Erlangen 27 Juli 1871.
Lieber Manuel!
Dein lieber Brief aus Johannisbad war nach der ersten Woche Eurer Sommerfrische geschrieben; jetzt seid Ihr schon in der dritten und werdet gewiß die guten Wirkungen von Bad, Waldluft und Wiesenduft noch deutlicher verspüren. Ich bin Eurer Reise auf meiner Karte gefolgt; aber Johannisbad habe ich nicht darauf gefunden, woraus ich schließe, daß der Ort noch klein und wenig bekannt ist, wie es Deine anmuthige Beschreibung gleichfalls bestätigt. So ist er am besten für ein ruhiges Stillleben, wie es Geist und Körper zur Erholung gereicht, geeignet. Das Wetter war bei uns beständig wechselnd zwischen Wärme, Sonnenschein, Schwüle, Gewittern, Regengüssen, Kälte, und regelmäßig nur in diesem Kreislauf; für Euch, wenn es dort ebenso war, nicht sehr günstig aber auch nicht ganz ungünstig.
Ich betrachte mir dies Wetter in Aussicht auf meine eigenen Reisepläne, denn die erwünschten Herbstferien kommen immer näher heran und sind da mit dem 15. August. Es ist meine bestimmte Absicht, meine Frau mitzunehmen und zwar aus zwei Gründen, erstens damit sie selbst sich auffrische und zweitens damit sie mir Gesellschaft | leiste. Sie ist, wenn sie es auch nicht gestehen will, angegriffen durch die vielen Gemüthsbewegungen der letzten Zeit. Auf den Tod des Vaters folgte die schwere und lange, noch jetzt fortdauernde Krankheit der Schwester Sophie, welche Wochen lang zwischen Leben und Tod schwebend alle Angehörigen in aufregender Sorge erhielt. Besonders die gute Mutter hat dabei viel gelitten und kann sich auch jetzt noch kaum zu besserer Hoffnung erheben, obwohl wir Anderen sie bereits sicher gefaßt haben. Die Krankheit war der Typhus in einem selten intensiven Grade und begann vor zwei Monaten kurz vor dem Tode des Vaters. Kalte Bäder wurden weit über 100 angewendet bei Tag und Nacht bis der Eintritt fortdauernder Delirien sie verbot und Moschuspulver an die Stelle traten, wenn plötzliches Sinken der Kräfte erfolgte. Jetzt läßt die Fieberhitze nach und die Delirien haben aufgehört, auch findet sich der Schlaf ein und einiger Appetit; nur die großen eiterigen Wunden am Körper sind schmerzhaft. Die Krankenpflege wurde durch eine Wärterin und eine Diakonisse besorgt. Dabei hatten sämmtliche Kinder, endlich auch der Vater, mein Schwager Max die Masern. Unsere Mutter ging und geht noch beständig zwischen dem Forstamt, wo Crailsheims wohnen, am Frauenthor und dem | Tucher’ischen Garten hin und her; dort schläft sie und hier ißt sie zu Mittag und ruht am Nachmittag aus. Während dieser Zeit aber löste sie meine Frau im Forstamt ab, als sie dort war in Nürnberg um die Mutter zu unterstützen, die in Sorge und Bekümmerniß immer mehr herunter kommt. Jetzt ist die Schwester Caroline in dieselbe Stelle eingetreten und hat meine Frau abgelöst. Doch soll die gute Mutter, sobald sie wegen Sophie ruhig sein kann, eine Erholungsreise ins bairische Gebirg ausführen, wo sie die Familie Löffelholz und unser Luischen mit ihr antreffen wird, nämlich in einem kleinen Badeort Kohlgrub bei Weilheim auf dem Wege nach Partenkirchen.
Ich selbst gedenke mit meiner Frau, wenn sie gleichfalls nicht durch die Mutter oder die Schwester Sophie gehindert ist, am 15. August nach Berchtesgaden zu reisen und dort einige Wochen zuzubringen. Ich war schon einmal dort vor 8 Jahren, als meine 4 älteren Kinder eben den Typhus überstanden hatten, und hat die dortige herrliche Natur einen unvergeßlichen Eindruck bei mir zurückgelassen, den ich gern in Susannas Gesellschaft wieder erneuern möchte.
Unsere Anna ist seit acht Tagen nach vollendeter Kur in Kreuznach glücklich in Bonn bei Stintzings angekommen. | Sie hat die Fahrt von Bingen aus, trotz meiner Bedenken, zu Dampfschiff zurückgelegt und schreibt hoch erfreut darüber. Über den Erfolg der Kur in Bezug auf das Gehör kann sie nicht viel sagen und findet sich gefaßt darein: es ist recht traurig! Sie selbst aber schreibt heiter und glücklich. Es ist wohl nicht zu erwarten, daß sie vor Verlauf von 6 Wochen aus Bonn zurückkommt.
