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Karl Hegel an Immanuel Hegel, Erlangen, 22. September 1873

Lieber Manuel!

Ich bringe Dir meinen brüderlichen Jahresglückwunsch1, wie schon so manches Jahr, so auch dies Mal unter immer veränderten Lebensverhältnissen. Ungeachtet unser Alter sich immer mehr dem Abschluß zuneigt, blicken wir doch mehr nach dem, was die Zukunft für uns birgt, als was die lange Vergangenheit uns schon gebracht hat. Wenigstens mir geht es so, und zwar trotzdem, daß gerade meine wissenschaftliche Beschäftigung in der Vergangenheit sich bewegt. Was Dich betrifft, so denke ich mir, daß Deine Wünsche, wie Deine Sorge, in Ansehung Deiner lieben Angehörigen jetzt hauptsächlich auf die bevorstehende Niederkunft Deiner Tochter Marie gerichtet sind, in Ansehung Deiner amtlichen Berufsthätigkeit aber durch die bevorstehende und schon eingeleitete Neugestaltung der evangelischen Kirche in Anspruch genommen werden. Ich bin gespannt darauf über diese Dein Urtheil zu vernehmen, und wie Du Dich selbst dazu stellen wirst. Da ich die concreten Verhältnisse zu wenig kenne, so will ich mir selbst kein Urtheil erlauben, außer das allgemeine, daß ich von der bloß theoretischen Seite her an der neuen Ordnung Vieles zu loben und nichts zu tadeln fände, ohne mir jedoch gerade viel für die Erweckung des inneren kirchlichen Lebens in den Gemeinden davon zu versprechen. Wenigstens bei uns in Baiern ist von letzterem wenig zu erspüren.

Es ist immer noch ungewiß, ob unsere historische Commission dies Mal in München zusammenkommen wird; abgesagt ist sie zwar noch nicht, aber von Seiten der Staatsregierung sind die Prüfungscommissionen2, so wie die Eröffnung der Schulen am 1. October wegen des Gesundheitszustandes in München3 hinausgeschoben. Es wird für uns wohl hauptsächlich davon abhängen, ob Ranke kommen will.

In meinem Hause geht es Allen gut. Meinen Reisebrief4 wirst Du erhalten haben. Gestern machten wir, die ganze Familie nebst Lommels, einen Ausflug nach Forchheim und besuchten die eine Stunde weit von dort auf der Höhe gelegene Jägersburg, wo die Reisenden Schlagintweit ihre vergebens zum Verkauf angebotene Sammlung indischer und tibetanischer Raritäten haben und wo wir noch lieber als in diese, in das Thal nach Bamberg hinunterschauten. Auf den Bierkellern von Forchheim gab es schließlich ein vortreffliches Getränk.

Zu den gewünschten Photographien füge ich noch die des amerikanischen Präsidenten Grant und des spanischen Castelar hinzu; doch begehre ich nur solche, die sich als gute oder vorzügliche empfehlen und sehe davon ab, wo solche nicht vorhanden sind.

Meine Frau und Töchter schließen sich meinen herzlichen Wünschen für Dein Wohlergehen, wie für das Deiner Lieben mit gleicher Theilnahme an. Alle grüßen die liebe Clara nebst Willi und Clärchen und wünschen recht bald von Euch zu hören.

In treuer Liebe
Dein Bruder Karl.