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Karl Hegel an Immanuel Hegel, Erlangen, 9. März 1873

Lieber Manuel!

Unser liebes Kind ist nun schon seit 8 Tagen wieder bei uns und wir haben Euch noch nicht einmal Nachricht gegeben von unserer Freude sie wieder zu besitzen, haben Euch noch nicht gedankt für die viele Liebe, die sie von Euch empfangen, für die vielseitige Anregung und Förderung ihrer Bildung, die sie in Eurem Hause, Eurem Freundeskreise, in der großen Hauptstadt gefunden und mit der Empfänglichkeit ihres Wesens sich angeeignet hat! Vor allem ist sie Euch innig dankbar dafür und wir Eltern sind es Euch mit ihr. – Doch ich erfahre so eben, daß meine Frau schon vor einigen Tagen an Clara geschrieben hat, so daß, was ich Eingangs gesagt, nur für mich speciell gilt. – Gestern hörten wir Anna zum ersten Mal wieder einige Lieder in einem musicalischen Kreise singen, und ich muß sagen, daß sie sich durch Gesangsbildung und Vortrag weitaus vor den anderen hervorthat. Bei ihrem Gehör finden wir leider keinen Unterschied, doch ist es wenigstens nicht schlimmer geworden, und man muß sich dabei resigniren. Sie wird gegenwärtig von den befreundeten Familien so viel in Anspruch genommen, daß sie noch nicht zur Ruhe gekommen ist. Auch die lieben Nürnberger hat sie besucht und die gute Großmama war hier bei uns, der erste liebe Gast in Luise Lommels Haus. Du wirst schon gehört haben, daß sie im Sommer ihre Miethswohnung vor dem Thor, welche ihr aufgekündigt worden, verlassen und die stattliche Wohnung im ersten Stock des Tucherischen Hauses am Egidienplatz, unter Onkel Wilhelm, beziehen wird. Dort bleibt sie dann Gottlob unvertrieben und kann Gäste aufnehmen, wie sie will, wiewohl sie auch in ihrer jetzigen beschränkten Wohnung gegenwärtig Caroline mit drei Kindern und einem Mädchen beherbergt. Auch unser Sohn, der Lehrling, ist Sonntags gewöhnlich nebst August und Marie und Max bei ihr Tischgast, denn es ist ihr eine Freude für Viele zu sorgen und die Ihrigen häufig bei sich zu sehen.

Georg hat sich wenigstens in der letzten Zeit tadelfrei verhalten und steht, wofür wir nicht genug dankbar sein können, in seinem Kosthause bei Oberlieutnant Angerer, nebst anderen jungen Leuten, unter sorgsamer und gewissenhafter Aufsicht der Frau des Hauses.

Für die Übersendung der Actenstücke in der Sydow‘schen Angelegenheit1 bin ich Dir dankbar und erwarte mit Spannung den weiteren Verlauf der Sache. So viel ich sehe, gehen Euer Kirchenregiment und die neuere wissenschaftliche Theologie ziemlich weit auseinander: wäre Weizsäcker aus Tübingen nach Berlin gekommen, so wäre dieser Gegensatz besonders stark betont worden.

Ich hatte mich vor kurzem eines schönen Erfolgs zu erfreuen. Das Nürnberger königliche Kreisarchiv von Mittelfranken, dessen werthvoller Bestandtheil das vormalige Archiv der Reichsstadt ist, sollte aus dem Nürnberger Rathhause, wo es keinen genügenden Raum mehr hat, nach Eichstädt verlegt werden; es war eine zwischen dem Ministerium und der Stadtbehörde abgemachte Sache und die Vorbereitungen zur Übersiedelung wurden getroffen. Da bin ich mit einen Zeitungsartikel in der Augsburger Allgemeine Zeitung dazwischen gefahren, worin ich mit Namensunterschrift meiner guten Geburtsstadt gehörig den Text gelesen und ihr durch Hinweisung auf andere, namentlich norddeutsche Städte einen beschämenden Spiegel vor Augen gehalten habe. Das hat die Wirkung gethan, daß zwei Tage nach dem Erscheinen meines Artikels zugleich der Nürnberger Magistrat die Angelegenheit aufs neue in Erwägung gezogen und das Ministerium des Innern die Vorbereitungen in Eichstädt sistirt hat und der Stadt Nürnberg mit einer Proposition entgegengekommen ist; und jetzt ist man, wie ich höre, auf gutem Wege sich über Anschaffung eines andern Locals in Nürnberg zu verständigen, so daß der Stadt ihr altes höchst werthvolles Archiv erhalten bleiben wird. So viel hat in diesem Fall nicht die Werthschätzung der Sache selbst, sondern allein die Scheu vor dem öffentlichen Scandal vermocht! –

Ich lege 12 Thaler in Papier bei zum Ersatz des vorsorglichen Zuschusses zu Annchens Reisegeld.

So eben erfahren wir, daß Linen’s Rosa sich mit einem trefflichen jungen Kaufmann Namens Georg in Nürnberg, der selbständig, reich und gebildet ist, verlobt hat. Ich kenne ihn persönlich nicht, sondern weiß nur, daß er der Bruder von Rosa‘s Freundin ist, daß sie sich schon lange gekannt haben, so daß ich die schließliche Verlobung schon seit Jahr und Tag erwartet habe. – Mit herzlichen Grüßen an Clara und Eure Kinder.

Dein Bruder Karl.