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Karl Hegel an Immanuel Hegel, Erlangen, 24. Oktober 1875

Lieber Manuel!

Obwohl Ihr durch Eugen alles was unser Haus betrifft erst kürzlich erfahren habt, will ich doch selbst auch Nachricht davon geben und vor allem dankbar erkennen, wie freundlich Ihr unseren lieben Schwiegersohn in Eurem Hause aufgenommen habt, wovon er sehr angethan war, weil es ihm ganz heimisch und gemüthlich bei Euch gewesen ist. Freilich hat es ihn nicht lange gehalten weder in Berlin, noch in Leipzig, weil er sehnlich nach Frau und Kindern zurück verlangte, mit denen er so glücklich zusammen lebt. Leider hat er auch recht schlechtes Wetter gehabt, aber doch in so kurzer Zeit außerordentlich viel gesehen und geleistet.

Von unserem Patienten im Haus kann ich nur Gutes berichten; er ist längst fieberfrei und frei von Hals- und Schlingbeschwerden1 und fängt an sich zu häuten; doch muß er leider noch eine lange Weile im Bette bleiben, bis dieser Prozeß völlig vorüber ist, und da die Gefahr der Ansteckung gerade während derselben am meisten besteht, so müssen wir auch so lange, wenn nicht länger, von den unsrigen abgesperrt bleiben, mit denen sich Susanna nur vom Fenster aus durch die freie Luft unterhält, während ich doch täglich zu Lommels gehe. Die Krankheit nimmt immer einen epidemischen Charakter an und verschont auch die nicht, die am meisten sich vor ihr scheuen und sie sich vom Leibe zu halten bemüht sind.2 So leben wir denn ein rechtes Stillleben für uns. Niemand kommt zu uns, außer jeden Abend unser Sohn Georg, der zur Zeit noch – bis Anfang November – mit den anderen Freiwilligen, 36 an der Zahl, in der Caserne wohnen muß. Er ist sehr stolz und eitel auf seine Uniform und gewinnt an körperlicher Haltung und Ausbildung.3

In München erfreuten wir uns zu Anfang dieses Monats, während eines Aufenthalts von 8 Tagen, im Hause Klein an dem jungen vergnügten Ehepaar und seinem hübschen Haushalt. Wir haben auch fortdauernd gute Nachrichten von dort, wo das Leben äußerlich viel reicher und bewegter ist als bei uns, wo es besonders an Besuchen von auswärts bis jetzt noch nie gefehlt hat, – ich erwähne von einer ganzen Reihe nur unsere liebe Mama, die mit ihrer Minna einige Tage bei ihnen wohnte auf ihrer Rückkehr von Kohlgrub, und Agnes Vollmar nebst Lenchen, welche viel Unterhaltungsgabe besitzen soll, die schon vor uns im September auf der Reise nach Italien dort waren, wenn auch nicht dort wohnten. Onkel und Tante waren zu unserer Zeit noch nicht von Simmelsdorf zurück, sind es aber jetzt, der Onkel sehr munter, die Tante leider leidend und bettlägerig. Von der Mutter haben wir Nachricht aus Nürnberg, daß sie nach einem weiteren Aufenthalt auf dem Wege, in Ingolstadt, glücklich dort angekommen ist.

Sehr angethan sind wir von der offenen rückhaltlosen Erklärung unseres Königs zu Gunsten seines Ministeriums und damit zugleich für die liberale und Reichspartei gegen die Clericalen, die ihren Stimmsieg mit zweien gehörig zu benutzen hoffen. Von der Rohheit und Bornirtheit dieser Leute, welche das Bauernvolk in Altbaiern am Gängelbande führt, ist es schwer einen Begriff zu fassen, wenn man nicht ihre Kammerreden liest; zum Glück haben sie sich dabei zugleich so unglaublich taktlos benommen, daß sie sich dadurch selbst am meisten bei dem König, auf den sie hofften, geschadet haben. Der rasche Entschluß ist allein aus ihm selbst, ohne Berathung mit seinen Ministern, in dem weit hinten im Gebirg entlegenen Linderhof hervorgegangen. Von seiner Erklärung ist eine erhebliche Wirkung auch bei dem Landvolk, dem sonst von keiner anderen Seite beizukommen ist, zu hoffen. Die Kammer, jetzt vertagt, wird wenn der nächste Zeitpunkt gekommen, aufgelöst werden; man braucht sie noch für die Bewilligung des fortlaufenden Budgets im nächsten Vierteljahr.

Meine Frau läßt herzlich grüßen; sie widmet sich ganz der Pflege unseres Mundel und sucht ihm auf alle Weise die Langeweile zu vertreiben.

So eben erhielt ich eine offizielle Einladung, gezeichnet Sulzer und Gneist, zur Feier der Enthüllung des Stein-Denkmals am 26. October, der ich nicht Folge geben kann.

Treulich Dein Bruder Karl.