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Immanuel Hegel an Karl Hegel, St. Peter bei Hohenelbe, 3. September 1874

Lieber Karl!

Unsere Reise geht nun zu Ende; übermorgen, Sonnabend denke ich wieder in Berlin einzutreffen und da auch Du jetzt in diesen Tagen in Dein Haus zurückgekehrt sein wirst, so will ich noch in der letzten ruhigen Station, Angesichts des schon zackigen Ziegenrücks und des Kamms des Riesengebirges benutzen, Dir von uns Nachricht zu geben.

Am 1sten August brachen wir von Berlin auf, übernachteten in Hirschberg und kamen am Sonntag1 Abend in Johannisbad an, wo wir in der Silberquelle2 mit einem sattsamen Abendteuer den Anfang machten: ein Jude Markus aus Posen wollte ein für uns bestimmtes Zimmer nicht räumen; er verrammelte sich darin, und das ganze weibliche Personal nebst Bürgermeister und bewaffneter Macht, standen rath- und machlos vor der verschlossenen Thür. Der Jude siegte durch seine Beharrlichkeit; wir mußten uns zurechtfinden und konnten erst am folgenden Tag unsere Zimmer beziehen, in denen wir uns dann behaglich einrichteten. Volle 4 Wochen haben wir in Johannisbad zugebracht und uns an den Annehmlichkeiten des Lebens, der reizenden Umgebung und dem erfrischenden und stärkenden Quell unausgesetzt erfreut. Ich finde es sehr vortheilhaft, an solchem Orte in bekannte Verhältnisse einzutreten; es ist nicht nöthig, sich erst mit vielem Bemühen und manchem Lehrgeld sein Leben neu einzurichten; nach Neuem ist überhaupt mein Sinn nicht gerichtet; ich ziehe das altbekannte vor, wenn es sich als gut bewährt hat. So haben wir nun auch in diesen Wochen in Johannisbad, ebenso wie in den letzt vergangenen 3 Jahren, sehr gemüthlich und mit reichem Genuß gelebt, sind fleißig auf den Bergen auch zu neuen Punkten und neu entdeckten Wegen umhergewandert. Es ist hier eine wundervoll erquikende Luft, herrliche Tannen- und Buchenwaldungen; ein mächtiges Gebirge, in dessen engem Thal Johannisbad gelegen ist und von dessen Höhen sich überall weite Aussichten in das reiche Böhmerland nach Trautenau, Königinhof, Jicin und andere durch das glorreiche Jahr 18663 berühmt gewordene Orte eröffnen. Das Wetter war in der ersten Woche schön; dann kam ein heftiger Anschlag durch Gewitter mit bitterer Kälte, bei welchem der Thermometer Morgens kaum 4° Grad zeigte und das hohe Gebirge sich mit Schnee bedekte. Man saß im Zimmer in Decken eingehüllt und lief im Walde, um sich zu erwärmen; es war eine kräftigende Erfrischung; hernach stellte sich mit einigem Wechsel das Wetter wieder besser und jetzt haben wir die schönsten Herbsttage.

Von den alten Johannisbader Freunden hatten sich viele wieder eingefunden, wie der alte Graf von der Recke-Volmarstein, ein ehrwürdiges Haupt von liebreicher frommer Gesinnung, der auch in der Silberquelle wohnte; neue angenehme Bekanntschaften wurden angeknüpft, so daß die unvermeidlich sich anknüpfenden Verbindlichkeiten fast zu umfangreich wurden. Am meisten verkehrten wir mit den Kindern des alten Diplomaten von le Coq, Excellenz, aus Berlin und zuletzt mit dem Ober-Regierungs-Rath von Gröben und dessen Frau aus Posen, die dort mit unseren Kindern daher befreundet sind. So sind diese 4 Wochen rasch verlaufen; wir haben uns Alle dabei ganz wohl befunden und blicken mit herzlichem Danke auf diese Zeit zurück, von der ich auch für meine Gesundheit mir einen guten Erfolg glaube versprechen zu dürfen. Ich habe 18 Bäder genommen; da sie mich aufregten, mußte sich sie öfters unterbrechen. Es ist eine wunderbare Quelle, deren Beschaffenheit und Wirkung noch wenig erforscht ist. Leider sind die 3 hier stationirten Badeärzte sehr unfähige Menschen, welchen ich meine und Anderer Gesundheit nicht anvertrauen möchte.

Am Montag4 früh nahmen wir Abschied von der Silberquelle und Johannisbad; fuhren über Freiheit, wo wir unsere Koffer auf die Eisenbahn gaben, durch eine reiche freundliche Landschaft nach Hohenelbe, einer Gebirgsstadt mit zahlreichen großartigen Fabriken – Staatsspinnereien –, die neben der Wasserkraft der jungen Elbe auch die Dampfkraft benutzen und deren Riesenschornsteine im engen Thale hervorragen. Von hier ist das Elbthal höchst romantisch; der Fluß strömt über Geröll und Felsen in stürzenden Fällen; das Thal von den Felsen und Waldgebirgen eng eingeschlossen; auf den Höfen und an den Abhängen viele Bauden zwischen grünen Matten. Man fährt so an 2 Stunden bis Spindlermühle, wo das Thal sich im weiten Kessel ausdehnt und von den hohen Gebirgen eingeschlossen wird. Auf der Höhe liegt die freundliche Kirche und daneben das gemüthliche Wirthshaus von Vincenz Richter. Es ist eine großartige Gebirgslandschaft. Am Nachmittag trafen wir zeitig ein und konnten noch einen Spaziergang in den Elbgrund unternehmen. Der Dienstag ging leider für Clara verloren, da sie von Migraine heimgesucht wurde. Gestern und heute Vormittag wanderten wir in die schattigen Gründe mit ihren munteren Bergwassern. An verschiedenen Punkten wurde Rast gemacht und die Zeichenmappe in Thätigkeit gesetzt. – Heute Nachmittag wollen wir nun auf den Kamm bis zur Schneegrubenbaude steigen durch die Siebengründe – mit einer Trage für Clara und Clärchen. Auf der Baude wird übernachtet und am Freitag Morgen nach Schreiberhau gewandert. Von hier wollen wir über Warmbrunn nach Hirschberg fahren und am Sonnabend die Rückreise mittelst Eisenbahn zurücklegen.

Von Marie haben wir aus Posen gute Nachrichten erhalten; sie ist vor 10 Tagen dahin über Berlin mit Konrädchen glücklich und von ihrem Aufenthalt in Suderode mit den Schwiegereltern befriedigt zurückgekehrt. Willi hat bei dem Gericht in Alt-Landsberg weitergearbeitet und wird uns wohl übermorgen in Berlin empfangen. Zum 1sten October soll er nach Berlin übersiedeln, um seine Stationen der juristischen Ausbildung bei dem Stadtgericht fortzusetzen. Clärchen hat wieder die Quellen von Johannisbad mit recht gutem Erfolg gebraucht und ist immer tapfer ausdauernd auf die Berge gestiegen.

So fahren wir nun befriedigt, erfrischt und dankbar heim. Eine ernste, entscheidungsreiche Zeit steht uns bevor mit schweren Kämpfen; Gott, der Herr, möge mich dazu mit Seiner Kraft ausrüsten. – Clara und Clärchen senden viele herzliche Grüße. – Möge es auch Euch wohl ergangen und Ihr glücklich wieder vereinigt sein.

In treuer Liebe Dein Bruder

Immanuel