Berlin den 26sten Juli 1874
Lieber Karl!
Endlich kommt der Zeitpunkt heran, da ich auch werde dem heißen Berlin entfliehen können; am nächsten Sonnabend, den 1sten August, denke ich, so Gott will, mit Clara und Clärchen nach Johannisbad – bei Trautenau in Böhmen – aufzubrechen. Wenn auch meine gute Clara gern einmal ein anderes Sommerplaisir gehabt hätte, so haben, abgesehen von meinen konservativen Neigungen für gewohnte Verhältnisse, doch die großen Vorzüge dieses friedlichen Ortes bewogen, auch in diesem Jahre wieder hinzugehen. Schöne Gebirgsluft, schattige Wälder und eine wundervolle Quelle, zu welcher ich das Vertrauen habe, daß sie meine mit den Jahren und bei anstrengender und aufregender Arbeit wackelig werdende Gesundheit belebe und stärke. Wir haben auch schon unser bekanntes und recht freundlich gelegenes Quartier in der „Silberquelle“ wieder bestellt und es wird auch an guter Gesellschaft, so weit wir ihrer bedürfen, gewiß nicht fehlen. Ich freue mich daher herzlich auf diese Zeit der Erholung. Da ich für 5 Wochen Urlaub genommen habe, so beabsichtige ich an 4 Wochen in Johannisbad zu verweilen, und dann | auf einige Tage zur Erfüllung eines lebhaften Wunsches meiner Frau noch nach St. Peter im obersten Elbthal zu gehen; es liegt dies in einer großartigen wild romantischen Gegend des Hochgebirges.
Die heißen Tage dieses Monats haben wir sehr still verlebt, und wir beiden Alten waren sogar über 14 Tage im Hause ganz allein, da unser Clärchen einer Einladung zum Besuch bei Pfarrer Mentzel zu Kalkwitz in der Niederlausitz gefolgt war; dem anspruchslosen Kinde ist es dort in dem Stillleben des Pfarrhauses bei einer Anzahl Kinder recht wohl ergangen und sie kehrte vorgestern sehr befriedigt zurück; auch das Alleinfahren auf der Privatbahn ist ihr weder ängstlich, noch unbehaglich. Willi verweilt noch in dem nahen Alt-Landsberg und wird bei der dortigen Gerichts-Deputation bis zum Oktober arbeiten, und dann bei dem hiesigen Stadtgericht eintreten. Er ist mit seiner Beschäftigung sehr zufrieden und auch das kleinstädtische Leben ist ihm ganz vergnüglich. Marie befindet sich mit Mann und
Kind und mit Mutter Bitter noch in Suderode; Vater Bitter wird auch dort jetzt eingetroffen sein, nachdem er sich in Marienbad von den lästigen Folgen der vielen Diners wird befreit haben. Nach dem letzten Briefe war der kleine Conrad von der Hitze und der ungewohnten Nahrung etwas angegriffen; Gott bewahre | sie vor ernsteren Sorgen. Es ist ein fröhliches allerliebstes Kind, das uns in den 8 Tagen, da sie bei uns verweilten, große Freude machte. Auch Marie war recht frisch und hatte den Ausdruck glücklicher Zufriedenheit.
In Danzig ist vor 10 Tagen der alte Frantzius, Vater meiner Schwägerin Pauline, im Alter von 74 Jahren gestorben; er war ein freundlicher, wohlwollender und sehr ehrenhafter Mann, und hat vermuthlich ein ansehnliches Vermögen hinterlassen. Für die Wittwe hätte jetzt mein Schwager Herrmann ein fester Halt und treuer Berather sein können. Meine Schwägerin Pauline wird nun zum Winter mit ihren Kindern ihren Wohnsitz in Danzig nehmen. – Mein Schwager Adalbert hat auch stets ernste Sorge um seine Frau Ella; sie befindet sich jetzt zur Kur in Nenndorf. Mit den Lipper Verfassungswirren ist er bis jetzt noch nicht in Ordnung gekommen; vielleicht gewinnt er durch die vom Lande gewünschte Eisenbahn eine Brücke zur Verständigung.
