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Karl Hegel an Susanna Maria Hegel, geb. Tucher, München, 4. Oktober 1874

Liebe Susanna!

Meinen Brief von vorgestern Abend wirst Du hoffentlich gestern erhalten haben. Ich war an jenem Abend in einer größeren Gesellschaft bei v. Liliencron, wo vor dem Essen musicirt wurde. Herr v. L. spielt Clavier, sein Sohn (Offizier) meisterhaft das Violoncell: sie trugen alte herrliche Sachen vor, auch von Bach. Eine Tochter sang ein bekanntes Müllerlied: Ich frage jede Blume1. Das Essen wurde sehr spät, Onkel und Tante entfernten sich daher vom Tische in der Stille.

Gestern Vormittag hatte ich wieder zwei Sitzungen2: die Schlußsitzung der Historischen Commission dauerte fast bis 2 Uhr, um 2 ½ Uhr war das Abschiedsessen in den Vier Jahreszeiten, an welchem auch Döllinger Theil nahm und ich die Collegen Schöne und Klein zuzog. Es ist mir ganz gut bekommen, obwohl ich bei vielen Toasten eine ganze Flasche Aßmannshäuser vernichtete.

Heute Morgen massenhafte Besuche der Schulamtscandidaten3, worauf ich selbst meinen Besuch bei Ziemßens machte, die ich zu Hause traf. Ich wurde mit vieler Freundlichkeit empfangen und in den behaglichen Wohnräumen herumgeführt; herzliche Grüße wurden mir an Dich aufgetragen.

Am Nachmittag ermüdete ich mich auf der Theresienwiese. Das Wetter war prächtig, sonnig und doch kühl. Welche Menschheit strömte mir entgegen, als ich um 4 Uhr hinausging! denn eben waren Wettrennen und Thierschau vorüber, und die Equipagen fuhren in langer Reihe zurück, unter ihnen die 6spännige nebst Vorreiter und Cavalleriebegleitung voran und hinterdrein mit dem König und General von dder Tann. Die Majestät schien heiter, sah aber recht gedunsen und bleich von Gesichtsfarbe aus, grüßte theatralisch. Auf der großen Wiese waren die Bierlocale und die Glücksbude von Menschen umdrängt, in Massen strömte oder saß oder lag das Volk, und Fahnen und Wimpel wehten, meist weißblaue und gelbschwarze (Stadt München) aber auch deutsche schwarz weiß rothe. Ich traf die Familie Ziemssen, als sie eben einen zum Schuß aufgesteckten hölzernen Vogel betrachtete, schloß mich ihr an und führte Frau Ziemssen am Arm durch das Gedränge ihrem Gemahle nach, der Gertrud an der Hand hatte. Erna sieht gut aus, noch besser Else, die sehr stark geworden ist. Als ich nach Hause kam, besuchte ich Hofmanns; er kann jetzt wieder auf dem Fuß stehen, war heute zum Essen unten und wird am Dinstag Abend mit seinen beiden Damen4 nach Erlangen zurück kommen. –

Ich habe jetzt noch einen Auftrag, um dessen schleunige Ausführung ich Dich bitte. Schicke mir Hopf, bayrische Geschichtstabellen5 und Böttiger, bayrische Geschichte6, ferner Pölitz, österreichische Geschichte7. Du findest diese drei Bücher in Octav von geringerer oder mäßiger Stärke auf meinem Bücherbort hinter dem Schreibpult, etwas oberhalb von diesem, in derselben Reihe neben einander oder nicht weit von einander: sollte Hopf dort nicht stehen, so findest Du ihn in dem kleinen Repositorium unter dem Fenster neben meinem Pult in der oberen Reihe. Du könntest auch ein neues Paar Handschuhe (ich glaube braune) dazulegen, welche in der obersten Schublade der Chiffonière d. h. meines Wäscheschranks sich befinden.

Ich verlange noch Nachrichten von Euch und hoffe morgen auf einen Brief. Meine Freunde von der historischen Commission sind meist abgereist, Wegele schon gestern Nachmittag, Waitz heute Morgen. Schöne und Klein wohnen bei mir im Hause und diese werde ich nun am meisten sehen. Zu Schmidtlein’s komme ich morgen. Weizsäcker ist noch hier, will aber übermorgen fort, ich glaube nach Erlangen zurück.

Sei tausend Mal gegrüßt mit den Kindern! Ich hoffe sehr, daß es Euch Allen gut geht und daß Mundel und Sophie fleißig sind. Von Eugen habe ich noch gar nichts erfahren, auch von Anna seit langem nicht mehr. Dein nächster Brief wird mir über beide Auskunft geben.

Lebe wohl, meine geliebte Susanna, ich umarme Dich

Dein Getreuer.