Erlangen 19. November 1871.
Lieber Manuel!
Vor wenigen Tagen habt Ihr durch Susanna von uns Nachricht erhalten und somit erfahren, daß es uns Allen wohl geht. Das Wintersemester hat begonnen und ich habe zu Anfang desselben mein Prorectorat in die Hände meines Nachfolgers Hofmann übergeben. Ich kann nicht klagen, daß dieses Amt, mit dessen Geschäften ich hinlänglich vertraut war, mir viel Mühe verursacht hätte, doch hat es an mancherlei Verdruß mit den Studenten nicht gefehlt und zwei Mal sind mir nächtlicher Weise einige Scheiben in unseren Schlafzimmern eingeworfen worden. Das war keine politische Demonstration wie anno 1866, sondern bloß gemeine Rache für verhängte Carcerstrafen, wie ich vermuthe. Dergleichen muß man für die Ehre des Prorectorrats mit in Kauf nehmen. Es ist Vieles faul in unserem Universitätswesen und mit Recht hat Hofmann in seiner Antrittsrede gesagt, daß wenn die Studenten hier nur vergnügt leben und nicht zum Studium da sein wollen, die Universitäten nicht | das Geld werth seien, was sie kosten, und noch weniger den geistigen Aufwand, den die Professoren an ihre Vorlesungen wenden, verlohne.
Freund Hofmann sprach sich nach seiner Rückkehr von Berlin sehr erfreut aus über die freundliche Aufnahme, die er in Deinem Hause gefunden. Nicht so befriedigt schien er mir von den Verhandlungen der evangelischen Versammlung, bei welcher allein die Rede von Wagner ihm einen bedeutenden Eindruck gemacht hat. Ich hoffe noch immer die letztere zu lesen, sobald die Verhandlungen im Druck erscheinen werden. Mehr befriedigt sprach sich Scheurl über das Resultat der Versammlung aus, welche eine freundliche Annäherung der kirchlichen Parteien herbeigeführt habe und weiter für die Zukunft verspreche. Über seine Audienz, in Begleitung von Bethmann Hollweg, bei dem Kaiser gab er anziehenden näheren Bericht. Überhaupt ist Scheurl eine mehr conciliante Natur als Hofmann, der zwar verschiedene Standpunkte gelten läßt und achtet, sich aber in starker Eigenrichtigkeit nicht mit ihnen verträgt. Von unserem guten Onkel Gottlieb, den ich in Nürnberg sprach, ist auch das Erstere nicht zu sagen, | da er mit voller Schroffheit Alles was nicht das vermeintlich Rechte ist, zurückweist und verdammt. Er hatte leider einen heftigen Husten von der Reise mitgebracht und auch Tante Thekla, die ihm nach Nürnberg entgegen kam, fühlte sich sehr angegriffen.
Den Verhandlungen des Reichstags bin ich mit vielem Interesse gefolgt und freue mich herzlich darüber, wie es mit der Reichsgesetzgebung und durch sie mit der Befestigung der Reichseinheit entschieden vorwärts geht. Das neue Münzgesetz ist eine große Errungenschaft, die aber uns im Süden noch viel zu schaffen machen wird. Ich bin sehr gespannt auf unseren bayrische Landtag, wie sich dessen ultramontane Majorität dazu verhalten wird, und noch mehr auf sein Gebahren in der katholisch kirchlichen Angelegenheit. Bei uns in Erlangen verharrt mehr als die Hälfte der katholischen Gemeindeglieder in der Opposition gegen den Pfarrer und den Bamberger Erzbischof, der die Excommunication über sie ausgesprochen hat.