In unserem Lande verbittert sich immer mehr der Kampf mit der katholischen Kirche und auch die Entwicklung der Verfassung der evangelischen Kirchen ist reich an gefahrvollen Gegensätzen. Es ist stets verderblich, wenn Männer ohne wahres Verständniß des Christenthums und des Kirchenwesens die Kirche zu leiten und zu behandeln unternehmen. Das Kissinger
| Attentat erregt nun noch tiefer die Leidenschaften und es erfüllt mich mit Grauen, wie die liberalen Blätter dasselbe nun zum Hetzen gegen die katholische Kirche auszubauen suchen. Alle Mittel der Polizei und der politischen Macht werden die katholische Kirche nicht brechen, sondern nur die Zerrüttung im Lande steigern. Wenn Bismark und die Regierung einen schicklichen Weg zu einer Verständigung wüßten, möchten sie ihn jetzt zurück einschlagen; sie hatten gehofft, daß die Fuldaer Bischofskonferenz ihnen dazu die Hand bieten würde; sie haben sich aber auch darin getäuscht.
Im Oktober oder November haben wir die Berufung der neuen Provinzialsynoden unserer evangelischen Kirche zu erwarten; sie werden für das Geschick unserer Kirche von großer Bedeutung und ich sehe ihnen mit großer Spannung aber auch mit getroster Hoffnung entgegen. Man wird mit offenem Visier und blanken Waffen kämpfen. In Berlin waren die Wahlen natürlich durchweg liberal; die Kreissynoden in der Provinz haben im Ganzen einen passiven Charakter bekundet.
Wir haben uns sehr über die guten Nachrichten gefreut, welche wir durch die liebe Anna, die wir freundlichst grüßen, von Eurer Luise und ihrem Kinde erhielten und wünschen von Herzen, daß Ihr Euch dieses Glücks ferner ungetrübt erfreuen möchtet. Hoffentlich habt Ihr über das Wohlergehen Eurer Kinder in Kohlgrub befriedigende Nachricht. Wir erwarten nun von Euren Reiseplänen bald zu hören. Clara grüßt Euch herzlich mit dem | Versprechen, Euch bald von Johannisbad aus zu schreiben.
Mit treuen Wünschen Dein Bruder Immanuel
Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel)Immanuel HegelJurist/Konsistorialpräsident der Provinz Brandenburg11657072518141891 Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel) (1814–1891), Bruder Karl Hegels, studierte von 1832 bis 1834 und von 1835 bis 1836 Jura an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, von 1834 bis 1835 an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München, trat 1836 in den preußischen Staatsdienst ein und war als Verwaltungsjurist in verschiedenen Verwendungen des Königreichs Preußen, vor allem im Staatsministerium, tätig, wurde 1865 Präsident des Konsistoriums der Provinz Brandenburg, heiratete 1845 Friederike Flottwell (1822–1861) und 1865 Clara Flottwell (1825–1912), beide Töchter des oftmaligen preußischen Oberpräsidenten und Staatsmanns Eduard Heinrich Flottwell (1786–1865), war u. a. Vater des preußischen Verwaltungsbeamten und Politikers Wilhelm (Willi) Hegel (1849–1925), war 1856 Taufpate seines Neffen Georg Hegel (1856–1933).
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
Privatbesitz
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Privatbesitz
1000
Neuhaus
, Helmut (Hg.): Karl Hegels Gedenkbuch. Lebenschronik eines Gelehrten des 19. Jahrhunderts, Köln, Weimar, Wien 2013.
Neuhaus
, Karl Hegels Gedenkbuch
2013
Hegel, Clara (Klara), geb. Flottwell
Clara Hegel, geb. Flottwell116570776?18251912Hegel, Clara (Klara), geb. Flottwell (1825–1912), Tochter Eduard Heinrich Flottwells (1786–1865) und Auguste Flottwells, geb. Lüdecke (1794–1862), jüngere Schwester Friederike Hegels, geb. Flottwell (1822–1861), der ersten Ehefrau Immanuel Hegels (1814–1891) und dessen zweite Ehefrau ab 8. September 1865.
Menzel, N. N.-Menzel, N. N., Pfarrer in Kalkwitz in der Nieder-Lausitz, verheiratet mit Emma Menzel, geb. Dobbelschein.
