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Karl Hegel an Immanuel Hegel, Erlangen, 12. September 1873

Lieber Manuel!

Wir sind heute vor acht Tagen aus unserer Sommerfrische in Garmisch wieder glücklich in dem stillen und friedlichen Erlangen angelangt. Dort hatten wir, nachdem die Kinder die Masern glücklich überstanden, in den letzten acht Tagen fast beständiges Regenwetter, welches nur einmal am Montag Nachmittag sich aufhellte und so mit seltenem Glück das verabredete Zusammentreffen mit Löffelholzens in Ettal begünstigte. Diese haben, wie Du weißt, in Kohlgrub, zwei bis drei Stunden westlich von Murnau, ein Bauernhäuschen erworben und bequem für sich zum Sommeraufenthalt eingerichtet. Dort weilten sie seit kurzer Zeit und erwarteten auch die Ankunft der lieben Mama aus Nürnberg. Das alte Kloster Ettal, nunmehr außer der stattlichen Kirche nur die Herberge einer Brauerei des Grafen von Pappenheim, unweit Oberammergau gelegen, und ungefähr gleich weit entfernt von Garmisch wie von Kohlgrub, war von beiden Seiten zum Ort der Zusammenkunft erwählt, wo wir uns an dem schönen Nachmittag mit unseren Familien eines wenn auch kurzen Zusammenseins erfreuten. Darauf verließ ich mit den Meinigen am Mittwoch den 3. September das heimeliche Dorf Garmisch und seine stolzen Berge, Waxenstein und Zugspitze, bei trübem Wetter, welches die Wolken immer tiefer herunter senkte und bald wieder strömenden Regen herabschickte, bis wir an den schönen grünen Plansee gelangten, welchen auf kurze Zeit einige Sonnenblicke erhellten; von dort kamen wir bis Mittag nach Reute in Tirol und sahen auf dem Wege die großartigen Wasserfälle des Abflusses aus dem Plansee. In Reute nahm ich einen anderen Wagen bis Hohenschwangau über Füßen, wohin uns aufs neue strömender Regen auf der Fahrt durch das Lechthal begleitete. In Hohenschwangau konnten wir noch am Abend das königliche Schloß in hochromantischer Lage betrachten, da die Königin Mutter, die es zur Zeit bewohnt, eben ausgefahren war. Der König, der die Einsamkeit liebt, bringt gewöhnlich einige Wintermonate dort zu bei nächtlichen Spazierfahrten, während er die Tage halb verschläft, und suchte jetzt eben einige der entlegensten Gebirgshöhen auf, welche nur selten von neugierigen Touristen erreicht werden; sonst wohnt er bekanntlich im Sommer in Berg am Starnberger See, auch dort nur für Wenige zugänglich, ein königlicher Sonderling, der seine Jugend verträumt und doch ein großes Land regiert, dem bei allem hohen Monarchenstolz doch alles männliche Selbstvertrauen fehlt, der aber doch zur rechten Zeit die Nothwendigkeit seiner Lage begreift und, wenn auch mit Widerwillen, ihr folgt und sicher nichts dagegen hat, wenn man ihm die halb erzwungenen Entschlüsse als persönliches Verdienst anrechnet und ihn darum preist. Man kann ihm keine glückliche Zukunft versprechen! – Hohenschwangau gegenüber auf weiter zurückliegender Bergeshöhe, unter welcher in tiefer Felsenschlucht ein Waldstrom sich hinabstürzt, baut er sich ein anderes romantisches Prachtschloß im mittelalterlichen Stil, dessen großes Zinnenportal mit vorspringenden halbrunden Erkern bereits fertig dasteht. Hinter diesem, zu welchem eine Zugbrücke führen wird, befindet sich noch ein hoher Fels, welcher terrassenartig erst den Zugang zu dem Schloß bilden wird, von dem bis jetzt nur die colossalen Steinfundamente aufgezeichnet sind. Die Lage mit dem Rundblick auf das Hochgebirg, die Seen und die Ebene ist unvergleichlich schön. Dieses neue Schloß erstiegen wir am folgenden Vormittag ohne Regenwetter und erreichten am Nachmittag die Eisenbahn von Lindau nach Augsburg bei Bissenhofen, übernachteten in der alten Reichsstadt Kaufbeuren und gelangten durch die Eisenbahnfahrt des dritten Tages endlich nach Erlangen zurück.

Lommels, welche mit uns den Aufenthalt in Garmisch theilten, blieben noch einige Regentage länger dort und besuchten Löffelholzens in Kohlgrub, wo sie nun auch die Großmama antrafen.

Ob ich Anfang October nach München zur historischen Commission gehen werde, weiß ich noch nicht; die Einladung ist da, doch wird sie vielleicht der Cholera wegen widerrufen. Einen höchst schmerzlichen Verlust habe ich durch das Hinscheiden meines vortrefflichen Freundes, Oberbibliothekar Stälin in Stuttgart, des würtembergischen Geschichtsschreibers, erfahren, der seit Jahren mein lieber Genosse bei der historischen Commission war.

Deinen lieben Brief vom 3. September1 aus Johannisbad erhielt ich nach meiner Ankunft. Ihr wart offenbar mehr durch das Wetter begünstigt. Möge die Erfrischung und Stärkung, die Ihr dort gewonnen, recht lange vorhalten! Meine Frau hat sich, wie es scheint, auf der Reise erkältet, befindet sich aber jetzt wieder, wie wir Alle wohl. Sie hat eben Gesellschaft und ich kann sie nicht im Moment sprechen, um mir Grüße an Euch aufzutragen. Darum nehmt mit den meinigen allein vorlieb.

Herzlich grüßend
Dein Bruder Karl.