Absicht dieser Zeilen ist, Ihnen natürlich vielmals1 für Ihre Studien über Dino Compagni meinen Dank zu sagen. Ich hoffte Ihnen gleichzeitig mit meinem Danke die Stellung, welche ich Ihrer Aufforderung gegenüber einnehme, in ausführlicher Weise begründen zu können. Allein ich sehe nun wohl, daß ich vor Schluß des Semesters nicht dazu gelangen werde. Einen jungen Dozenten machen die Collegien doch viel mehr zu schaffen, als ich früher geglaubt hatte. Dazu habe ich, um nur mit meinem Thema zu Ende zu kommen, schon seit dem 1ten Juli meine Studien verdoppeln müssen. Also doppelte Arbeit! Wie gesagt, hoffte ich gleichwohl Zeit zu finden, Ihnen ausführlich meine Meinung über Ihre Schrift2 darlegen zu können. Im Warten auf solche Muße sind nun schon zwei Wochen verstrichen. Genehmigen Sie jetzt wenigstens meinen wärmsten Dank sowohl für Ihre Schrift, als auch für die mannigfache, mir außerordentlich | schmeichelhafte Anerkennung, die Sie mir so reichlich zu Theil werden ließen.
Um aber auch heute schon wenigstens nicht mit ganz leeren Händen zu kommen, will ich zu der Häuserzerstörung auf Seite 43 bemerken, daß der Villanische Text bei Neratori XIII 344 ganz verfassungsgemäß lautet: a disfare e guartare i beni d’uno di casa Galli. Der dragomannische Text ist gar im Allgemeinen das bessere, aber doch nicht überall; namentlich gerade an obiger Stelle nicht. Zu dieser, angeblich durch Dino vollzogene Häuserzerstörung bemerken Sie S. 21, daß die Erzählung zuvor in auffallenden Widerspruch tritt mit Villani und Anderen, „aber doch nicht durch ein urkundlichesZeugniß widerlegt wird“. Dem meine ich doch entschieden widersprechen zu sollen. Die von mir S. 106 angeführte Urkunde scheint mir die schlagendste Widerlegung zu sein. Dazu kommt nun noch folgendes, gar reizendes Sätzchen, das mir vor 8 Tagen aus Florenz zuging: „Lire 28, solli 13, danari 6 jur nemuneratiione e page magistrorum (scilicet de lapide et ligamine), picconariarum, barattiriorum (offenbar verlesen für banderariorum), turbatitarum (ich zweifele nicht: anstatt trunbatitorum = trombettieri) et nuntiorum, qui fuerunt as destruendum donum de Gallis. Fassi questo consiglio L’ultimo di Marzo 1293“. |
Mit nochmaligem Danke und zugleich dem Versprechen, daß ein genaues Eingehen auf Ihre Schrift meine erste Carrierearbeit sein soll,
Ihr Ihnen aufrichtig ergebener Scheffer-Boichorst.
P. S. Mir ist nun der Borghini am 15ten Juni und 1ten Juli nicht zugekommen. Könnten Sie mir vielleicht, diesmal die beiden Schriften zukommen lassen?
1Unsichere Lesart. 2Dies bezieht sich auf die Publikationen Karl Hegels im Kontext der sogenannten Dinofrage bzw. des Dinostreits, hier speziell auf die 1875 in Leipzig erschienene Schrift „Die Chronik des Dino Compagni. Versuch einer Rettung“.
Scheffer-Boichorst, PaulPaul Scheffer-Boichorst11860685918431902Scheffer-Boichorst, Paul (1843–1902), in Elberfeld geborener Historiker, der von 1862 bis 1867 an den Universitäten Innsbruck, Göttingen, Berlin und Leipzig studierte, wo er 1867 auch promoviert wurde. Von 1867 bis 1872 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Editionsunternehmen „Regesta Imperii“, dann bis 1875 bei den Monumenta Germaniae Historica. 1875 wurde er außerordentlicher Professor an der Universität Gießen und war von 1876 bis 1890 Ordinarius an der Universität Straßburg, anschließend bis zu seinem Lebensende an der Universität Berlin. Von 1891 bis 1902 gehörte er der Zentraldirektion der Monumenta Germaniae Historica an, ab 1898 war er Mitglied der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Mit Karl Hegel (1813–1901) lieferte er sich einen heftigen Disput über die Echtheit der Chronik des Dino Compagni, bei welchem Karl Hegel recht behalten sollte.