Hegel, Wilhelm (Willi)Wilhelm Hegel13593263718491925Hegel, Wilhelm (Willi) (1849–1925), in Berlin geborener Sohn Immanuel (1814–1891) und Friederike Hegels (1822–1861), Ehemann Armgard Hegels, geb. Wulffen (1862–1928), und Neffe Karl Hegels. Er war hoher preußischer Verwaltungsbeamter, u. a. von 1886 bis 1890 Landrat des Kreises Jerichow I, von 1895 bis 1905 Regierungspräsident von Gumbinnen, von 1905 bis 1908 in Allenstein, von 1908 bis 1917 Oberpräsident der Provinz Sachsen. Es war von 1887 bis 1890 Mitglied des Deutschen Reichstages und wurde im Jahre 1909 in den erblichen preußischen Adelsstand erhoben.
Bitter, Rudolf11619799418461914Bitter, Rudolf, der Jüngere (1846–1914), in Merseburg geborener preußischer Verwaltungsjurist und Politiker, Sohn (Hans) Rudolf Bitters, des Älteren (1811–1880), und Anna Bitters, geb. Nauen, 1819–1885) sowie Ehemann Marie Bitters, geb. Hegel (1848–1925). Nach seinem Studium der Rechts- und Staatswissenschaften an den Universitäten Berlin, Bonn und Lausanne ging er im Jahre 1873 in den preußischen Verwaltungsdienst in Posen, wurde 1875 Landrat im schlesischen Kreis Waldenburg, wechselte von 1882 bis 1888 und in den Jahren 1898/99 (als Ministerialdirektor) ins preußische Innenministerium, wurde 1888 Regierungspräsident in Oppeln, 1899 Oberpräsident der Provinz Posen. Von 1879 bis 1888 war er als Mitglied der Freikonservativen Fraktion Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses.
Bitter, (Hans) Rudolf, der Ältere116962293318111880Bitter, (Hans) Rudolf, der Ältere (1811–1880), in Schwedt an der Oder geborener preußischer Finanzbeamter, der nach seinem Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Bonn ab 1834 in die preußische Verwaltung in Posen, Merseburg und Köln ging, bevor er seine berufliche Laufbahn im preußischen Finanzministerium fortsetzte und es 1866 zum Ministerialdirigenten brachte. 1869 wurde er dort Unterstaatssekretär, 1873 Präsident der königlich-preußischen Seehandlung. Verheiratet war er mit Anna Bitter, geb. Nauen (1819–1885).
Flottwell, Johanna Pauline, geb. Frantzius
-18341897Flottwell, Johanna Pauline, geb. Frantzius (1834–1897), siehe auch: Frantzius, Johanna Pauline.
Flottwell, Adalbert JuliusAdalbert Julius Flottwell11663105818291909Flottwell, Adalbert Julius (1829–1909), in Marienwerder geborener Sohn Eduard Heinrich Flottwells (1786–1865) und seiner zweiten Ehefrau Auguste Flottwell, geb. Lüdecke (1794–1862), der nach seinem 1849 begonnenen Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Berlin preußischer Beamter und Politiker wurde. Verheiratet mit Ella (Else) Flottwell, geb. Oppen-Gatersleben (1841–1916), war er von 1861 bis 1868 Landrat von Meseritz in der Provinz Posen, gleichzeitig von 1866 bis 1868 Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses, dann von 1868 bis 1872 Landesdirektor im Fürstentum Waldeck-Pyrmont, von 1872 bis 1875 Kabinettsminister im Fürstentum Lippe, von 1875 bis 1880 Regierungspräsident in Marienwerder, dazu von 1878 bis 1881 Mitglied des Deutschen Reichstages, sowie ab 1880 Präsident des seit 1871 bestehenden preußischen Bezirks Lothringen in Metz. Bis 1902 war er schließlich Direktor der Schlesischen Bodenkreditbank.
Bismarck, Otto11851136X18151898Bismarck, Otto (1815–1898), in Schönhausen an der Elbe geborener preußischer und deutscher Politiker, der 1850 Mitglied des Erfurter Unionsparlaments war, von 1862 bis 1890 preußischer Ministerpräsident, zugleich von 1867 bis 1871 einziger Bundeskanzler des Norddeutschen Bundes und von 1871 bis 1890 erster Reichskanzler des Deutschen Reiches.
