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Karl Hegel an Immanuel Hegel, Erlangen, 17. Juni 1876

Lieber Manuel!

Ich habe diesmal meinen regelmäßigen Termin des Schreibens am 1. jeden Monats vorübergehen lassen, weil ich auf der Reise war; doch habe ich Deinen lieben Brief vom 25. vorigen Monats1 noch hier in Erlangen erhalten und sage Dir nun erst meinen besten Dank für Deinen brüderlichen Glückwunsch zu meinem Geburtstage.2 Leider fühle ich deutlich, daß es mit mir abwärts geht und ich meine Kräfte vorsichtig schonen muß, um mich im gleichmäßigen Gange meiner gewohnten Thätigkeit zu erhalten. Mit der Arbeit geht es langsam vorwärts und bin ich froh, wenn ich überhaupt nur damit weiter komme. Neben meinen Vorlesungen beschäftigt mich fortdauernd die Geschichte und Stadtverfassung von Cöln, welche ich zu den Chroniken gebrauche. Das reiche gedruckte Urkundenmaterial in 5 starken Bänden, herausgegeben von Ennen3, sowie die von demselben ausgearbeitete Geschichte von Cöln4 läßt doch noch gar Manches vermissen und Vieles im Dunkeln. Ich fand es daher nothwendig, mich selbst noch an Ort und Stelle, im Stadtarchiv zu Cöln und im Provinzial- Archiv zu Düsseldorf umzusehen und nahm mir zu diesem Zweck auf 14 Tage Urlaub zu Pfingsten5. Erst heute vor 8 Tagen bin ich zurückgekehrt. Ich bin reich belohnt worden vornehmlich durch eigene Anschauung der Herrlichkeiten der alten Stadt Cöln, immerhin auch durch einige Ausbeute aus den genannten Archiven und Anknüpfung neuer persönlicher Beziehungen, wozu besonders die Versammlung des hanseatischen Geschichtsvereins in der Pfingstwoche Gelegenheit gab. Ich fand dort meine Mitarbeiter bei den Chroniken, Mantels von Lübeck, Hänselmann von Braunschweig, von Bippen aus Bremen und viele alte Bekannte. Die Stadt Cöln selbst wurde in sehr würdiger Weise durch den ehemals rothen Becker, den Oberbürgermeister, vertreten, der eine stattliche Persönlichkeit ist und vortrefflich zu reden versteht, dessen Lob dort in Aller Mund ist, weil er alles richtig angreife. In eine seltsame ultramontane Beziehung kam ich durch meinen Mitarbeiter Dr. Cardauns, der seine Privatdocentur in Bonn aufgegeben hat, Redacteur der Cölnischen Volkszeitung geworden ist und nun auch eine ebenso reiche als stockkatholische Frau aus Bonn heiratet. Ich lernte die ganze Familie, zu der ich freundlich eingeladen wurde, kennen; der Vater ist ein vielbeschäftigter Notar. Auch sonst habe ich viele tüchtige und wackere Männer in Cöln kennen gelernt, denn ich wurde in das Casino, in die Gesellschaft der Erholung6 und selbst in die Carnevalsgesellschaft7 eingeführt. Das Museum8 birgt herrliche Kunstschätze alter und neuer Zeit; die Cölnische Malerschule lernt man dort und an dem herrlichen Dombild am besten schätzen und verstehen. Man sieht nirgends sonst so viele Kirchenbauten im rein romanischen Styl beisammen als wie in Cöln. Der wundervolle Dom wurde wie von unten, so auch von oben auf dem Dach besichtigt.

Eine oben angebrachte Dampfmaschine hebt die fertig behauenen Steine auf das Gerüste an den Thürmen empor. An der unglücklichen Kaiserglocke wird unten noch gemeißelt, um ihr erst noch einen reinen Klang zu verschaffen. Ich erfreute mich überall einer sachverständigen Führung. Ganz erstaunlich belebt ist der Schiffsverkehr auf dem Rhein neben dem Verkehr zu Lande auf den Eisenstraßen.9 Die Pfingsttage brachte ich bei Kleins in Düsseldorf zu, wo ich im Hause ein behagliches und wohlgeordnetes Familienleben fand, wie in dem des Schwiegersohnes und Fabrikherrn Flender die Bequemlichkeit des Reichthums ohne prahlerischen Luxus. Die Stadt hat breite Straßen, viele elegante Häuser, und ist geschmückt mit prachtvollen Baumalleen, an welchen sich der berühmte schöne Hofgarten anschließt; in dem sogenannten Malkasten, dem ehemaligen Pempelfort von Jacobi saßen wir an linden Abenden.

In Bonn erfreute ich mich des Wiedersehens mit Stintzings, die noch tief betrübt durch den Verlust ihres jüngsten Knaben waren und sah die mit dem größten Luxus ausgestatteten neuen Universitätsanstalten.10

Freude haben wir an unseren beiden Enkeln, Gottlieb und Felix, die wir mit ihrer glücklichen Mutter oft bei uns im Garten sehen. Unsere liebe Mutter ist in Simmelsdorf und ihr Befinden hat sich dort, wie wir hören, wesentlich gebessert. Die Hochzeit von Schwager Friedrich ist auf den 25. Juli anberaumt. Wegen eines Hochzeitsgeschenks haben wir noch keinen Entschluß gefaßt. Willst Du ein solches von Berlin aus schicken, so wäre es am besten gleich an das Freiherr von Tucher’sche Amt auf dem Egidienplatz zu adressiren, doch mit dem Bemerken, daß es in Nürnberg an den Adressaten zu übergeben sei, damit es nicht etwa weiter nach Vohenstrauß befördert werde. Willst Du aber uns damit beauftragen, so werden wir gern Deinen Wünschen entsprechen.

die liebe Clara und Eure Kinder.

Dein Bruder Karl.