Ich schreibe diese Zeilen am Abend meines Geburtstages, welcher das 58. Jahr meines Lebensalters abschließt. Das ist sicher nicht gar weit von dem Ende, das ihm beschieden sein wird. Dieses Ende hatte ich und mit mir ein zahlreicher Verwandtenkreis am Sarge unseres theuren Vaters vor Augen, worin seine kalte Leiche in schwarzem Trauergewande, geschmückt mit weißen Blumen, umgeben von einem Epfeukranze, das Antlitz verklärt durch den Ausdruck stiller Ruhe und ungestörten Friedens – uns zum letzten Mal seine sterbliche Hülle zeigte, wie der Lebende uns so oft, Kinder und Enkel um sich versammelt hatte.1 Es war unten im sogenannten Apollosaal, wo schon andere liebe Verstorbenen ausgestellt wurden, wie der gute Gottlieb kurz nach meiner Hochzeit vor 21 Jahren, wo bei der letzten Hochzeit unserer Caroline lebende Bilder in jugendlicher Anmuth und Lebensfrische dargestellt wurden!2 –
Ich kam nur zwei Stunden vor der Beerdigung in Nürnberg an, die um 5 Uhr Nachmittags am Montag den 5. Juni stattfand. Denn es ging mir auf der Rückreise wie auf der Hinreise, daß ich den Anschlußzug, auf den ich gerechnet, nicht traf, und in Hof die halbe Nacht von 12 Uhr bis Morgens 5 Uhr liegen bleiben mußte, bis ein Güterzug mich von dort weiter bis Bamberg beförderte, wo ich noch glücklich genug um 12 Uhr Mittags ankam, so daß ich mit dem Postzug von dort um 3 Uhr in Nürnberg sein konnte. Doch in Erlangen, wo es für mich nicht mehr Zeit war auszusteigen, fand ich auf dem Bahnhof die Meinigen, Frau und Kinder in Trauerkleidern, welche sich mir auf der Weiterfahrt anschlossen. Im elterlichen Hause zu Nürnberg fanden wir die gute Mutter, klar und gefaßt, umsichtig und thätig wie immer, und die Geschwister, Sohn, Töchter und Schwiegersöhne des Verewigten, nur mit einer Ausnahme – die treue Sophie, welche in den letzten Wochen, seit Carolines Abgang nach Ingolstadt, der Mutter allein bei dem kranken Vater zur Seite gestanden, sie liegt nun selbst schwer erkrankt am Nervenfieber danieder, eine neue große Sorge für uns alle, am meisten aber für die Mutter, der man sie am liebsten erspart hätte!
Am Nachmittag zuvor hatte Pfarrer Port von St. Lorenzen die theure Leiche eingesegnet. Deshalb hielt die Rede auf dem traurigen Kirchhof von Steindeckeln an der offenen Gruft. Das Gefolge war ungewöhnlich zahlreich, 15 Mädchen mit Blumenschalen, wie es hier Sitte ist, gingen voran, die Begleitung zu Fuß hinter dem Wagen durch die ganze Stadt bis zum Johannisfriedhof auf der entgegengesetzten Seite derselben hinaus: nur die Frauen fuhren auf anderem Wege zuvor dorthin, um den ankommenden Zug am Grabe zu erwarten. Ich sage nichts von der Rede, die besser kürzer zusammengefaßt worden wäre – es ist den Pfarrern nicht gegeben kurz und prägnant zu sprechen, und auch die hiesige Sitte bringt es mit sich, daß die Lebensgeschichte des Verstorbenen, oft in großer Breite, am Grabe vorgetragen wird, wobei nur ein kleiner Theil der Begleitung den Pfarrer zu sehen und zu verstehen vermag, weil vor Ankunft des Zugs alte Weiber, Kinder und Pöbel den ganzen Platz besetzt haben und Polizei auf den Kirchhöfen nicht vorhanden ist.
Wir blieben noch am folgenden Tage in Nürnberg beisammen. Onkel Gottlieb war nicht gekommen, weil er selber krank liegt, aber sein Sohn August. Löffelholz reiste am Nachmittag ab und ließ, was ihm alle sehr dankten, seine Frau bei der Mutter zurück, damit diese in der nächsten Zeit nicht alleine sei; unser Luischen vertritt sie …3 in der eigenen Familie. August in Schweinfurt will seine Frau nicht entbehren. Sonst hätte diese zu Hause am wenigsten zu versäumen. Unser Annchen, welche schon am Sonntag oder Montag nach Kreuznach abreisen sollte, wird nun morgen reisen. Sie findet dort Frau von Zech mit einer Tochter aus Gotha – meines Collegen Ihering Schwester, die sehr liebenswürdig sein soll. Eine Wohnung ist durch anderwärtige Vermittelung für sie bestellt.
Gern hätte ich noch einige Tage länger bei Euch verweilt, noch Manches in Berlin gehört und gesehen. Das bleibt nun für künftig aufgespart. Ein erhebendes Schauspiel wird der bevorstehende Truppeneinzug sein; wie gern wäre ich dabei.
Marie Meyer sah ich nicht, sie war bereits abgereist; gewiß wird sie ihre Ankunft in Berlin vorher anmelden.
Meine innigen Grüße an Klara und Marie und Clärchen. Möge es Euch allen wohl gehen!