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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 17. März 1872

Lieber Karl!

Die Nachricht1 von der Verlobung Eurer Luise hat uns in hohem Grade überrascht, und nimmt die volle herzliche Theilnahme in Anspruch, die ein für das einzelne Menschen- und Familienleben so wichtiges und folgenreiches Ereigniß erwecken muß. Wir bringen dazu der lieben Braut mit ihrem Bräutigam und Euch, den Eltern und Geschwistern, die davon am nächsten ergriffen werden, unsere herzlichen Glück- und Segenswünsche. Es giebt dabei sehr, sehr viel zu wünschen, und da die Erfüllung äußerst wenig in unserer Macht liegt, so fühlen wir uns nothwendig getrieben, den Beistand des allmächtigen Gottes, unseres himmlischen Vaters anzurufen. Wir wollen daher auch unser Gebet mit dem eurigen vereinigen, daß Er den Bund, der in Eurem Hause für Zeit und Ewigkeit geschlossen werden soll, mit reicher Gnade segnen möge! – Es ist uns sehr erfreulich, daß Du mit berechtigter Befriedigung so treffliche und erdenkliche Eigenschaften von Deinem künftigen Schwiegersohn berichten kannst, welche Dir auch die Zuversicht gegeben haben, ihm Dein Kind mit vollem Vertrauen übergeben zu können. Freilich bedauern wir auch mit Dir die obwaltende Differenz der Konfession; doch pflichte ich Dir darin bei, daß aus diesem Grunde sich hinterher ein Veto der Eltern schwerer durchsetzen läßt, und wir Anderen müssen noch viel mehr die vollbrachte Thatsache annehmen. Es läßt sich dies überhaupt nicht durch eine prinzipielle Beurtheilung erledigen, sondern die konkreten Umstände des einzelnen Falles sind von erdenklichem Gewicht und erfordern auch im Weiteren eine vorsichtige und gewissenhafte Behandlung.

Es thut mir leid, daß Dir der Katalog von Gypsabgüssen aus der Handlung von Micheli2, den Dir Willi am Tage nach Eingang Deines Briefes vom 4ten dieses Monats3 besorgt und Dir unter Kreuzband per poste zugeschickt hat, nicht zugekommen ist, und ich werde einen anderen Katalog morgen holen lassen und hier beifügen. Eichler4 hat keinen gedruckten Katalog und nicht so reiche Auswahl, namentlich nicht in antiken Kunstsachen, wie Micheli.

Deinen Baarbestand werde ich Dir hiermit in runder Summe mit 25 Taler übersenden.

An Personen, welchen Du hier noch eine Verlobungs-Anzeige zu senden hättest, wüßte ich auch Niemand nothwendig vorzuschlagen. Meine Schwäger werden dagegen Sie mit aufrichtiger Theilnahme empfangen. Theodor war vor einige Tagen, als Herrmann hier durchreiste, bei uns; er hat an seinem nervösen Leiden viel zu tragen, behält aber in wunderbarem Maaße seine geistige Frische und Regsamkeit. Herrmann war auf dem Weg nach Meran, um dort oder im oberen Italien wieder die Monate des Frühjahrs wegen seines hartnäckigen und nicht unbedenklichen Katarrhs zuzubringen; er konsumirt auch zu viel Kräfte durch die Lebhaftigkeit seines Temperaments und das Bedürfniß eines geselligen Verkehrs. Adalbert verweilt noch in Arolsen, ist aber im Begriff, in Lippe-Detmold als regierender Minister einzutreten, um dort, wo möglich, die Verfassungswirren5 mit Geschick zu lösen. Seine Bedingungen hat der Fürst, Serenissimus, sämtlich angenommen und er wartet jetzt nur noch auf die Entbindung von seiner jetzigen Stellung. Er hat ein starkes Grauen vor den Verdrießlichkeiten, die dort seiner harren; er glaubte aber der bestimmten Aufforderung des allmächtigen Bismarks nicht widersprechen zu dürfen.

Wir befinden uns hier jetzt in Mitten heftiger kirchlicher Wirren durch das aggressive Vorgehen von Lisco und Sydow und es scheint, daß die tiefgreifende Auseinandersetzung der Partheien innerhalb der evangelischen Kirche sich nicht wird vermeiden lassen. Wir hofften, bei Lisco noch leidlich durchzukommen, da er bei der Besprechung mit Brückner einen entschiedenen Rückzug angetreten hatte; sein weiteres Gebahren wird uns aber zum entschiedenen Einschreiten nöthigen, so wie wir auch im Begriff sind, gegen Sydow die Disciplinar-Untersuchung wegen seines Vortrags über die wunderbare Geburt Jesu6 einzuleiten. Wir hatten ihn am vergangenen Donnerstag7 vor dem Kollegium; es war eine höchst merkwürdige Versammlung8; er zeigte sich aber durch seine Offenheit anständiger und achtungswerther, als Lisco. Ich befinde mich dabei in einer sehr schwierigen und sorgenvollen Lage, einerseits dem ebenso schlauen als unverschämten Gegnern, welche nun auch eine große Opposition in Stadt und Land ins Werk setzen, gegenüber, andererseits in Bezug auf den altersschwachen und unfähigen Ober-Kirchenrath und bei der Ueberzeugung, daß dem Könige diese Wirren und unser Vorgehen höchst unangenehm sind. Brückner selbst, als General-Superintendent ist dabei eine sehr unzuverlässige und sich möglichst deckende Stütze, und ich muß die Sache in der Hauptsache selbst bearbeiten und fest in der Hand behalten. Sie erfordert aber nicht bloß Festigkeit, sondern daneben auch in jedem Schritt die vorsichtigste und gründlichste Ueberlegung. Gott wolle gnädig durchhelfen, daß wir in Seiner Kirche mit Ehren und gutem Erfolge in dem schweren Kampfe bestehen.

Meine Frau und Kinder werden selbst schreiben; ich habe daher hier nur für mich meine herzlichen Grüße für die liebe Susanna und insbesondere das glückliche Brautpaar mit meiner speziellen Empfehlung für den persönlich noch unbekannten Bräutigam auszusprechen. Deiner lieben Frau noch auch meine Glückwünsche zu dem gestrigen Geburtstage9, der durch die Verlobung nun ungewöhnliche Bedeutung erhalten hat.

Von ganzem Herzen
Dein Immanuel