Aus allem was ich geschrieben, siehst Du, wann wir und die Mutter nicht in Erlangen und Nürnberg und Löffelholzens nicht in München sein werden; zurück sind wir sicher vor Mitte September, dann auch gewiß Anna und hoffentlich auch Luise. Wie sehr würden wir uns alle freuen den guten tapferen Willi bei uns zu sehen! Wenn es ihm nur nicht zu spät wird! Doch ich denke nicht! in Göttingen wird, so viel ich weiß, bis Ende August gelesen; oder Willi sucht uns in Berchtesgaden auf und sieht mit uns Salzburg. Onkel
Gottlieb ist so viel ich weiß in Reichenhall; mit seinem Sohn Hermann in Madeira geht es leider zu Ende und der Onkel ist im Zweifel ob er selbst noch dorthin reisen soll, um beim Sterben zu sein.
Meine Frau grüßt Euch, so wie ich, aufs herzlichste
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel)Immanuel HegelJurist/Konsistorialpräsident der Provinz Brandenburg11657072518141891 Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel) (1814–1891), Bruder Karl Hegels, studierte von 1832 bis 1834 und von 1835 bis 1836 Jura an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, von 1834 bis 1835 an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München, trat 1836 in den preußischen Staatsdienst ein und war als Verwaltungsjurist in verschiedenen Verwendungen des Königreichs Preußen, vor allem im Staatsministerium, tätig, wurde 1865 Präsident des Konsistoriums der Provinz Brandenburg, heiratete 1845 Friederike Flottwell (1822–1861) und 1865 Clara Flottwell (1825–1912), beide Töchter des oftmaligen preußischen Oberpräsidenten und Staatsmanns Eduard Heinrich Flottwell (1786–1865), war u. a. Vater des preußischen Verwaltungsbeamten und Politikers Wilhelm (Willi) Hegel (1849–1925), war 1856 Taufpate seines Neffen Georg Hegel (1856–1933).
Erlangen49.5928616,11.0056Mittelfränkische Universitätsstadt, etwa 20 Kilometer nördlich von Nürnberg gelegen, seit 1810 Stadt und Universität des Königreichs Bayern.
Privatbesitz
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Privatbesitz
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Neuhaus
, Helmut (Hg.): Karl Hegels Gedenkbuch. Lebenschronik eines Gelehrten des 19. Jahrhunderts, Köln, Weimar, Wien 2013.
Neuhaus
, Karl Hegels Gedenkbuch
2013
Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher
Susanna Maria Hegel, geb. Tucher116146891918261878Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher (1826–1878), häufig „Susette“ genannt, Tochter Johann Sigmund Karl Tuchers (1794–1871) und Maria Magdalena Tuchers, geb. Grundherr (1802–1876), Ehefrau Karl Hegels (1813–1901); siehe auch: Tucher, Susanna Maria.
Löffelholz, Ludwig (Louis) Georg Karl116913792X18151906Löffelholz, Ludwig (Louis) Georg Karl (1815–1906), ab 1860 Ehemann von Antoinette Luise Löffelholz, geb. Crailsheim (1831–1861), nach deren Tod ab 1865 Ehemann von Luise Caroline Marie, geb. Tucher (1836–1901), Oberst der königlich bayerischen Armee, Schwager Karl Hegels.
Stintzing, Franziska Karoline Charlotte, geb. BokelmannFranziska Karoline Stintzing, geb. Bokelmann11726003718281908Stintzing, Franziska Karoline, geb. Bokelmann (1828–1908), Ehefrau des Juristen Roderich Stintzing (1825–1883).
Stintzing, RoderichRoderich Stintzing10127505618251883Stintzing, Roderich (1825–1883), in Altona geborener Rechtswissenschaftler, der von 1841 bis 1848 an den Universitäten Jena, Heidelberg, Berlin und Kiel studierte und 1852 in Heidelberg promoviert wurde. Im Jahre 1854 wurde er ordentlicher Professor für Römisches Recht an der Universität Basel. Nach seinem dortigen Rektorat wechselte er von 1857 bis 1870 an die Universität Erlangen und anschließend bis zu seinem Tode an die Universität Bonn. Wie in Basel war er auch in Erlangen (1864/65) und in Bonn (1875/76) jeweils Rektor bzw. Prorektor.
