Obwohl Du aus meinem Hause Nachricht genug erhältst und durch unsere Tochter immer auf dem Laufenden bleibst, hast Du doch von mir selbst lange nichts mehr gehört. Es ist auch Gottlob nur Gutes von uns zu berichten, da es uns Allen wohl geht und Jeder in seiner gewohnten Thätigkeit fortfährt. Durch die Verminderung der Kinderzahl von 7 auf 4 ist es im Hause merklich stiller, durch Georgs Entfernung bei weitem friedlicher geworden. Wenn ich bei Luisens ehelichem Glück reine Freude empfinde, so gereicht es mir auch zur großen Genugthuung, daß Georg, der mir sonst so viel Verdruß und Noth und Störung verursacht hat, endlich in seinem neuen Beruf, als Kaufmannslehrling, gut einzuschlagen scheint; sein Dienstherr ist mit ihm zufrieden, auch in die sonstigen Verhältnisse seines Pensionshauses, in welchem er sehr gut aufgehoben und unter sorgsame Obhut genommen ist, hat er gelernt sich zu schicken, und er selbst genießt zum ersten Mal das Glück, von seinen Eltern gelobt zu werden. Ich will nur wünschen, daß er auf dem guten Wege bleibe! an Ermunterung dazu soll es von unserer Seite nicht fehlen. Meine liebe Anna vermisse ich schmerzlich, doch will ich sie Euch gerne, noch über Weihnachten hinaus, lassen, da sie bei Eurer Liebe ebenso gut aufgehoben ist wie bei uns und so glücklich schreibt über alles Gute, das sie von Euch und bei Euch erfährt, so wie über die vielen neuen Anregungen, welche ihr nur dort geboten werden können; besonders ist die unterbrochene ärztliche Kur noch fortzusetzen und ihr endlicher Erfolg abzuwarten, wenn auch die Hoffnung darauf nur eine geringe sein kann. Über diesen Punkt, nämlich den bisherigen Erfolg, hat sie selbst nichts mehr geschrieben, wohl um uns nicht vergeblich hoffen zu lassen; ich möchte aber von Dir erfahren, ob Du irgend eine Veränderung bei ihrem Gehör erfahren hast. Ihre geistige Empfänglichkeit und Genuß- fähigkeit hat sich jedenfalls nicht vermindert, sondern vielmehr erhöht, und überaus große Freude hat es mir gemacht, von ihr zu hören, daß sie sich viel mit Zeichnen beschäftigt, wobei ihr die liebe Tante die beste Anleitung giebt, denn eben dies habe ich für sie schon lange gewünscht, aus dem unausgesprochenen, aber nahe liegenden Grunde, daß sie daran eine dauernde Freude finden könnte, auch wenn ihr einmal der musicalische Sinn verschlossen sein sollte.
Ich lese über neuere Geschichte seit der Reformation und habe nun auch, nachdem einige Geldmittel für Prämien und Bücheranschaffungen bewilligt worden sind, ein historisches Seminar eingerichtet1, für welches sich zu meiner Freude 12 Theilnehmer, zwei oder drei Mal so viel als ich erwartete, gefunden haben. Ich werde mit ihnen Quellen zur Geschichte Carls des Großen durchgehen und sie daraus selbständig arbeiten lassen. Ich verspreche mir davon eine fruchtbringendere Wirksamkeit als aus den bloßen Vorlesungen, besonders wenn es endlich Ernst wird mit der seit langem beabsichtigten Reform unseres Gymnasialwesens, wobei für besseren Geschichtsunterricht gesorgt werden soll.2 Dazu ist jetzt Aussicht vorhanden, nachdem ein sogenannter oberster Schulrath aus Fachmännern ernannt worden ist, an welchem außer bairischen Schulmännern auch zwei vormals preußische, Giesebrecht und Urlichs, Theil nehmen3; und zweckmäßige Reformvorschläge sind schon vor mehreren Jahren durch eine ebenso zusammengesetzte Commission ad hoc vorgelegt worden.
Die Prüfungen der Schulamtscandidaten4, an denen ich im October drei Wochen lang in München Theil nahm, haben mir recht deutlich gezeigt, wie viel an unserem bairischen Unterricht fehlt, aber auch wie schwer es ist, einen Theil unserer alten Schulmänner von den Mängeln des bisherigen Systems zu überzeugen. Giesebrecht wird daher gewiß oft einen recht harten Stand haben.
In den nächsten Tagen wirst Du von meinem Verleger Hirzel einen neuen Band Nürnberger Chroniken5 erhalten, von Professor von Kern, meinem Mitarbeiter, bearbeitet. Du wirst ihn sicher ungenießbar finden, wenn auch die Familie Tucher darin besonders bedacht ist; denn es ist eine höchst peinliche gelehrte Arbeit.
Ich füge einige Zeilen an meine Tochter hinzu6 und grüße Dich und die liebe Clara in brüderlicher Liebe.