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Karl Hegel an Alfred Reumont, Erlangen, 16. Mai 1875

pr. Borgovecchio 20.5.75.

Sehr geehrter Herr!1

Ich habe mit vielem Dank Ihr gütiges Schreiben vom 9. dieses Monats2 aus Florenz empfangen. Wie glücklich sind Sie, das herrliche Frühjahr in dem dortigen irdischen Paradies zu verleben!

Was die Dinofrage angeht, so bin ich mit Ihnen ganz einverstanden, daß die Scheffer Boichorstsche Hypothese von der Fälschung der Chronik im 17. Jahrhundert, schon mit viel Rücksicht auf das frühere Alter der Florentinischen Handschrift, ebenso unzutreffend, als die von Fanfani lächerlich ist. An dem Nachweis der Quelle, woraus das letztere seine Nachrichten über Stradino genommen hat, war mir nur deshalb gelegen, weil ich eher einen Verdacht habe, daß er sie absichtlich verschwiegen, entweder weil sie nicht viel werth ist oder, wie ich eher glaube, daß dort sich auch eine ähnliche Erklärung des Beinamens cronaca scorrette3, (von dem er einen so sonderbaren Gebrauch macht), wie Sie mir freundlichst gegeben, finden möchte. Doch mag dies auf sich beruhen. Ihre Mittheilung daß auch Simone del PollaioloCronaca“ aus demselben Gebrauch wie Stradino genannt worden sei, war mir als Bestätigung der gegebenen Erklärung von besonderem Interesse.

Ich habe mir bereits über die älteste Handschrift des Dino Compagni in der Nationalbibliothek4, die ich nach ihrem früheren Besitzer codex Stradino nenne, und mehrere einzelne Punkte directe Nachricht durch einen Freund verschafft. Da dieser aber nicht in Florenz selbst wohnt und ich ihn nicht zu oft bemühen möchte, so bin ich so frei mich jetzt in derselben Angelegenheit an Ihre Güte zu wenden.

Meine Fragen stehen auf dem anliegenden Blatt; die Antworten bitte ich auf den leeren Rand zu setzen. Meine Abhandlung über die Chronik des Compagni, „Versuch einer Rettung5, befindet sich bereits in Händen von Hirzel und soll, wie dieser verspricht, bis Ende Juni fertig gedruckt sein. Wohin soll ich sie Ihnen zuschicken? Nach Bonn oder Florenz? Und an wen in Florenz soll ich etwa noch sonst schicken, damit man dort Kenntniß davon nehme und gebe?

Ich trete nicht in das Lager der Dreisten6 (wie Fanfani sagt) und möchte nicht als Parteigenosse von Del Lungo und Cesare Guasti erscheinen, ebenso wenig oder noch weniger in das von Fanfani. Mein Standpunkt ist der der deutschen historischen Kritik und ich schließe mich in den Hauptpunkten an Scheffer Biochorst an, mache aber Anderes, was er übersehen oder bei Seite gelassen, zu Gunsten der Echtheit in der Hauptsache geltend. Cesare Paoli hat sich bisher am unbefangensten in der Sache gehalten. Rathen Sie mir meine Schrift an ihn zu schicken? und an Gino Capponi? Einiges was ich über Nichtbeachtung deutscher Geschichtsschreibung gesagt habe, könnte er mir vielleicht übel nehmen, doch würde ich ihn gern meine alte Verehrung, wie ich dies auch in der Schrift gethan, aufs neue bezeugen. Als ein junger Dr. phil. besuchte ich ihn im Frühjahr 1839, als ich längere Zeit in Florenz verweilte, und er war so gütig – damals augenleidend – meinen Besuch zu ewiedern.

Mit aufrichtiger Hochachtung
Ihr ergebener
Carl Hegel.

P.S. In der Sammlung Biblioteca classica des Luigi Carrer ist ein Bändchen betreffend cronache antiche Toscane. Venezia. 1841, worin Dino Compagni und Auszüge aus Villani abgedruckt sind; zum Schluß steht ein Stück: La sconfitta di Montaperto, welches nach Vorrede pagina XII in Siena von Porri 1836 zum ersten Mal angeblich nach einem alten Manuscript veröffentlicht worden ist. Die Erzählung ist offenbar ein neues Machwerk, zum Theil aus Villani und zum Theil dem Ton des Dino nachgebildet. Wissen Sie mir vielleicht zu sagen, ob die Forschung bereits als solche nachgewiesen worden ist? und wer der Herausgeber Porri war? ob man wohl ihm die Fälschung zutrauen kann?