Hegel, Wilhelm (Willi)Wilhelm Hegel13593263718491925Hegel, Wilhelm (Willi) (1849–1925), in Berlin geborener Sohn Immanuel (1814–1891) und Friederike Hegels (1822–1861), Ehemann Armgard Hegels, geb. Wulffen (1862–1928), und Neffe Karl Hegels. Er war hoher preußischer Verwaltungsbeamter, u. a. von 1886 bis 1890 Landrat des Kreises Jerichow I, von 1895 bis 1905 Regierungspräsident von Gumbinnen, von 1905 bis 1908 in Allenstein, von 1908 bis 1917 Oberpräsident der Provinz Sachsen. Es war von 1887 bis 1890 Mitglied des Deutschen Reichstages und wurde im Jahre 1909 in den erblichen preußischen Adelsstand erhoben.
Johannisbad50.6305685,15.7806938Etwa 150 Kilometer südwestlich von Breslau auf circa 520 Meter Höhe im böhmischen Riesengebirge gelegen.
Kohlgrub47.6659196,11.0519029Etwa 75 Kilometer südwestlich von München und etwa 25 Kilometer südlich von Weilheim in den oberbayerischen Alpen gelegener Kurort mit Moorheilbad.
Weilheim47.8395072,11.1416355Etwa 50 Kilometer südwestlich von München, südlich des Ammersees und westlich des Starnberger Sees gelegen.
Partenkirchen47.4941402,11.1121139Etwa 100 Kilometer südlich von München gelegener Ferienort des Werdenfelser Landes in den deutschen Alpen, der 1935 mit dem Nachbarort Garmisch zu einer Marktgemeinde vereinigt wurde.
Berchtesgaden47.63108,13.0021634Markt im oberbayrischen Berchtesgadener Land mit Schloß der Könige von Bayern, nahe dem Königssee, circa 150 Kilometer südöstlich von München und etwa 25 Kilometer südlich von Salzburg gelegen.
Kreuznach49.8431642,7.8657658Etwa 40 Kilometer südwestlich von Mainz gelegenes Kur- und Heilbad an der Nahe, das im Jahre 1815 an die spätere Rheinprovinz des Königreichs Preußen fiel.
BonnAuf eine römische Gründung zurückgehende alte kurfürstliche Residenzstadt am Rhein mit menschlichen Besiedlungsspuren, die ca. 14.000 Jahre zurückreichen, nach französischer Herrschaft ab 1815 eine Stadt des Königreiches Preußen, etwa 30 Kilometer nördöstllich von Köln gelegen.
Bingen49.9667,7.9Großherzoglich-hessische Stadt an der Mündung der Nahe in den Rhein, etwa 60 Kilometer südlich von Köln und 30 Kilometer westlich von Mainz an einem Rheinknie gelegen.
Göttingen51.5328328,9.9351811Circa 100 Kilometer südlich von Hannover und südwestlich des Harzes gelegene Stadt mit einer 1737 eröffneten Universität.
Salzburg47.7981346,13.0464806Ehemalige fürsterzbischöfliche Residenzstadt an der Salzach, etwa 130 Kilometer südöstlich von München gelegen, ab 1816 zum Kaisertum Österreich gehörend.
Reichenhall47.7222676,12.8760923Kurort in den bayerischen Alpen, etwa 15 Kilometer südwestlich von Salzburg gelegen.In Oberbayern im Berchtesgadener Land gelegener Kurort, circa 23 Kilometer westlich von Salzburg gelegen.
Madeira32.751750099999995,-16.98174865726062Südwestlich der Iberischen Halbinsel und westlich Afrikas gelegene Insel im Atlantik.
DiakonissinEvangelische Frauen, die sich zu einem einfachen Leben in Ehelosigkeit entschieden haben, in einer von der Konfession bestimmten Lebens- und Glaubensgemeinschaft zusammen leben und sich als Schwesternschaft einem sozialen Dienst in der Kirche verpflichtet haben.
MasernVor allem bei Kindern vorkommende hoch ansteckende Infektionskrankheit mit roten Hautflecken, Fieber und stark geschwächtem körperlichen Allgemeinzustand.
Frauentor (Nürnberg)Südöstliches Haupttor in der Nürnberger Stadtmauer, benannt nach dem dahinterliegenden Klarissenkloster St. Klara.
Tucherischer Garten vor dem Wöhrder Thor (Nürnberg)Gartengelände im XXX. Distrikt der Sebalder Seite Nürnbergs an der Straße nach Wöhrd („Gärten bei Wöhrd“), nördlich der Pegnitz und östlich der alten Nürnberger Stadtmauer gelegen, 1825 in die ehemalige Reichsstadt eingemeindet, später Cramer-Klett-Park. Dort bewohnte die Familie Tucher das Gebäude Nr. 187 (später: Äußere Cramer-Klett-Straße 12).