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Otto Hartwig an Karl Hegel, Marburg, 23. September 1875

Hochgeehrter Herr!

Nur um nicht Mißverständnisse aufkommen zu lassen, erlaube ich mir umgehend mit wenigen Worten Ihren freundlichen Brief zu beantworten, den ich so eben erhielt. Ich nehme durch aus nicht an, daß der Fälscher des 16. Jahrhunderts alle die Dinge, welche er berichtet, aus allen möglichen Chroniken allein, die wir kennen, und seiner Phantasie geschöpft habe, sondern daß er ein Stück Geschichtserzählung vor sich gehabt, das wir nicht kennen, in seiner ursprünglichen Gestalt nicht mehr vor uns haben, und nur weiter, daß der Mann, der unsere heutige Chronik des Dino Compagni gemacht hat, nicht ein einfacher Ueberarbeiter, sondern ein Fälscher ist, daß darum der historische Werth seines Machwerks für uns gleich Null ist. Ich habe Ihnen in meinem Briefe, wenn ich nicht sehr irre, von einem Chronikenfragment gesprochen, dessen Verfasser vielleicht schon Villani vor sich gehabt habe. Dieses Fragment halte ich für den wichtigsten Bestandtheil des Materials, das der Fälscher vor sich gehabt hat. Im Uebrigen stehen sich in unseren Anschauungen kritische Principien einander gegenüber. Ich weiß in der That nicht, wie man einer Schrift noch Glauben beimessen kann, wenn der Verfasser derselben nachweislich auf den Namen eines Anderen für ihn gefälscht hat. Man darf doch nicht in einer Schrift das nachweisbar Falsche in sich als Irrthümer ausscheiden und dann den Rest als glaubwürdig ansehen, wenn wir denselben nicht von anderen Quellen bestätigt finden; sobald die Irrthümer der Art sind, daß sie auf die Leichtfertigkeit und Unglaubwürdigkeit des Autors stringent schließen lassen2. Und wenn nun gar sich herausstellt, daß ein Tutor des 16. Jahrhunderts im namen eines Mannes des 14. Jahrhunderts das Wort ergreift, dann sind wir meiner Ansicht nach vollkommen berechtigt, dieser Schrift die Glaubwürdigkeit abzusprechen, wenn nicht die Zuthaten dieses Ueberarbeiters und Fälschers auf eine unfehlbare Weise, z. B. durch die Sprache, ausscheidbar sind. Daß dieses aber in einzelnen Faellen möglich ist, dazu liefert die alttestamentliche Kritik in Betracht des Pentateuchs einige schlagende Beispiele.

Ich hoffe nicht, daß dieser Gegensatz, in dem ich mich mit Ihren kritischen Grundsätzen befinde, auf unser Verhältniß störend einwirken wird, und glaube daß wir ein Jeder nach seiner Art, doch zusammen wirken werden, um die dunkle Geschichte der schönen Arnostadt ans Licht zu ziehen. So Gott will, werde ich nächstes Frühjahr auf drei Monate nach Italien gehen, um namentlich auch in Lucca zu arbeiten. Könnte ich Ihnen für Ihre Zwecke dabei dienen, so wird mich das sehr freuen.

Mit schuldigster Hochachtung
Ihr ergebenster
Otto Hartwig.