Unterdessen hat die Erbschaftstheilung des väterlichen Vermögens in Nürnberg stattgefunden, wodurch auch ich mehrfach in Anspruch genommen war. Der gute Vater hatte bereits zu seinen Lebzeiten bestimmt, daß jedes seiner Kinder behufs Gleichstellung mit Caroline, bei | deren Verheiratung eine Caution von 30000 fl. Gulden erforderlich war, welche er selbst größtentheils aufzubringen hatte, 19000 fl. erhalten solle und theilte davon verschiedenen Beträge an die Einzelnen aus bei Verzinsung des Restes. Aus dem Nachlaß sind nun außerdem noch 9000 fl. an jedes der 6 Kinder gefallen, nachdem die Mutter die Hälfte des Ganzen für sich vorweg bekommen hatte. Friedrich erhält das Fideicommiß von Beringersdorf für sich allein gegen eine Abfindung an die Erbmasse. Wir sind dem lieben Vater herzlich dankbar für seine treue Fürsorge aus Liebe, die er den Seinigen wie im Leben auch nach seinem Ende bewahrt hat.
Ich bin nun einigermaßen in Verlegenheit, wie ich die verschiedenartigen Werthpapiere, die mir zugefallen sind, am besten zu einer gewissen Vereinfachung bringe, um sie leichter übersehen und behandeln zu können. Um nicht vorwiegend bloß östreichische Eisenbahnactien und
Prioritäten zu besitzen, wünschte ich auch eine gewisse Summe in norddeutschen Bahnen anzulegen und habe mein Augenmerk auf berg-märkische Actien geworfen, welche nicht zu hoch stehen und bei fortschreitender Entwicklung der Bahnen eine steigende Rente versprechen. Zuvor wünsche ich aber noch einige Auskunft von dem Banquier zu erhalten und wende mich deßhalb an Ebeling, mit welchem ich das Geschäft direct abmachen kann, um Dich nicht weiter damit zu bemühen. Da ich jedoch nicht weiß, ob der Mann noch lebt oder sein Geschäft fortbetreibt, so lege ich den Brief hier | zu, damit Du die Adresse darauf setzest, sei es an ihn oder an einen andern, mit dem Du sonst zu thun hast. Grüße herzlichst die Deinigen und schreibe bald
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel)Immanuel HegelJurist/Konsistorialpräsident der Provinz Brandenburg11657072518141891 Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel) (1814–1891), Bruder Karl Hegels, studierte von 1832 bis 1834 und von 1835 bis 1836 Jura an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, von 1834 bis 1835 an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München, trat 1836 in den preußischen Staatsdienst ein und war als Verwaltungsjurist in verschiedenen Verwendungen des Königreichs Preußen, vor allem im Staatsministerium, tätig, wurde 1865 Präsident des Konsistoriums der Provinz Brandenburg, heiratete 1845 Friederike Flottwell (1822–1861) und 1865 Clara Flottwell (1825–1912), beide Töchter des oftmaligen preußischen Oberpräsidenten und Staatsmanns Eduard Heinrich Flottwell (1786–1865), war u. a. Vater des preußischen Verwaltungsbeamten und Politikers Wilhelm (Willi) Hegel (1849–1925), war 1856 Taufpate seines Neffen Georg Hegel (1856–1933).
Erlangen49.5928616,11.0056Mittelfränkische Universitätsstadt, etwa 20 Kilometer nördlich von Nürnberg gelegen, seit 1810 Stadt und Universität des Königreichs Bayern.
Privatbesitz
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Privatbesitz
1000
Neuhaus
, Helmut (Hg.): Karl Hegels Gedenkbuch. Lebenschronik eines Gelehrten des 19. Jahrhunderts, Köln, Weimar, Wien 2013.
Neuhaus
, Karl Hegels Gedenkbuch
2013
Hegel
, Karl: Leben und Erinnerungen. Mit einem Portrait in Heliogravüre, Leipzig 1900.
Hegel
, Leben und Erinnerungen
1900
Neuhaus
, Helmut: Karl Hegel – Historiker im 19. Jahrhundert. Unter Mitarbeit von Katja Dotzler, Christoph Hübner, Thomas Joswiak, Marion Kreis, Bruno Kuntke, Jörg Sandreuther und Christian Schöffel (= Erlanger Studien zur Geschichte, Bd. 7/Katalog zur Ausstellung des Instituts für Geschichte der Universität Erlangen-Nürnberg vom 20. November bis 16. Dezember 2001), Erlangen, Jena 2001.
