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Karl Hegel an Immanuel Hegel, Erlangen, 9. November 1873

Lieber Manuel!

Empfange meinen herzlichen Glückwunsch zur Ankunft Deines ersten Enkels, den ich selbst meinen Großneffen nenne! Möge der reichste Segen von oben über dem Wachsen und Gedeihen dieses neuen Ankömmlings auf der schönen deutschen Erde zur Freude seiner Eltern und ihrer beiderseitigen Angehörigen walten! Ein kräftiger hoffnungsvoller Junge soll es ja sein. Clara schrieb selbst von der glücklichen Entbindung an meine Frau. Gebe Gott, daß die junge Mutter sich rasch wieder erholt und die Freude an dem geliebten Kinde ungetrübt genieße! –

Wir sind hier Gottlob Alle wohl. Das Semester hat wieder begonnen und mit ihm die volle Arbeit der Vorlesungen, der Universitätsgeschäfte, der Gesell- schaften selbst, die während der Ferien meist ruhen.

Ich bin noch vom 20. – 24. October bei der historischen Commission in München gewesen1, welche in diesem Jahr der Cholera wegen auf den späteren Termin verschoben worden. Von Berlin war nur Ranke erschienen, nicht Pertz, der ganz stumpf geworden sein soll. Ranke ist noch immer sehr lebendig, liefert auch jedes Jahr noch einen neuen Band seiner Schriften2, doch war das vorrückende Alter auch bei ihm mehr zu spüren. Mein lieber Freund Stälin, der von uns und der Welt geschieden, fehlte in dem Kreis. Auch der alte Maurer. Waitz, Sybel, Weizsäcker, Wegele waren anwesend außer den Münchenern. Die Deutsche Biographie, welche unter den nicht ganz sicheren Händen von Liliencron sich befindet, hat uns vorzugsweise beschäftigt und ist Wegele als zweiter Redaktor für die eigentlich historische Parthie zugezogen worden. Der Fortgang des Drucks meiner Städtechroniken, des letzten Bandes von Nürnberg3, wurde hauptsächlich durch die schwere Krankheit meines langjährigen Mitarbeiters, Professor von Kern in Freiburg unterbrochen. Er liegt, wie es scheint, hoffnungslos danieder am Genfer See. Die ganze Last der unerfreulichen und wenig lohnenden Arbeit wird auf mich fallen.

An der Politik des Tages nehme ich lebhaften Antheil, besonders an der Entwicklung der Dinge in Frankreich: sie führt meines Erachtens nothwendig zum Königthum zurück, sei es auf directem oder indirectem Wege. Chambord hat sich durch seine Erklärung ein bedeutendes Relief gegeben: nur das unerschütterliche Festhalten an seinem Prinzip macht ihn zu Etwas, vor dem die Franzosen selbst Respect bekommen und am Ende werden sie sich kaum anders zu helfen wissen als ihn anzunehmen unter den Bedingungen, die nicht sie, sondern er ihnen stellt.

Die neuen Wahlen zum preußischen Landtag4 haben die conservative Partei geschwächt, die Gegensätze der Liberalen und Ultramontanen verstärkt. Dies ist der Ausdruck der Mächte, die sich gegenüberstehen und bekämpfen. Die preußische Regierung muß sich nothwendig auf diejenige von beiden stützen, die dem Staat am meisten dient. In unserem Baiern steht derselbe Gegensatz schon längst, wie jetzt wieder, auf dem Landtag im Gleichgewicht. Ein Compromiß ist nicht möglich; die Liberalen haben zur Zeit nur dann zwei Stimmen mehr, wenn eine schwache Mittelpartei von 6 Stimmen sich ihnen anschließt. Diese geben den Ausschlag. Die Regierung hält sich allein durch dies Gleichgewicht. Der König neigt sich mehr zu den Patrioten und Particularisten und will es nicht verderben mit den Ultramontanen. Seine wunderlichen Äußerungen bei Gelegenheit der Einweihung eines Denkmals der Gebliebenen in Garmisch (3 Mann, von denen nur einer im Kriege gefallen, die Andern an Krankheit gestorben sind) wirst Du gelesen haben. Wir waren bei der Grundsteinlegung im August zugegen. Man sah nur blauweiße Fahnen und der Festredner betonte, daß der Kaiser nichts, der König von Baiern aber 200 fl. Gulden für das Denkmal gegeben habe! –

Du schickst mir vielleicht bald die Photographien von Chambord und Mac Mahon. Willi wird sie mir gewiß gern besorgen. Wie steht es mit seinem Examen? Unser Georg in Nürnberg macht sich bis jetzt unerwartet gut, ist zufrieden in seinem Geschäft und giebt zu keiner Klage Veranlassung. Möge es so bleiben!

Susanna und die Kinder grüßen.

Von Herzen der Deinige
als Bruder Karl.