XML PDF

Karl Hegel an Immanuel Hegel, Erlangen, 1. Mai 1876

Lieber Manuel!

Heute ist Walpurgis Tag, welcher hier ein halber Feiertag ist1, weil die Jugend das Maifest auf dem Walberla, der zwei Stunden von hier entfernt liegt, begeht, und es ist ein schöner Frühlingstag, nachdem es die Nacht vorher geregnet hat, die Natur prangt in Blüthen und frischestem Grün.

Gestern hatten wir zahlreichen Besuch über Mittag von lieben Verwandten aus Nürnberg, der Familie Löffelholz, die aus Augsburg gegenwärtig in Nürnberg im Hause unserer lieben Mutter verweilt, mit ihren hübschen und fröhlichen Kindern, zwei Knaben, von denen der kleinere uns sehr an unseren lieben Gottlieb erinnerte, und einem zierlichen Mädchen. Die liebe Mutter selbst mit ihrer Gesellschafterin Minna Brockdorf kam im Wagen herüber gefahren, und Grundherrs das ist August und Marie mit ihrem Sohn Carl, bairischer Cavallerielieutnant.

Für die liebe Mutter war die Fahrt hierher ein Unternehmen, welches sie etwas schwer nahm, weil sie leider ihren Kräften wenig mehr zutraut und demgemäß sehr heruntergestimmt ist, wie es sonst gar nicht ihre Art war. Sie leidet an Kurzathmigkeit und glaubt, daß es bald mit ihr zu Ende gehe, weil sie fühlt, daß ihre Kräfte immer mehr abnehmen. So ist sie wehmüthig und ernst gestimmt in dem Gedanken, ihre Lieben bald verlassen zu müssen, denen sie nicht aufhört in aller Weise ihre Theilnahme und Herzensgüte zu bezeigen. Eine große Freude war es ihr, zu Ostern2 ihren Sohn Friedrich als glücklichen Bräutigam bei sich zu haben, was natürlich Gelegenheit zu vielem Familienverkehr gab. Auch wir hatten das Brautpaar nebst den Eltern der Braut bei uns: der Vater der Braut ist Appellationsrath in Nürnberg, ein etwas verknöcherter Jurist, aber sonst ein ehrenwerther Biedermann, so wie seine Frau einfach und im guten Sinne bürgerlich; die Braut ist eine angenehme Erscheinung, jugendlich, frisch und heiter und gewiß auch anspruchslos, so daß sie sich auch wohl in dem etwas abgelegenen Winkel von Vohenstrauß ganz glücklich fühlen wird; am meisten werden die Eltern das einzige fröhliche Kind vermissen.

Frau Luise Löffelholz sieht noch recht gut aus und auch er, dem der Pensionsstand gut bekommt, hat sich besser conservirt als Andere, wie ich z. B. Er ist ein unterrichteter und umsichtiger, etwas peinlicher Mann, reichlich mit einem intricaten3 Lehnsprozeß beschäftigt, den er seit langem mit seinen Geschlechtsvettern führt. Beide, er und sie, verstehen es ihre Kinder gut zu erziehen, doch ist das älteste Töchterlein, aus Löffelholz‘ erster Ehe, gegenwärtig in einem Pensionat zu Eßlingen.

Von Anna in München hatten wir heute einen erfreulichen Brief. Sie feierte vor wenigen Tagen den Geburtstag ihres Ehemannes4 und hat gegenwärtig zwei Schotten, von denen der eine mit Felix nahe befreundet ist, bei sich als Gäste im Haus. An Besuchern wird es ihnen überhaupt, im Sommer besonders, nicht fehlen.

Ich freue mich, daß das Nürnberger Fäßchen eine so gute Aufnahme bei Euch gefunden hat: möchte auch nur sein Inhalt der Erwartung entsprochen haben! Am besten finde ich das Bier in den ersten 14 Tagen, nachdem es abgezapft worden, weil es da noch nicht so stark schäumt, wie später. Zur Besänftigung seines aufgeregten und fast wilden Zustandes im späteren Stadium, der auch für den Geschmack nicht ganz angenehm ist, dient, wenn man es ein paar Stunden vorher, bevor es genossen wird, in einen großen Krug einschenkt und darin stehen und abdampfen läßt. Wenn es länger als 4, 5 Wochen in Flaschen aufbewahrt wird, ist Gefahr vorhanden, daß es absteht und sauer wird, weil es nur für den Winter gebraut worden ist. Darum schone seiner nicht allzu sehr!

Du hast vielleicht gesehen, daß mir die besondere Ehre zu Theil geworden ist, die mich ebenso überrascht als erfreut hat, daß ich correspondirendes Mitglied der Berliner Akademiker geworden bin. Weniger angenehm ist nur, daß ich auch für dieses Jahr zum Prüfungscommissär5 in München ernannt worden bin, was mich 4 – 5 Wochen Zeit im October kosten wird.

Meine Frau grüßt herzlich. Ich grüße die liebe Clara, Willi, Clärchen und, wenn sie noch bei Euch sind, Marie und ihren Herzenstraut6.

 keine Grußformel und keine Unterschrift Karl Hegels