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Karl Hegel an Anton Birlinger, Erlangen, 15. November 1874

Sehr geehrter Herr!1

Vor einiger Zeit erhielt ich, wenn ich nicht irre, von Ihnen, eine mit Ihrem Namen unterschriebene kurze Anzeige der Zeitschrift für deutsches Alterthum, worin Sie am Schluß bemerken: Dr. Schröder solle ein Umschreiben der Hagen’sche Reimchronik nach dem in Düsseldorf aufgefundenen Bruchstück beabsichtigen, und hinzufügen, daß ein solcher Plan verfehlt sein würde. Obwohl ich mit der Arbeit von Dr. Schröder gut bekannt war, da er die Abschrift nach der Böhmer’schen Handschrift hier unter meinen Augen in Erlangen angefertigt hat, also ich selbst wohl wußte, daß es keineswegs seine Absicht war, den überlieferten Text umzuschreiben, so habe ich mich durch Ihre Bemerkung doch veranlaßt gefunden, ihn ausdrücklich zu befragen, welche Ver- änderungen er an dem Texte vorgenommen habe. Hierauf erhielt ich Antwort, wobei er entschieden sich gegen die ihm unterstellte Absicht verwahrte, obwohl einen solchen Plan auch nicht für verfehlt, halten würde, wobei er sich auf das Beispiel des Verfahrens der Philologie bei den Ausgaben der Gudrun bezog, und zugleich versicherte, daß seine Änderungen sich auf orthographische beschränkt hätten, wie sie ihm, gegenüber einer zwei Jahrhunderte späteren Handschrift, nothwendig erscheinen.

Übrigens theile er nicht Ihre Meinung, daß die Düsseldorfer Fragmente dem Originale angehörten, in welcher Beziehung er seine Gründe in der Einleitung auseinandergesetzt habe.

Nun ist aber diese Rechtfertigung Dr. Schröders nicht die Hauptsache, weshalb ich mich an Sie, geehrter Herr College, wende. Die Cölnischen Chroniken sind seit lang zum Druck vorbereitet und sollen nächstens wirklich zum Druck kommen. Sie sind auf 2 Bände berechnet, von denen der erste die Hagen’sche Reimchronik, die kleineren Chroniken des 15. Jahrhunderts und einen Theil der großen Koelhoff’schen Chronik der zweite den Rest oder Haupttheil der letzeren, sodann die Register und ein Glossar enthalten sollen. Die sprachliche Bearbeitung hat Herr Dr. Schröder, die historische Herr Dr. Cardauns ausgeführt.

Der erstere wollte während des Drucks das Glossar anfertigen und mit Dr. Cardauns gemeinschaftlich die Revision bei der Correctur übernehmen. Doch jetzt im letzten Moment zeigt mir Dr. Schröder an, daß er aufgefordert sei, den Erbgroßherzog von Mecklenburg, dem er früher Jahre lang Unterricht ertheilt hat, auf einer weiten Reise nach dem Orient zu begleiten und daß er, dieser Einladung Folge leistend, vermuthlich erst zu Anfang des nächsten Sommers zurückkehren werde; also verhindert sei, sein gegebenes Versprechen innerhalb dieser Frist zu erfüllen. Um etwa seine Stelle zu vertreten schlägt er Sie vor; er will seine Arbeit vertrauensvoll ganz in Ihre Hände legen, auf die eigene Ehre sogar verzichten.

Indem ich sein Vertrauen zu Ihrer Sachkenntniß wie zu Ihrem Fleiß vollkommen theile, wende ich mich daher an Sie mir der Bitte, dem bedeutenden Unternehmen der neuen Ausgabe der Cölnischen Chroniken, wie mir, freundlich zu Hülfe zu kommen. Ob und was Sie an der mühevollen Arbeit Dr. Schröders zu ändern nöthig finden, werden Sie bald bei Einsicht des Manuscripts, welches zum Theil in Händen von Dr. Cardauns sich befindet (wie namentlich die Reimchronik) erkennen; vielleicht lassen Sie es, wie es ist; dann bleibe Ihnen nur noch die Revision des Textes bei dem Druck neben Dr. Cardauns und die Ausarbeitung des Glossars (welches Dr. Lexer im ähnlichen Fall immer schon bei der Revision der Correcturbogen so weit vorbereitete, daß schließlich nur noch die Zusammenstellung des Ganzen erforderlich war). Das Glossar ist um so wichtiger, als ein solches für den niederrheinischen Dialekt noch gänzlich fehlt, doch müßte es nach dem Zweck meiner Sammlung der Chroniken sich nur auf den Umfang weniger Bogen in Doppelcolumnen beschränken.

Es ist mein dringender Wunsch, daß Sie meine Bitte nicht ablehnen, denn ich würde dadurch in die bitterste Verlegenheit gerathen. Über die Honorarbedingungen werde ich Ihnen Mittheilung machen, so bald Sie mir Ihre Geneigtheit, die Arbeit zu übernehmen, erklären. Lassen Sie sich gefälligst das Manuscript der Hagen’schen Reimchronik von Dr. Cardauns geben, damit Sie sehen, was zu thun ist. Das Manuscript Koelhof’schen Chronik ist noch bei mir und steht Ihnen gleichfalls zu Diensten.

Mit vorzüglicher Hochachtung
Carl Hegel.