Die stille Feier des schönen Osterfestes1 bringt mir auch die Muße, die zurückgelegten Briefe zu beantworten. Es ist um so stiller in meinem Hause, als die Hausfrau verreist ist. Clara erhielt am grünen Donnerstag2 Gründonnerstag so traurige Nachrichten über das rasche Fortschreiten der Krankheit von Herrmann in Wiesbaden, daß sie, während sie sonst beabsichtigte, erst im Mai ihn zu besuchen, sich rasch entschloß, noch an demselben Abend aufzubrechen. Am Charfreitag Karfreitag dort angekommen, hat sie ihn noch am Leben gefunden, aber freilich hoffnungslos in dem Zustand völliger Erschöpfung, da er nur noch wenig Nahrung zu sich nehmen kann. Clara wird nun das Weitere abwarten; möglich ist es immer, daß bis zum Ende noch schmerzliche Wochen verlaufen. Pauline pflegt den Kranken, der meist, wie es scheint auch in Folge von Morphium matt und theilnahmslos ist, aber bei Bewußtsein über seinen Zustand im Klaren und seinen Tod erwartet, mit starkem Muth und hingebender Treue. Die fünf Kinder sind jetzt alle bei ihnen, da die 2 Knaben, auf dem Gymnasium in Elbing sich auch zu den Osterferien dorthin begeben hatten. Die alten Frantzius waren im März in Wiesbaden; es ist für sie in ihrem hohen Alter auch eine schwere Prüfung. Auf ihrer Durch- reise haben wir auch diese verschiedenen Glieder der Familie hier begrüßt und zum Theil beherbergt. Es fehlt ihnen nichts zum äußeren glücklichen Leben: Wohlstand, öffentliche Achtung; die Kinder hübsch, begabt, und liebenswürdig; es wird daher dem armen Herrmann schwer aus diesem Leben zu scheiden, doch ist er ergeben in den allmächtigen Willen Gottes und bittet im herzlichen Glauben an Seine Gnade um eine baldige Erlösung. Sein Bruder Adalbert war vor vierzehn Tagen bei ihm, um ihn noch wiederzusehen, und ist bereit, wenn es zu Ende geht, auch wieder hinzueilen.
Mein Clärchen muß mir nun die Wirthschaft führen und thut dies mit großem Eifer und Befriedigung. In acht Tagen wollen die Kinder aus Posen, Marie und Rudolf uns besuchen, indem sie der Hochzeit von Anna Lepsius am 28sten dieses Monats beiwohnen wollen; sie werden bei den Eltern Bitter wohnen. Ob und wann meine Frau bis dahin zurückkehren wird, ist freilich nicht abzusehen. Es wird Deine Anna interessiren zu erfahren, daß mein Willi auch Brautführer sein soll, und sich natürlich bei den Vorbereitungen zum Polterabend lebhaft bethaetigen muß. Mit der Gesundheit von Marie Hengstenberg geht es besser, wenn auch ihr Zustand doch fortwährend ernste Besorgnisse erweckt; es wird aber gehofft, daß sie der Hochzeit wird beiwohnen können; Kögel vollzieht die Trauung und dann wandert das junge Paar nach Holland, wo sie in Leyden in der Sternwarte ihren Hausstand gründen wollen.
Die Ernennung von William Günther zum Oberpräsidenten in Posen ist nun vollzogen und da er meint, bis Ende des Monats die schwierige Aufgabe der Untersuchungs-Commission über die Mißbräuche im Eisenbahn-Konzessions- und Aktien-Gesellschaftswesen abschließen zu können, so hofft er sein Amt in Posen am Anfang Mai antreten zu können. Er hat von lebhaftem Ehrgeiz bewegt, sich um dieses Amt dringend beworben. Was Energie des Willens, praktischer und nüchterner Sinn, und gründliche Geschäftserfahrung anbetrifft, so ist er darin vollkommen tüchtig; von höheren geistigen Interessen und kirchlichen Verhältnissen hat er aber wohl nicht ein ausreichendes Verständniß, und dabei ist er kränklich, verdrießlich und reizbar. In Posen wird aber sich vor Allem ein Kampf auf Tod und Leben mit der katholischen Kirche und dem Erzbischof entwickeln, sobald die neuen Kirchengesetze zur Ausführung kommen werden, und in dieser Provinz hat die Kirche außer dem kirchlichen Gesandten auch noch einen starken Rückhalt in der Nationalität des Volkes. Ich bin nach, wie vor, überzeugt, daß die Regierung in diesem Kampfe hier, wie auch im übrigen Lande völlig scheitern werde, und einen Brand entzündet, den sie nur mit großen Opfern und schweren Demüthigungen wird löschen können. Der Gang nach Canossa dürfte sich in modernem Styl leicht wiederholen.3
Für meine Kinder wird das Günthersche Haus in Posen eine große Annehmlichkeit sein; es ist darin ein behagliches und frisches Leben, welches durch die Frau in liebenswürdiger Weise gepflegt wird. – Vater Bitter hat sich beeilt, da er selbst nicht, wie er hoffen mochte und ebenso gut wie Günther zu erwarten berechtigt war, Oberpräsident geworden ist, als Ersatz sich um die Stelle als Präsident der Seehandlung zu bewerben als Günthers Nachfolger und dieser Wunsch ist ihm gern erfüllt worden. Die Stelle hat in ihrer Selbstständigkeit große Annehmlichkeit und er ist auch dank der rastlosen und aufreibenden Arbeit in den Ministerien herzlich müde. Bitters werden also im Mai in die Jägerstraße übersiedeln, die Mutter Bitter mit großem Schmerze, da sie das Thiergarten-Vergnügen schwer vermissen wird.
Aus Nürnberg sind mir zwei Verlobungsanzeigen von Rosa Grundherr mit Herrn Georg, und von Helene Tucher mit Freiherr Schönprunn zugegangen. Ich bitte Dich, den beiden Brautpaaren und ihren lieben Eltern meine aufrichtige Theilnahme und meine herzlichen Glückwünsche auszusprechen, und mich freundlichst zu entschuldigen, wenn ich dies nicht noch besonders auch schriftlich zu erkennen gebe. Meine Zeit und Kräfte werden immer knapper und unzureichender, und ich muß mich auf das täglich Dringende und Nothwendige beschränken. General-Superintendent Hoffmann ist auch an Rippenfellentzündung und Herzleiden schwer erkrankt; wir hoffen auf Beßerung; es wäre in jetziger Zeit ein schwerer Verlust, da er trotz seiner Fehler und Schwächen ein im Glauben, Theologie und kirchlich tief fundirter Mann ist, den wir bei seinem großen Einfluß an höchster Stelle nicht entbehren können.
Herzliche Grüße der lieben Susanna, dem trefflichen Charakter Anna und Deinen übrigen Kindern von Deinem