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Gießen50.5862066,8.6742306Etwa 30 Kilometer südlich von Marburg an der Lahn gelegene Universitäts- und Garnisonsstadt im Großherzogtum Hessen.
Dino CompagniDino Compagni118911090um 1246/12471324Dino Compagni (um 1246/47–1324), der in Florenz geboren wurde und dort auch verstarb, war Chronist, Kaufmann und Politiker; um die Echtheit seiner Chronik entbrannte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein fachwissenschaftlicher Streit, an welchem auch Karl Hegel (1813–1901) federführend beteiligt war und mit seiner Ansicht bezüglich der Echtheit dieser Chronik Recht behalten sollte.
Villani, Giovanni11876848412801348Villani, Giovanni (1280–1348), war ein italienischer Geschichtsschreiber, Chronist, Kaufmann, Politiker sowie der ältere Bruder von Matteo Villani (1290–1363).
Villani, Matteo11580595812901363Villani, Matteo (1290–1363), war ein italienischer Kaufmann, Geschichtsschreiber und Chronist sowie Bruder von Giovanni Villani (1280–1348), dessen Florentiner Chronik er nach dem Tod des Bruders weiterführte.
Borghini, Vincenzo11924257515151580Borghini, Vincenzo Maria (1515–1580), war ein italienischer Humanist, Schriftsteller, Akademiker und Kleriker.
Florenz43.7698712,11.2555757Hauptstadt im Zentrum des Großherzogtums Toskana im Norden der Apenninen-Halbinsel circa 300 Kilometer nördlich von Rom gelegen.
Docent, DozentLehrender.
Colleg, Collegium, CollegienAkademische Vorlesung(en) bzw. Vorlesung(en) an einer Universität oder Hochschule.
DinofrageVornehmlich in den 1870er Jahren in Deutschland und Italien aufgeworfene Frage nach der Echtheit der Chronik des Florentiner Kaufmanns, Politikers und Chronisten Dino Compagni (um 1246/47-1324), an der auch Karl Hegel (1813-1901) federführend beteiligt war, der für deren Echtheit plädierte. Vgl. dazu auch als Synonym: Dinostreit.
DinostreitDisput um die Echtheit der Chronik des Florentiner Kaufmanns, Politikers und Chronisten Dino Compagni (um 1246/47-1324), infolgedessen auch einige diesbezügliche Publikationen erschienen, auch von Karl Hegel (1813-1901), vgl. hier sein Schriftenverzeichnis, der sich in diesem Kontext insbesondere einen Schlagabtausch mit seinem Historiker-Kollegen Paul Scheffer-Boichorst (1843-1902) lieferte und in seiner Sichtweise Recht behalten sollte.
Versuch einer Rettung1875 in Leipzig erschienen Publikation Karl Hegels (1813-1902) im Kontext der Frage nach der Echtheit der Chronik des Dino Compagni (um 1246/1247-1324) unter dem Titel: Die Chronik des Dino Compagni. Versuch einer Rettung“, vgl. dazu Dinofrage, Dinostreit.
urkundlichZu einer Urkunde gehörend, auf eine Urkunde bezogen, einer Urkunde zuzuordnen.
Urkunde, Urkunden, urkundliche DenkmälerAus dem Althochdeutschen von „urchundi“ für „Zeugnis“ stammender Begriff für ein historisches Dokument in Form eines geschriebenen, nicht literarischen Textes, der im engeren Sinne eine rechtskräftige Niederschrift einer schriftlichen, in bestimmter, wenn auch wechselnder Form abgefassten Erklärung über rechtliche Vorgänge darstellt, welche in der abendländischen Geschichte seit der römischen Antike belegt ist.
Mehrere Registerverweise
Zitierempfehlung
Die wissenschaftliche Korrespondenz des Historikers Karl Hegel (1813-1901), bearbeitet von Helmut Neuhaus und Marion Kreis