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Paul Scheffer-Boichorst an Karl Hegel, Berlin, 15. Juni 1874

Hochgeehrter Herr Professor!

In diesen Tagen hat die Hirzelsche Verlagsbuchhandlung eine Arbeit von mir ausgegeben, deren Inhalt Ihre eigenen Studien auf das Nächste angeht. Ich habe mir daher erlaubt, Ihnen ein Exemplar dieses meiner „Florentiner Studien“ zu übersenden, und hoffe daß Sie das Büchlein nicht ungütig aufnehmen werden. Zum Theile bringt es ja Sachen, die Ihnen schon bekannt sind, den Aufsatz über die Malespini, welcher seiner Zeit Ihre Billigung fand, den Abriß über die Gesta Florentinorum, der schon vor zwei Jahren entstanden, aber erst jüngst im Archiv erschienen ist. Dann biete ich jedoch auch Neues, und wenn dieses Zustimmung erhält, so ist es ja von keiner ganz geringen Bedeutung. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie gespannt ich da gerade auf Ihr Urtheil bin. Die Untersuchung ist schwer, sie geht verschlungene Wege und ich kann nicht erwarten, daß mir Jeder mit derselben Willigkeit folgt, wie bei dem vorausgehenden Aufsatze über die Malespini. Aber ich glaube doch, daß die Schuld mehr an der Geschicklichkeit des angeblichen Dino, als an meiner Ungeschicklichkeit liegt. Bei den Malespini konnte man, plump wie die Fälschung ist, durch demonstratio ad oculos den Beweis führen. Das ging hier nicht. Mit anderen Worten: bei den Malespini war die Untersuchung im Wesentlichen doch formell, bei Dino mußte sie der Hauptsache nach materiell sein. Sie werden dann vielleicht System in der Arbeit entbehren: es könnte Ihnen vielleicht scheinen, daß ich doch besser das Zusammengehörende in einander gearbeitet hätte, anstatt dem chronologischen Verlauf zu folgen. Ich komm darauf und erwidere, daß ich es in der That versucht habe, aber gescheitert bin. Denn umso systematischer ich wurde, um so mehr mußte ich mich wiederholen. Der doppelte Zweck meiner Arbeit, die Fälschung als solche zu erweisen, dann den Ort der Wache zu bezeichnen, war der systematischen Zusammenfassung entgegen. Bei einem Werke aber, das sowohl als Geschichtsquelle, wie auch als Kunstprodukt hochgalt, mußte ich doch nothwendig auch das Wie verfolgen. Und ich meinte, daß der Leser einen viel besseren Einblick in das Gefüge des wunderbaren Werkes erhalte, wenn ich dem Autor Schritt um Schritt nachgehe. Freilich Geduld, viel Geduld muß man haben, wenn man mich in dieser Arbeit mit Erfolg begleiten will. Lassen Sie es sich, wenn ich bitten darf, nicht verdrießen! Ich müßte furchtbar verblendet sein, wenn Sie mir zuletzt die Chronik Dino’s nicht opfern. Damit soll dann ja freilich nicht gesagt sein, daß ich für jeden Beweis Ihre Zustimmung erwarte. Hier waren so manche Verhältnisse zu berücksichtigen, theils der Politik, theils der Verfassung, theils der Local-, theils der Reichs- und Kunstgeschichte, daß ich keinen Augenblick zweifeln kann, auch einmal in einen recht groben Irrthum derselben zu sein. Wenn Sie dann gütig sein wollen, so antworten Sie auf die Frage, mit welcher sich mein Vorwort schließe, mit einem unbedingten Ja, In diesem Vertrauen will ich meine wissenschaftlichen Erörterungen beschließen. Im Übrigen bemerke ich nur, daß ich mich immer noch mit großer Freude der Berchtesgadener Tage von 18712 erinnere. Sie und Ihre geehrte Frau Gemahlin werden mich seitdem wahrscheinlich längst vergessen haben. Da bietet sich dann mit dem übersandten Buche und diesem Briefe eine willkommene Gelegenheit, mich aus der Vergessenheit hervorzuziehen. Indem ich Sie bitte, mich Ihrer Frau Gemahlin zu empfehlen, verbleibe ich in schuldiger Hochachtung

Ihr Ihnen sehr ergebener
Scheffer-Boichorst