetzt eine Sommerveranda nach dem Garten zu. Susanna ist heute Morgen (ich schreibe dies Montag4 Vormittag) nach Nürnberg, um die Schwester Luise zu sehen.

Meine herzlichen Grüße an Deine Lieben
Dein Bruder Karl.