Karl Hegel – Historiker im 19. Jahrhundert
2001
Die Verhandlungen der kirchlichen October-Versammlung in Berlin vom 10. bis 12. October 1871
, hrsg. vom Sekretariate, Berlin 1872.
Die Verhandlungen der kirchlichen October-Versammlung in Berlin vom 10. bis 12. October 1871
1872
Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher
Susanna Maria Hegel, geb. Tucher116146891918261878Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher (1826–1878), häufig „Susette“ genannt, Tochter Johann Sigmund Karl Tuchers (1794–1871) und Maria Magdalena Tuchers, geb. Grundherr (1802–1876), Ehefrau Karl Hegels (1813–1901); siehe auch: Tucher, Susanna Maria.
Hofmann, Johannes Christian KonradJohannes Hofmann11870611X18101877Hofmann, Johannes Christian Konrad (1810–1877), in Nürnberg geborener evangelischer Theologe und Gymnasiallehrer, 1841/42 außerordentlicher Professor der Theologie an der Universität Erlangen, ordentlicher Professor an den Universitäten Rostock (1842–1845) und Erlangen (1845–1877).
Wagner, Adolph11862820818351917Wagner, Adolph (1835–1917), in Erlangen geborener Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler, der nach seinem Studium der Rechts- und Staatswissenschaften ab 1858 an der Wiener Handelsakademie wirkte und 1865 ordentlicher Professor an der Universität Dorpat, 1868 an der von Freiburg und 1870 an der Berliner Universität wurde. Von 1882 bis 1885 war er Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses. Er galt als einer der führenden Vertreter des „Staatssozialismus“.
Scheurl, Christoph Gottlieb AdolfAdolf Christoph Gottlieb Scheurl von Defersdorf11722507X18111893 Scheurl, Christoph Gottlieb Adolf (1811–1893), aus Nürnberg stammender Jurist, der nach seinem Studium an den Universitäten Erlangen und München zunächst die Gerichtslaufbahn einschlug. Im Jahre 1834 habilitiert, lehrte er Römisches Recht und wurde 1840 außerordentlicher Professor in Erlangen, von 1845 bis 1881 war er dort Ordinarius für Kirchenrecht und Römisches Recht. Von 1865 bis 1889 war er zudem Mitglied der Generalsynoden der evangelisch-lutherischen Kirche im Königreich Bayern und trat für die Behauptung der Eigenständigkeit seiner Landeskirche gegenüber dem Staat ein. Er war in erster Ehe mit Marie Scheurl, geb. Kleinknecht (1815–1868), verheiratet, in zweiter Ehe mit Antonie Gürsching, verwitwete Thäter (1815–1884).
Bethmann-Hollweg, Moritz AugustMoritz August Bethmann Hollweg11851033917951877Bethmann-Hollweg, Moritz August (1795–1877), in Frankfurt am Main geborener Jurist und Politiker, der sich nach seinem Studium an den Universitäten Göttingen und Berlin 1819 habilitierte und 1823 ordentlicher Professor für Zivilrecht in Berlin wurde. Nach seinem Rektorat 1827/28 wechselte er 1829 an die Universität Bonn und wandte sich, gefördert vom preußischen König Friedrich Wilhelm IV. (1795–1861), verstärkt politischen und kirchlichen Entwicklungen zu. 1848 begründete er im Sinne einer Einigung der evangelischen Kirchen Deutschlands in einem ersten Versuch einen Deutschen Evangelischen Kirchentag, dessen Präsident er bis 1872 blieb, zeitweise zusammen mit Friedrich Julius Stahl (1802–1861).
Wilhelm I., König von Preußen, Deutscher KaiserWilhelm I., König von Preußen, Deutscher Kaiser11863288417971888Wilhelm I. (1797–1888), Prinz von Preußen, König von Preußen von 1861 bis 1888, ab 1871 auch Deutscher Kaiser.
