XML PDF

Karl Hegel an Immanuel Hegel, Erlangen, 1. August 1874

Lieber Manuel!

Ich begleite Euch heute auf der Reise nach Johannisbad und wünsche glückliche Ankunft in dem frohen und sorgenfreien Asyl. Wahrlich Noth thut Erfrischung für Geist und Leib nach der sengenden Hitze. Auch wir sehnen uns danach und hoffen sie, meine Frau und ich, bald in den Bergen der Schweiz zu finden. Ende der nächsten Woche gedenken wir abzureisen und bis Anfang September zuerst in Wesen am Wallensee, dann in Brunnen am Vierwaldstätter See zu verweilen. Briefe nach Erlangen gerichtet, werden uns dort finden, denn unsere Tochter Anna bleibt mit Mundel bei Luise, ihr zu Gesellschaft und Aushülfe, und soll dafür nach unserer Rückkehr mit einer Reise nach Bonn belohnt werden wohin sie schon lange sehr dringend von ihrer Freundin Lotte Stintzing eingeladen ist.

Bei Luise Lommel geht es Gottlob bisher ganz nach Wunsch; sie stillt den Kleinen mit bestem Erfolg und befindet sich wohl dabei.1 Schon war sie mit unserem Enkelchen einige Mal bei uns im Garten. Am vergangenen Sonntag war die Feier der Taufe, welche mein College Zezschwitz mit einer geistreichen und erbaulichen Rede verrichtete. Ein kleiner Kreis von Freunden, aus Nürnberg August und Marie, waren zugegen und beim Mittagessen. Der Enkel hat den Namen Gottlieb Karl Ludwig erhalten: Gottlieb soll er heißen in Erinnerung an unseren lieben unvergeßlichen Gottlieb. Karl und Ludwig sind die Namen seiner beiden Pathen, von denen ich der eine, Lommels Bruder Ludwig der andere; letzterer, Apotheker in der Vorstadt Au von München, war selbst zur Taufe gekommen. Der Kleine sieht seinem Papa ähnlich, braun von Farbe, mit schwarzen Haaren auf dem Kopf und ziemlich großem Mund; einen zärtlicheren und besorgteren Papa kann es nicht wohl geben.

Von den Kindern in Kohlgrub und der lieben Großmama sind immer recht gute Nachrichten eingegangen. An Sophiechens Geburtstag2 waren sie in dem nahen Oberammergau.

Wir hatten in den letzten Wochen ein liebenswürdiges junges Mädchen, Marie Grünewald, Tochter des verstorbenen Pfarrers Grünewald in Frankfurt a/M, eine angehende Künstlerin und Schülerin von Preller in Weimar, bei uns zum Besuch, wodurch wir, d. h. vorzugsweise Frau und Tochter, veranlaßt wurden uns an einigen Landparthien und Studentenfesten zu betheiligen, so wie auch öfter junge Leute bei uns zu sehen. An einem schönen warmen Sommerabend, wie wir deren so viele hatten, erfreut es auch auf unserer mit Weinlaub umrankten Verandah nach der Gartenseite zu sitzen.

Ich beendige meine Sommervorlesungen und mein historisches Seminar3 und liefere das Register ab zu dem neuen Bande der Chroniken von Nürnberg.4

Mit der Kritik von zwei florentinischen Geschichtsschreibern Ricordano Malespini und Dino Compagni, deren Echtheit stark bezweifelt wird, war ich in der letzten Zeit für Sybel’s historische Zeitschrift beschäftigt.5

Das Kissinger Attentat hat bei uns viel Zorn gegen die Pfaffen aufgeregt, wiewohl der lächerliche Hauthaler unschuldig war. Recht ungeschickt war ein Artikel in der Spener’schen Zeitung, der die bairischen Gerüchte oder die Regierung ganz unverdienter Weise verdächtigte. Die letztere hat vielmehr den besten Willen bethätigt, die gerichtliche Untersuchung den Händen der Ultramontanen zu entreißen. Durch das Bamberger Appellationsgericht6 wurde sie einem liberalen Richter in Schweinfurt übertragen.

Zu uns kommt nächster Tage der altkatholische Bischof Reinkens auf seiner Rundreise, um die Firmung der Kinder zu verrichten. Wenn ich noch hier bin, werde ich mit ihm bei einem Diner sein. Was die übrigen preußischen Bischöfe betrifft, so würde ich sie mit Genugthuung in Dante’s Hölle unter den Bleikutten einherschleichen sehen –

Du hast doch meinen letzten ausführlichen Brief7 mit Bericht über die Reise nach Göttingen und Bremen und die Hans Sachs Feier in Nürnberg bekommen? Es wäre mir höchst ärgerlich, wenn er etwa, wie es bisweilen vorkommt, wegen ungewöhnlichen Gewichts unterschlagen sein sollte!

Susanna wird schreiben, sobald sie einiger Maßen zur Ruhe kommt. Wo liegt St. Peter? wohl in der Nähe von Hohen Elbe oder bei der Riesenkoppe. Tausend Grüße von Haus zu Haus.

Treulich Dein Bruder Karl.

NB. Mit einiger Sorge höre ich von den vielen Reisen und häufig wechselndem Aufenthalt Deines Enkelkindes – nichts ist bedenklicher als dies bei einem Kind im ersten Lebensjahr. Ich beklage die arme Pauline.