Das schöne Weihnachtsfest, welches so viele Eltern und Kinder in unserem lieben Deutschland froh macht, ist wieder vorübergegangen. Unten in meinem Hause steht der Weihnachtsbaum und daneben die mehreren Weihnachtstische für Groß und Klein, am lustigsten sieht es bei den Kleinen aus. Heute am zweiten Feiertage aber ist es bei uns ganz stille, denn Frau und Kinder sind noch in Nürnberg, wo wir gestern zur Weihnachtsbescherung bei der lieben Mutter im Tucherhaus bei St. Egidien beisammen waren: auch Lommels waren dabei, nur unser Annchen mußte leider wegen eines hartnäckigen Halsleidens, das sie seit längerer Zeit verfolgt und ihr mancherlei Entsagung auferlegt, hier zurückbleiben. Die liebe Mutter hatte von ihren Kindern außer uns nur Marie und August Grundherr und den Sohn Friedrich, der ihre ganze Herzensfreude ist, bei sich, für welche in dem großen Zimmer in der Mitte des Hauses der reiche Weihnachtstisch auf gebaut war; sie hält es damit noch ganz so wie in früheren Jahren, da der gute selige Vater am Leben war, indem sie liebevoll bemüht ist, Kinder und Enkel nach den Wünschen und Neigungen eines Jeden durch ihre Gaben zu erfreuen. Uns wurde ein schöner Tisch beschert hauptsächlich zum Arbeiten für die Kinder und meiner Frau insbesondere ein verschließbares Schreibpult, den Kindern schöne Bücher, Kleidungsstücke, Spielsachen und Süßigkeiten in Fülle für Alle. Gottlob ist die liebe Mutter noch unverändert rüstig, so daß sie die meisten Einkäufe selbst besorgt hat, wie wohl es ihr an einer jungen Gehülfin, Minna Brockdorf, nicht fehlt und zum Sylvesterabend und Neujahr will sie zu uns herüberkommen. Denn sie ist sehr reiselustig und hält immer nur kurze Zeit in Nürnberg Ruhe.
Auch bei Lina Grundherr war gestern große Weihnachtsbescherung, doch sind wir nicht dorthin gekommen, denn auch ihr Familienkreis hat sich dergestalt erweitert, daß die Vereinigung mit dem Tucherischen nicht wohl möglich ist. Onkel Benoit aus Henfenfeld war angekommen; der Bruder Hans, der andere Bruder Premierlieutenant Gottlieb und seine Frau Helena, das junge Ehepaar Georg, welches fast ebenso oft in Nürnberg wie in Schweinfurt ist, fehlten natürlich nicht.
Im Tucherhaus oben bei Onkel Wilhelm oder den Leitheimern1 ging es nicht so fröhlich zu, denn der Onkel lag an einer Art Grippe zu Bett und seine Kinder, welche deßhalb, statt ihn in Leitheim zu sehen, wie sie gehofft, zu ihm nach Nürnberg gekommen waren, zogen es vor, die Weihnachtsferien noch aufzuschieben. Ein Theil der Familie, Tante Frida nebst Susanna und den Söhnen Max und Fritz sind ohnehin abwesend, jetzt zum dritten Mal durch den ganzen Winter in San Remo an der Meeresküste unweit Nizza, und leider sucht nun auch Max der Lieutenant, der den Feldzug mitgemacht hat, dort Genesung von einem Brustleiden.
Mein Schwiegersohn Lommel ist erst vor kurzem aus München zurückgekehrt, wohin er zur Prüfung der Physik- und Mathematiklehrer einberufen war, und befand sich fast drei Wochen dort in der schlimmsten Zeit der Cholera zu unserm und besonders seiner jungen Frau nicht geringen Sorgen. Onkel Gottlieb befand sich wohl, aber Tante Thekla hatte einen nicht unbedeutenden Cholerinenanfall und in ihrem Hause starb eine Frau Oberappellations Räthin an der Epidemie.
Universität und Polytechnicum2 sind schon seit einiger Zeit geschlossen, und erst jetzt ist eine rasche Abnahme der Krankheit, die im Anfang October ganz aufgehört hatte, dann aber mit großer Heftigkeit wiederkehrte, bemerkbar.3
Vor kurzem hatten wir im eigenen Hause einen großen Schrecken. Unser liebes Sophie’chen wurde in der Schule eines Morgens von heftigen Krämpfen mit Sprach- und Bewußtlosigkeit überfallen, ohne daß etwas mit ihr vorgegangen war oder bedrohliche Anzeichen zum voraus darauf hingedeutet hätten. Sie erholte sich zwar bald von diesem ersten Anfall, aber nachdem sie zu Hause gekommen und eine Weile geruht hatte und zu Bette gebracht worden, wiederholte sich dasselbe in der allerheftigsten Weise über eine Stunde lang am Nachmittag und das Bewußtsein kehrte erst, nachdem sie in der Nacht geschlafen hatte, vollständig zurück. Der schreckliche Vorgang war für uns Eltern – die Geschwister wurden fern gehalten – in hohem Grade erschütternd, und hält seitdem fortdauernd die Besorgnis rege, daß er sich über kurz oder lang ebenso unversehens wiederholen könnte. Bis jetzt heißt die überstandene Krankheit eine Eklampsie und das Kind, das seitdem aus der Schule genommen und viel an die Luft gebracht wurde – namentlich …4