Lommel, Luise, geb. Hegel
Luise Lommel, geb. Hegel-18531924 Lommel, Luise, geb. Hegel (1853–1924), Ehefrau des Physik- und Mathematik-Professors Eugen Lommel (1837–1899); siehe auch: Hegel, Luise (1853–1924).
Hegel, Maria (Mariechen, Mimi)Marie HegelTochter Karl Hegels-18551929 Hegel, Maria (Mariechen, Mimi) (1855–1929), dritte Tochter Karl (1813–1901) und Susanna Maria Hegels, geb. Tucher (1826–1878), die ab 1878 dem verwitweten Vater den Haushalt in Erlangen führte.
Hegel, Sophia (Sophiechen)Sophie Hegel-18611940Hegel, Sophia (Sophiechen) (1861–1940), vierte und jüngste Tochter Karl und Susanna Maria Hegels, geb. Tucher (1826–1878); sie blieb unverheiratet und absolvierte Stationen in München und Göttingen in den Haushalten der Schwestern Luise Lommel, geb. Hegel (1853–1924), und Anna Klein, geb. Hegel (1851–1927), später eine ca. 20 Jahre währende Tätigkeit als Lehrerin/Erzieherin an einem englischen Mädchenpensionat in Malvern, ab 1910 wieder in der Familie ihrer schwerhörigen Schwester Anna Klein lebend und dort vor allem in der Erziehung und Krankenpflege helfend; spätere Arbeit im sozialen Bereich in Göttingen.
Johannisbad50.6305685,15.7806938Etwa 150 Kilometer südwestlich von Breslau auf circa 520 Meter Höhe im böhmischen Riesengebirge gelegen.
Trautenau50.5608851,15.9130498Etwa 140 Kilometer südwestlich von Breslau im böhmischen Riesengebirge gelegene Stadt.
BöhmenDas alte Königreich Böhmen wurde im Jahre 1804 Teil des Kaiserreiches Österreich.
St. Peter (Riesengebirge)50.7256591,15.6307631Ältester Teil des hochgelegenen Riesengebirgs-Ortes Spindlermühle, wo schon zu Beginn des 16. Jahrhunderts Silber und Kupfer gefördert wurden und der sich im 19. Jahrhundert zu einem vielbesuchten Ferienort entwickelte.
Kalkwitz51.7764154,13.9911082Etwa 120 Kilometer südöstlich von Berlin in der Nieder-Lausitz gelegener Ort.
NiederlausitzSüdöstlich von Berlin nahe dem Spreewald gelegene Landschaft.
Alt-Landsberg (Altlandsberg)52.5614869,13.7245542Etwa 25 Kilometer nordöstlich von Berlin auf halbem Wege zur Oder gelegene Kleinstadt.
Suderode51.728836,11.1216196Etwa 200 Kilometer südwestlich von Berlin am Nordosthang des Harzes gelegenes Dorf.
Marienbad49.9739518,12.703319Etwa 270 Kilometer nördlich von München gelegener Kurort im westböhmischen Bäderdreieck von Karlsbad, Franzensbad und Marienbad.
Danzig54.3706858,18.61298210330077Ehemalige Hansestadt und alte Handelsstadt an der Ostsee, etwa 500 Kilometer nordöstlich von Berlin gelegen. Im Jahre 1815 kam sie ans Königreich Preußen.
Nenndorf52.3360719,9.3769596Etwa 300 Kilometer westlich von Berlin gelegener Kurort auf dem Hellweg.
Kissingen50.1985698,10.0746833Kur- und Badeort an der Fränkischen Saale, nordwestlich der alten Reichsstadt Schweinfurt am Südhang der Rhön gelegen, seit 1814 zum Königreich Bayern gehörend.
Kohlgrub47.6659196,11.0519029Etwa 75 Kilometer südwestlich von München und etwa 25 Kilometer südlich von Weilheim in den oberbayerischen Alpen gelegener Kurort mit Moorheilbad.
Gerichts-DeputationAußenstelle eines ordentlichen Gerichtes.
Fuldaer BischofskonferenzErstmals im Jahre 1867 zusammengetretene Versammlung der deutschen katholischen Bischöfe im ehemals fürstbischöflichen Fulda, an der die Bischöfe aus dem Königreich Bayern von 1873 an nicht mehr teilnahmen, sondern sich als Freisinger Bischofskonferenz versammelten.