In diesen Tagen hat die Hirzelsche Verlagsbuchhandlung eine Arbeit von mir ausgegeben, deren Inhalt Ihre eigenen Studien auf das Nächste angeht. Ich habe mir daher erlaubt, Ihnen ein Exemplar dieses meiner „Florentiner Studien“ zu übersenden, und hoffe daß Sie das Büchlein nicht ungütig aufnehmen werden. Zum Theile bringt es ja Sachen, die Ihnen schon bekannt sind, den Aufsatz über die Malespini, welcher seiner Zeit Ihre Billigung fand, den Abriß über die Gesta Florentinorum, der schon vor zwei Jahren entstanden, aber erst jüngst im Archiv erschienen ist. Dann biete ich jedoch auch Neues, und wenn dieses Zustimmung erhält, so ist es ja von keiner ganz geringen Bedeutung. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie gespannt ich da gerade auf Ihr Urtheil bin. Die Untersuchung ist schwer, sie geht verschlungene Wege und ich kann nicht erwarten, daß mir Jeder mit derselben | Willigkeit folgt, wie bei dem vorausgehenden Aufsatze über die Malespini. Aber ich glaube doch, daß die Schuld mehr an der Geschicklichkeit des angeblichen Dino, als an meiner Ungeschicklichkeit liegt. Bei den Malespini konnte man, plump wie die Fälschung ist, durch demonstratio ad oculos den Beweis führen. Das ging hier nicht. Mit anderen Worten: bei den Malespini war die Untersuchung im Wesentlichen doch formell, bei Dino mußte sie der Hauptsache nach materiell sein. Sie werden dann vielleicht System in der Arbeit entbehren: es könnte Ihnen vielleicht scheinen, daß ich doch besser das Zusammengehörende in einander gearbeitet hätte, anstatt dem chronologischen Verlauf zu folgen. Ich komm darauf und erwidere, daß ich es in der That versucht habe, aber gescheitert bin. Denn umso systematischer ich wurde, um so mehr mußte ich mich wiederholen. Der doppelte Zweck meiner Arbeit, die Fälschung als solche zu erweisen, dann den Ort der Wache zu bezeichnen, war der systematischen Zusammenfassung entgegen. Bei | einem Werke aber, das sowohl als Geschichtsquelle, wie auch als Kunstprodukt hochgalt, mußte ich doch nothwendig auch das Wie verfolgen. Und ich meinte, daß der Leser einen viel besseren Einblick in das Gefüge des wunderbaren Werkes erhalte, wenn ich dem Autor Schritt um Schritt nachgehe. Freilich Geduld, viel Geduld muß man haben, wenn man mich in dieser Arbeit mit Erfolg begleiten will. Lassen Sie es sich, wenn ich bitten darf, nicht verdrießen! Ich müßte furchtbar verblendet sein, wenn Sie mir zuletzt die Chronik Dino’s nicht opfern. Damit soll dann ja freilich nicht gesagt sein, daß ich für jeden Beweis Ihre Zustimmung erwarte. Hier waren so manche Verhältnisse zu berücksichtigen, theils der Politik, theils der Verfassung, theils der Local-, theils der Reichs- und Kunstgeschichte, daß ich keinen Augenblick zweifeln kann, auch einmal in einen recht groben Irrthum derselben zu sein. Wenn Sie dann gütig sein wollen, so antworten Sie auf die Frage, mit welcher sich mein Vorwort schließe, mit einem unbedingten Ja, In diesem Vertrauen
| will ich meine wissenschaftlichen Erörterungen beschließen. Im Übrigen bemerke ich nur, daß ich mich immer noch mit großer Freude der Berchtesgadener Tage von 1871 erinnere. Sie und Ihre geehrte Frau Gemahlin werden mich seitdem wahrscheinlich längst vergessen haben. Da bietet sich dann mit dem übersandten Buche und diesem Briefe eine willkommene Gelegenheit, mich aus der Vergessenheit hervorzuziehen. Indem ich Sie bitte, mich Ihrer Frau Gemahlin zu empfehlen, verbleibe ich in schuldiger Hochachtung
Ihr Ihnen sehr ergebener
Scheffer-Boichorst
Scheffer-Boichorst, PaulPaul Scheffer-Boichorst11860685918431902Scheffer-Boichorst, Paul (1843–1902), in Elberfeld geborener Historiker, der von 1862 bis 1867 an den Universitäten Innsbruck, Göttingen, Berlin und Leipzig studierte, wo er 1867 auch promoviert wurde. Von 1867 bis 1872 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Editionsunternehmen „Regesta Imperii“, dann bis 1875 bei den Monumenta Germaniae Historica. 1875 wurde er außerordentlicher Professor an der Universität Gießen und war von 1876 bis 1890 Ordinarius an der Universität Straßburg, anschließend bis zu seinem Lebensende an der Universität Berlin. Von 1891 bis 1902 gehörte er der Zentraldirektion der Monumenta Germaniae Historica an, ab 1898 war er Mitglied der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Mit Karl Hegel (1813–1901) lieferte er sich einen heftigen Disput über die Echtheit der Chronik des Dino Compagni, bei welchem Karl Hegel recht behalten sollte.
