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Karl Hegel an Immanuel Hegel, Erlangen, 9. August 1872

Lieber Manuel!

Vor allem sage ich Dir herzlichen Dank für Deine Glück- und Segenswünsche1 und für das schöne Hochzeitsgeschenk, welches sie begleitet hat, für das liebenswürdige Telegramm, welches gerade rechtzeitig beim Mittagsmahl um 5 ½ Uhr gleichzeitig mit einem aus München von unserem Haus-Freund Obristleutnant Freudel eintraf. Das junge Ehepaar selbst, welches heute vermuthlich über Augsburg den Bodensee erreicht, wird seinen Dank später nachsenden, sobald es sich erst häuslich eingerichtet haben und zu Ruhe gekommen sein wird. Denn das Hochzeitsfest2 haben wir nun endgültig überstanden und es wird gestern und heute im Hause eingeräumt, was für dasselbe hergerichtet wurde. Doch diese Verwirrung und damit verbundene Beschwerde hat meine liebe Susanna mit gewohnter Leichtigkeit und Umsicht überwunden, um so mehr als sie sich darüber hinweg gehoben fühlte durch das Bewußtsein und die Anschauung von dem Glück meiner lieben Tochter, welche ihre höhere Bestimmung darin gefunden, sich dem Manne, der sie innig liebt, in gleicher Liebe als Gattin zu verbinden.

Die Trauung fand um 12 ½ Uhr in der Neustädter Kirche statt und wurde in Abwesenheit von Thomasius durch meinen Collegen von Zezschwitz mit einer sehr schönen und beredten, wenn auch etwas langen, Traurede vollzogen. Von den lieben Nürnberger Verwandten waren zugegen die Großmama, die Onkel Gottlieb und Wilhelm ohne Frauen (Thekla ist in Simmelsdorf und leidend, Frida in Leitheim), die beiden Grundherr Friedrich und Ferdinand mit Frauen und Tochter Rosa, die Schwäger August mit Frau, Max und Ulrich, letzterer ohne Frau Caroline, die im Wochenbett zu Schney bei Lichtenfels vor wenigen Tagen eines Töchterlein genesen ist; dann Zezschwitz und Frau, welche letztere eine Jugendfreundin der meinigen ist, gehörten mit zu den Gästen beim Hochzeitsschmause. Dieser wurde nach meinem Wunsche im eigenen Hause gehalten; wir waren zu 24 an der Tafel und im Gartenzimmer daneben noch ein Kindertisch zu 4. Die Stimmung war heiter und belebt genug und wurde noch erhöht durch die auf dem Drahtwege3 kundgegebenen freundlichen Beweise der Theilnahme aus der Ferne, so daß man sich auch nicht stören ließ durch einen furchtbaren Orkan mit Regenguß, der nach mildem, nicht zu sonnigem Tage in der späteren Nachmittagsstunde losbrach; eher wurde sie wenigstens unterbrochen durch den langen Redestrom meines geistliche Freundes, der wenn er einmal anfängt, nicht wieder aufhören kann und Andere kaum zu Worte kommen läßt. Einige ehrbare Nürnberger, August Grundherr voran, dem seine Frau wie ein Soldat pariren muß, und Ferdinand ihm nach, der gleichfalls auf Ordnung hält, wie oft auch seine Frau dem Sauertopf über die Schnur haut – ließen sich nicht halten, mit dem Eisenbahnzug nach 6 Uhr, noch vor dem Brautpaar, ich will sagen Ehepaar, und vor der Eistorte nach Nürnberg abzufahren; die anderen aber blieben bis nach dem Ende des freilich allzu langen Tractaments4, welches meine gute Frau als ihre Ehrensache betrachtete und welches abzukürzen ich alle meine Beredsamkeit nur vergebens verschwendet hatte. Georg mein Erstgeborener, dem ich das Mundschenkenamt anvertraut hatte, kam leider bei diesem Amt zu Fall und mußte in der Stille zu Bett gebracht werden; mit ihm der kleine Gottlieb, dessen Ausgelassenheit von einigen Festgenossen mißbraucht worden; tapfer auf dem Plan sieht sich der brave Mundel, der freilich einen guten Magen hat, und unangefochten von allen Versuchungen das sittsame und kluge Sophiechen! Ich habe vergessen der Brautjungfer Ida Schnitzlein, Luisens nächste Freundin zu gedenken und des Ehepaars Lommel aus München, welches zur Verherrlichung des Hochzeitsfestes des Bruders der Einladung gefolgt war. Das junge neuvermählte Paar reiste um 7 oder 7 ½ Uhr nach Nürnberg ab, wo es übernachtete, und wollte am folgenden Tage die Tante Luise Löffelholz in Augsburg besuchen; noch haben wir keine Nachricht von ihm5 erhalten.

