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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 2. August 1872

Lieber Karl!

Morgen, Sonnabend, früh wollen wir nun auch nach Johannisbad abreisen und hoffen dort am Abend bei guter Zeit einzutreffen. Nachdem ich in der brennenden Hitze hier noch sehr arbeitsvolle Wochen im Schweiße verlebt habe, freue ich mich herzlich auf ein gründliches Ausruhen und eine erfrischende Luft im waldigsten Gebirge. Du wirst auch in dieser Woche anstrengende Festtage in München zugebracht haben1; es ist bei solcher Gelegenheit immer viel Tumult und meistens weniger Erquickung; aber unter den obwaltenden Zeitverhältnissen wird doch ein spannendes Interesse alle Theilnehmer bewegt haben; Curtius, den ich am Sonntag2 vor der Abreise bei Lepsius antraf, wird Dir vielleicht meinen Gruß überbracht haben.

In der nächsten Woche hast Du aber erst eine rechte und wahre Festwoche und zu dieser bringe ich Dir alle meine herzlichsten Glück- und Segenswünsche, insbesondere aber für das glückliche Brautpaar. Gern würde ich dabei Zeuge und Gast sein; es war aber leider schlechterdings nicht möglich zu machen. Um der lieben Braut jedoch auch als Onkel meine besondere Theilnahme zu bezeugen, übersende ich Dir hiermit ein Kästchen, als eine dauernde Stiftung in ihr Hauswesen, mit der Bitte, daß Du es ihr mit dem herzlichen Wunsche übergeben wollest, bei dem Gebrauche des Berliner Onkels freundlichst zu gedenken. Gott, der Herr möge aber ihren Bund mit Seiner Gnade reichlich segnen, ihren Hausstand in Seinem allmächtigen Schutz bewahren und sie darin zu Eurer, der Eltern, Freude möglichst ungetrübte Tage und Jahre in glücklichem inneren Frieden verleben lassen. Wir werden am Hochzeitstage Euer Aller in herzlicher Liebe und Theilnahme im Böhmerlande gedenken. Clara und Marie sind heute zu sehr durch die Reisevorbereitungen in Anspruch genommen, um selbst noch schreiben zu können; sie werden aber bald von Johannisbad Euch ihre Grüße senden. – Rudolf Bitter ist seit acht Tagen in Posen und hat auch bereits eine Wohnung, freilich bei der gleichfalls dort herrschenden Noth zu sehr hohem Preise gemiethet. Ueber den Tag der Hochzeit werden wir nun auch dann gleicher Zeit Beschluß treffen müssen, mit dem lebhaften Wunsche, es möglichst so einzurichten, daß Du auch daran Theil nehmen kannst.

Du hast zahlreiche Gäste zur Hochzeit zu erwarten und es wird die Kraft und Besonnenheit der lieben Hausfrau und Mutter eine starke Probe bestehen müssen. Den lieben Verwandten aber, welche sich dazu einfinden werden, sage auch von mir viele herzliche Grüße, indem ich es auf das lebhafteste bedaure, sie bei dieser Gelegenheit nicht wiedersehen zu können.

In herzlicher Liebe
Dein Bruder
Immanuel.