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
Universitätsbibliothek (UB) Erlangen-Nürnberg, Erlangen: Ms. 2053; Ms. 2069; Ms. 2306; Rar V, 11
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UB Erlangen-Nürnberg
1000
Neuhaus, Helmut: Karl Hegels Gedenkbuch. Lebenschronik eines Gelehrten des 19. Jahrhunderts, Köln, Weimar, Wien 2013
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Neuhaus, Helmut: Karl Hegels Gedenkbuch. Lebenschronik eines Gelehrten des 19. Jahrhunderts, Köln, Weimar, Wien 2013.
2013
Malespini (Malispini), Ricordano100198511ca. 1220ca. 1290Malespini (Malispini), Ricordano (ca. 1220– ca. 1290), war ein Florentiner Chronist und Geschichtsschreiber adeliger Abstammung; er schrieb die „Storia Fiorentina“, oft als „Cronica malispiniana“ bezeichnet. Malespini stellte sein Werk bis zum Jahr 1281 zusammen, und es wurde dann bis 1286 von seinem Neffen fortgesetzt. In den ersten Kapiteln folgt er der märchenhaft-sagenumwobenen Überlieferung, dann erzählt er von der Geschichte von Florenz in einfach-lebhaftem Stil.
Dino CompagniDino Compagni118911090um 1246/12471324Dino Compagni (um 1246/47–1324), der in Florenz geboren wurde und dort auch verstarb, war Chronist, Kaufmann und Politiker; um die Echtheit seiner Chronik entbrannte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein fachwissenschaftlicher Streit, an welchem auch Karl Hegel (1813–1901) federführend beteiligt war und mit seiner Ansicht bezüglich der Echtheit dieser Chronik Recht behalten sollte.
Compagni, Dino1189110901246/471324Compagni, Dino (1246/47–1324), in Florenz geborener Tuchhändler, Politiker und Chronist. Über die Echtheit seiner Chronik der Stadt Florenz stritten sich in der deutschen Geschichtswissenschaft im 19. Jahrhundert Paul Scheffer-Boichorst (1843–1902), der die Fälschungsthese vertrat, und Karl Hegel (1813–1901), der die Echtheit der Chronik bewiesen hat.
Louisenstrasse (Berlin)Die auf das 18. Jahrhundert zurückgehende „Luisenstraße“ in Berlin (Mitte), die 1827 nach der jüngsten Tochter des preußischen Königs Freidrich Wilhelm III. (1770-1840) Luise (1808-1870) benannt wurde, gehört zur „Friedrich-Wilhelm-Stadt“.
Professor, ProfeßorBerufs- oder Amtsbezeichnung und Anrede für den Inhaber einer Professur an einer Universität oder Hochschule, wobei nicht jeder Professor eine Professur bekleidet; früher auch Bezeichnung für einen Gymnasiallehrer (Gymnasial-Professor) bzw. Lehrer an einer Lateinschule.
Hirzel-Verlag, Hirzelsche VerlagsbuchhandlungIm Jahre 1853 von Samuel Hirzel (1804-1877) in Leipzig gegründeter Verlag, der 1877 von seinem Sohn Heinrich Hirzel (1836-1894) und 1894 von seinem Enkel Georg Hirzel (1867-1924) übernommen wurde.
Florentiner Studien (Scheffer-Biochorst)Publikation von Paul Scheffer-Biochorst (1843-1902), Florentiner Studien, Leipzig 1874.
Malespini-HandschriftRicordano Malespini bzw. Malispini (ca. 1220 - ca. 1290) war ein Florentiner Chronist adeliger Abstammung; er schrieb die „Storia Fiorentina“, oft als „Cronica malispiniana“ bezeichnet. Malespini stellte sein Werk bis zum Jahr 1281 zusammen, und es wurde dann bis 1286 von seinem Neffen fortgesetzt. In den ersten Kapiteln folgt er der märchenhaft-sagenumwobenen Überlieferung, dann erzählt er von der Geschichte von Florenz in einfach-lebhaftem Stil.
Gesta FlorentinorumVerschollene Chronik von Florenz, deren Existenz andere Quellen belegen und anhand derer sie rekonstruiert wurde.
Gesta Florentinorum (Scheffer-Biochorst)Aufsatz über „Gesta Florentinorum“des Historikers Paul Scheffer-Biochorst (1843-1902), welcher 1874 im „Archiv der Gesellschaft für Ältere Deutsche Geschichtkunde zur Beförderung einer Gesammtausgabe der Quellenschriften deutscher Geschichten des Mittelalters“, Band 12, S. 427-468, erschienen ist.