Meine Vorlesungen habe ich bereits Ende Juli beendigt, da ich als Deputirter zum Münchener Jubiläum6 mich begeben mußte. Dort habe ich manche Strapaze in Hitze und Schweiß, Essen und Trinken, Redenhören und Repräsentation aushalten müssen. Die Festvorstellung mit Lohengrin dauerte beinahe bis Mitternacht; drei Mal zogen wir im Talar auf die Universität am Ende der Ludwigsstraße; im Festzug gingen wir fast durch die ganze Stadt vom Akademiegebäude aus an der Residenz vorüber, wo die jugendliche einsame Majestät am Fenster stehend huldvoll unser Hoch entgegennahm; glücklicher Weise war der Himmel bedeckt und tröpfelte es bisweilen; die Julisonne hätte uns sonst in der schattenlosen Ludwigstraße leicht zu Boden geworfen! Der Held des Festes war der Rector Döllinger, der von Anfang bis zu Ende mehr als die Universität gefeiert wurde. Schon bei der Anrede im Namen der Deputationen brachte Sybel ihm ein dreimaliges Hoch aus: ein gleiches folgte auf die Festrede, und bei jedem der beiden Festessen und endlich bei dem Volksfest im Augustinerkellerbräu, denn auch der Münchener Bürger feiert seinen Döllinger, ist liberal und gut deutsch: durch die ganze Stadt hingen die deutschen Reichsfahnen neben den bairischen, die sonst allein den Platz behaupteten. Die Fahrt nach Landshut habe ich nicht mehr mitgemacht; leider wurde sie durch anhaltendes Regenwetter gestört; ich kehrte am selben Tage, dem 3. August, hierher zurück.

Nach allen diesen Festen brauche ich Erholung, nicht lange will ich fort und auch nicht weit; meine Frau muß hier bleiben, um die Ausstattung vollends zu besorgen und die Wohnung des jungen Paares herzurichten, welches 5 – 6 Wochen ausbleiben und durch die Schweiz und Oberitalien bis Florenz reisen will. Ich denke in nächster Woche nach Kissingen zu gehen, von dort, wenn das Wetter wieder warm wird – denn jetzt ist es kühl und reich an stürmischen Regengüssen – nach Brückenau, mehr um mir diese Bäder anzusehen als sie zu gebrauchen, Bekannte zu treffen, am meisten aber um auszuruhen, den ganzen September über werde ich zu Hause sein; die historische Commission ist diesmal, ungewöhnlich spät, erst am 8. October einberufen7; außerdem bin ich zur Prüfungscommission für Lehramtscandidaten8, die am 7. beginnt, ernannt worden; bis dahin also muß ich in München sein; immerhin wäre es mir möglich, die Hochzeit Deiner lieben Tochter in Berlin mitzufeiern, wenn sie nicht später als in der ersten Woche des Octobers stattfände; nur für meine Frau und Tochter Anna kann ich auf alle Fälle zusagen; letztere, nämlich Anna, würde auch gern noch einige Zeit länger bei Euch bleiben, falls es anginge, wiewohl ich sie sehr ungern im eigenen Hause vermisse. Gern bin ich jedoch bereit dem lieben Mädchen, was ihr Freude macht, zu gewähren, da sie mit heiterem und selbstlosem Sinn auf den letzten Theil des Lebensglücks verzichtet; ja selbst das Talent für Musik, welches sie mit Eifer und bestem Erfolg auszubilden bemüht ist und das sie vorzugsweise beglückt – wie bald kann es sein, daß es ihr umsonst gegeben ist!

Für meinen Sohn Georg ist nun auch der Zeitpunkt gekommen, um über seinen künftigen Lebenslauf die Entscheidung zu treffen. Diese wird schon dadurch einigermaßen erleichtert, daß die Wahl enger begrenzt worden ist. Er hat die Prüfung für den Übergang von der Lateinschule zum Gymnasium nicht bestanden. Bei seiner mittelmäßigen Begabung, welche die Unlust zum Lernen, namentlich bezüglich der alten Sprachen, zur natürlichen Folge hat, habe ich schon länger für ihn auf das Studium verzichtet. Noch blieb das Studium der Forstwissenschaft in Aussicht; aber auch bei diesem sind die Forderungen sehr erhöht worden und die Aussichten auf Fortkommen hier zu Lande durch Einziehung einer Anzahl der Forstämter sehr verkümmert; überdies hat Georg bei vollendetem 16. Lebensjahr unter Hinzurechnung von mindestens weiteren 5 Jahren, die er noch auf der Lateinschule und dem Gymnasium zubringen müßte, bereits das Alter überschritten, welches bei der künftigen Aufnahme in die Forstakademie zu Aschaffenburg vorausgesetzt wird. Es bleibt nur noch übrig ihn auf die Gewerbeschule, die Handelsschule, oder die Landwirthschaftliche Schule zu schicken, um ihn entweder für ein technisches Fach, oder für den Kaufmannsstand, oder zum Ökonomen auszubilden. Ich bin am meisten geneigt, das letztere zu wählen, wobei sich besonders die sehr gute landwirthschaftliche Anstalt zu Lichtenhof bei Nürnberg empfiehlt; indessen hat er selbst mehr Lust zum Kaufmann und in dieser Absicht müßte er die Handelsschule9 in Nürnberg besuchen; ich bin im Begriff über diese und die Möglichkeit, ihn dort irgendwo in einer Pension unterzubringen, Erkundigung einzuziehen. –

Möge es Dir, lieber Manuel, und den Deinigen wohl gehen; das Wetter scheint sich endlich heute wieder zum Besseren zu wenden. Susanna grüßt herzlich. Curtius hat mir in München Deinen Gruß ausgerichtet.

In brüderlicher Liebe
Dein Karl.