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Karl Hegel an Georg Waitz, Erlangen, 10. November 1875

Theurer Freund!

Haben Sie besten Dank für Ihren 7. Band1, der mich begreiflicher Weise sehr interessiert hat. Ich habe zuerst die Parthien durchgegangen, die mir am nächsten lagen und erfreue mich gern in manchen Punkten Ihrer Zustimmung, besonders da wo Sie an frühere Arbeiten von mir erinnern, die von anderen unbeachtet geblieben sind. Ihre Behandlungsweise, so weit sie sich auf die Städteverfassung bezieht, ist natürlich eine von der meinigen verschiedene, da nach dem System Ihres großen Werks das Städtewesen nicht als ein Ganzes für sich betrachtet werden kann, sondern nach seinen verschiedenen Seiten hin unter den leitenden Gesichtspunkten der Capitel mit berücksichtigt wird, so im 4. Capitel bei Volk und Städten, im 9. bei Grafen und Burggrafen, im 12. bei Fürstenthümern und Städten. Durch diese Behandlungsweise gewinnt man dafür den zusammenfassenden Überblick über das Gleichartige oder Verwandte der Dinge und Personenverhältnisse im ganzen Reich und seinen Theilen, und gerade darin finde ich in Ihrem Buch eine fundamentale Belehrung. So war mir Ihre Ausführung über Ministerialen und Consulen im 5. Bande besonders werthvoll und jetzt wieder die Zusammenstellung von den verschiedenen Burggrafen, die von den Marktrechten u. A. Ihre Verfassungsgeschichte hält sich fern von künstlichen Hypothesen auch in diesem Theil, der die Städte und die Stadtverfassung betrifft, und begnügt sich, mit erreichbarer Genauigkeit und Sicherheit darzulegen, was das wirklich war und sich erforschen läßt.

Ich danke Ihnen für die Mittheilung aus Petzholdts Anzeiger über eine Cölnische Chronik, der ich weiter nachzugehen nicht unterlassen werde. Wegen des 1. Bandes der Cölner Chroniken, der Ihnen auffallender Weise noch nicht zugekommen ist, habe ich nach München geschrieben; denn die Zusendung erfolgt von dort aus, vermuthlich nur auf buchhändlerischem Wege, um zu sparen.

In dem Studium Ihrer Verfassungsgeschichte wurde ich unterbrochen durch die eben erschienene Schrift von Scheffer Boichorst über Dino gegen mich. Ich bin überrascht, wie sehr er sich gegen mich erregt zeigt und sich aufs hohe Pferd setzt. Ich meinte ihm doch alle gebührende Ehre erwiesen zu haben, wenn ich ihm auch daneben gezeigt habe, daß er nicht unfehlbar und seine Sicherheit etwas zu groß ist. Ich verdenke ihm nun auch nicht, daß er scharfe Waffen gegen mich führt, aber es scheint mir, daß er nicht immer in den Schranken des fair play, wie die Engländer sagen, bleibt und zu wenig merken lassen will, welche Positionen er mir gegenüber bereits aufgegeben hat. Seine Argumentation dünkt mich auch in dieser Schrift bis weilen überscharfsinnig und zu sehr ins Geringschätzige sich verlierend, bis wohin ihm wohl nur wenige folgen werden. Die Weiterführung des Streits halte ich um so mehr für fruchtlos als wie ja in der Hauptsache, daß der Dino wie er uns vorliegt unecht ist, einverstanden sind. Nur für eine bloße Fiction vermag ich nicht ihn anzusehen.2

Ihren lieben Sohn3 habe ich am letzten Sonntag trotz Schnee und Kälte bei uns gesehen; er befand sich wohl und gefällt sich hier gut. Auch uns hat er durch sein offenes und verständiges Wesen recht gut gefallen.

Zur nächsten Sitzung in Berlin werde ich bereit sein, sobald Sie rufen.4

Von dem 2. Bande Cöln5 liegt die erste Correctur vor.

Mit herzlichem Gruß
der Ihrige
Carl Hegel.