Archiv„Archiv der Gesellschaft für Ältere Deutsche Geschichtskunde zur Beförderung einer Gesammtausgabe der Quellenschriften deutscher Geschichten des Mittelalters“ als Publikationsorgan der Monumenta Germaniae Historica (MGH); siehe dazu auch „Neues Archiv“.
demonstratio ad oculosLateinische Wendung hier im Sinne gebraucht von: durch vor Augen führen „Zeigen“ bzw. Aufzeigen, Hinweisen, Nachweisen bzw. durch Augenschein; auch Begriff aus der Sprachwissenschaft für „Zeigen“ (Deixis als Bezugnahme auf Personen, Gegenstände, Orte und Zeiten im Kontext der jeweiligen Äußerungssituation).
DinofrageVornehmlich in den 1870er Jahren in Deutschland und Italien aufgeworfene Frage nach der Echtheit der Chronik des Florentiner Kaufmanns, Politikers und Chronisten Dino Compagni (um 1246/47-1324), an der auch Karl Hegel (1813-1901) federführend beteiligt war, der für deren Echtheit plädierte. Vgl. dazu auch als Synonym: Dinostreit.
DinostreitDisput um die Echtheit der Chronik des Florentiner Kaufmanns, Politikers und Chronisten Dino Compagni (um 1246/47-1324), infolgedessen auch einige diesbezügliche Publikationen erschienen, auch von Karl Hegel (1813-1901), vgl. hier sein Schriftenverzeichnis, der sich in diesem Kontext insbesondere einen Schlagabtausch mit seinem Historiker-Kollegen Paul Scheffer-Boichorst (1843-1902) lieferte und in seiner Sichtweise Recht behalten sollte.
Quelle(n), historischeTexte als Quellen und andere Zeugnisse wie Sachquellen, Bildquellen, auch Zeitzeugenberichte und Ähnliches sowie abstrakte Quellen, die die vergangene Geschichte unmittelbar erleuchten und dabei helfen, bei historisch-kritischer Behandlung, die Vergangenheit entsprechend zu beleuchten, zu rekonstruieren, neue Erkenntnisse darüber zu gewinnen sowie einordnen und bewerten zu können; eindeutig abgegrenzt werden die Quellen von der fachwissenschaftlichen Literatur in Form sogenannter Darstellungen, in der Germanistik auch als Sekundärliteratur im Gegensatz zur Primärliteratur bezeichnet.
Dino-Chronik, Chronik des Dino Compagni, Dino-HandschriftDer Florentiner Kaufmann, Politiker und Chronist Dino Compagni (um 1246/47-1324) verfasste zwischen 1310 und 1312/1313 eine Chronik der Stadt Florenz in drei Büchern („Cronica delle cose occorrenti ne’ tempi suoi“), in der die Kämpfe zwischen weißen und schwarzen Guelfen eine zentrale Rolle spielen. Dino beschränkte sich auf den Zeitraum zwischen den 1280er Jahren bis 1312. Literarisch ist das Werk ansprechend geschrieben und liefert überdies wertvolle Informationen für die entsprechende Phase der florentinischen Geschichte. In der italienischen, aber auch in der deutschen Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts wurde der sogenannte „Dinostreit“ bzw. die sogenannte „Dinofrage“ um die Echtheit dieser Chronik geführt bzw. gestellt. So vertrat Paul Scheffer-Boichorst (1843-1902) die Fälschungsthese, wohingegen der Erlanger Historiker und sehr gute Kenner der italienischen Stadtverfassungsgeschichte Karl Hegel (1813-1901) für ihre Echtheit plädierte. Die Echtheit der Schrift wurde in der Folgezeit vornehmlich durch die Forschungen von Isidoro Del Lungo (1841-1927) bestätigt.
VerfassungHerbeiführung eines geordneten Zustands sowie der Zustand selbst, insbesondere die gesamtpolitische Gestalt eines Staates, auch einer Stadt etc.; Zustand.
Local, LocaleAufenthalts- und Versammlungsraum (z. B. in einem Archiv, einer Bibliothek etc.); Lokal; auch Gasthof, Hotel, Unterkunft; Platz, Ort, Wohnort, Wohnung, Standort.
KunstgeschichteWissenschaft von der geschichtlichen Entwicklung der bildenden Kunst als Teilgebiet der Kunstwissenschaft.
IrrthumIrrtum, Missverständnis, falsche Vorstellung.
wissenschaftlichAuf die Wissenschaft bezogen, ihr zuzuordnen, auf ihr gründend, sie betreffend, zu ihr gehörend, sie beinhaltend.