Deinlein, Michael11852439918001875Deinlein, Michael (1800–1875), in Oberfranken geborener katholischer Geistlicher, der nach seinem Studium der Theologie und Philosophie in Bamberg 1824 zum Priester geweiht wurde und dann eine geistliche Karriere bis zum Bischof von Augsburg im Jahre 1856 und zwei Jahre später zum Erzbischof von Bamberg machte.
Tucher, Friedrich Wilhelm Sigmund Friedrich Wilhelm Sigmund Tucher116153730918461924Tucher, Friedrich Wilhelm Sigmund (1846–1924), Sohn Johann Sigmund Karl Tuchers (1794–1871) und Maria Magdalena Tuchers, geb. Grundherr (1802–1876), jüngster Bruder Susanna Maria Hegels (1826–1878), Taufpate Gottlieb Friedrich Hegels (1867–1874), 1867 Forsteleve in Aschaffenburg, Ehemann Auguste Marianna Tuchers, geb. Stramer (1857–1887), nach deren Tod ab 1888 Maria Margarethe Charlotte Tuchers, geb. Anns (1852–1917).
Ebeling, Emil Carl-18011883Ebeling, Emil Carl (1801–1883), Bankier, Geheimer Kommerzienrat und Stadtsyndikus in Berlin, der 1832 sein Bankhaus gründete.
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
Nürnberg49.453872,11.077298In Franken an der Pegnitz gelegene ehemalige Reichsstadt, seit 1806 Stadt des Königreichs Bayern.
Behringersdorf (Beringersdorf)49.4840197,11.1996494Etwa zehn Kilometer nordöstlich von Nürnberg gelegener alter Herrensitz, der seit dem Jahre 1514 im Besitz der Familie Tucher war. Zu dem mittelalterlichen „Alten Sitz“ wurde 1716 das „Neue Schloß“ erbaut.
KarzerArrestzelle für gemäß akademischer Gerichtsbarkeit zu einer Karzerstrafe verurteilte Studenten. Der Karzer der Universität Erlangen befand sich von 1828 bis 1897 im zweiten Stock des Wasserturms nahe dem Erlanger Schloß als Hauptsitz der Universität.
MünzgesetzDie Beratungen des Deutschen Reichstages über ein „Gesetz, betreffend die Ausprägung von Reichsgoldmünzen“, liefen auf dessen Verabschiedung am 4. Dezember 1871 zu.
Landtag (Königreich Bayern)In der Verfassung des Königreichs Bayern von 1818 wurde die „Stände-Versammlung“ ab 1848 „Landtag“ genannt. Der bayerische Landtag bestand aus zwei Kammern, der „Kammer der Reichsräte“, der Vertreter des Adels, der Geistlichkeit und vom König ernannte Personen angehörten, und der vom Volk nach dem Zensuswahlrecht gewählten „Kammer der Abgeordneten“.
Ultramontane ParteiZusammenschluß katholisch-klerikaler, „großdeutsch“ denkender, papsttreuer und preußenfeindlicher Politiker.
FideicommißEine – im Sinne von „zu treuen Händen überlassen“ – Regelung des privatrechtlichen Erb- und Sachenrechts, die bestimmt, daß das Vermögen einer Familie in Form einer Stiftung unzertrennt auf ewig geschlossen erhalten werden soll.
PrioritätsaktienAktien, deren Inhaber vorzugsweise bei Dividendenausschüttungen bedacht werden.
Bergisch-Märkische Eisenbahn-GesellschaftDie Bergisch-Märkische Eisenbahn-Gesellschaft wurde 1843 in Elberfeld gegründet, um das industrialisierte Gebiet des späteren östlichen Ruhrgebiets, der alten Grafschaft Mark, und das Bergische Land mittels Eisenbahn zu erschließen und an den Westen anzuschließen.