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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 3. Juli 1876

Lieber Karl!

Heute vor 10 Jahren wurde die große Schlacht bei Königgraetz geschlagen1, und ein für Preußen und Deutschland nothwendiger Sieg erfochten, durch welchen dem verbliebenen Dualismus ein Ende gemacht wurde. Eine zweite Erlösung Deutschlands und ganz Europas war freilich der Sieg über die Napoleonische Herrschaft bei Sedan2; dieser Sieg aber hat uns in seinem weiteren Gefolge viele verderbliche Früchte gebracht, vor Allem den unseligen Kulturkampf in unserem Vaterlande. Es ist zwar jetzt darin eine Ermüdung eingetreten; aber die verderblichen Wirkungen dauern fort, und unter ihnen leidet auch schwer unsere evangelische Kirche. Unsere Kirchenverfassung ist unter diesem Einflusse jetzt durch das vom Landtage angenommene Synodalgesetz zum Abschluß gebracht und mit großer Sorge sehen wir ihrer Ausführung entgegen. In Staat und Kirche stehen nun neue Wahlen bevor; es wird ein recht unerquikliches Treiben geben, aber in der unsicheren und unheimlichen Schwüle, welche gegenwärtig alle andern Zustände beherrscht, werden sie folgenreiche Entscheidungen mit sich führen. Für die politischen Wahlen aber habe ich von meinem Standpunkte aus ebenso wenig Hoffnungen einer gründlichen besseren Wendung, als für die kirchlichen nach unserer neuen liberalen Verfassung. Im Augenblick hat nach der erschöpfenden langen gesetzesreichen Session des Landtags der Juli hier bei uns eine große Stille gebracht. Die Schulen sind geschlossen und die Eltern mit ihren Kindern in die Ferien gezogen. Wegen dieser Ruhe bleibe ich gern im Juli in Berlin und denke erst am 1sten August nach Johannisbad zu ziehen, um mich hier in frischer Bergesluft zu erholen und zu erquiken.

Du hast nach Deinem Briefe vom 17ten vorigen Monats3 bereits eine interessante Reise nach dem schönen Rhein und dem ehrwürdigen Köln ausgeführt, und wir haben uns an den mannigfaltigen reichen und belohnenden Eindrücken, die Du dort empfangen und uns in der Ueberschau geschildert, sehr erfreut. Von Düsseldorf schreibst Du nicht, daß Du dort dem Regierungs- Präsidenten Bitter begegnet bist; er ist der Onkel von meiner Marie, der musikalische Schriftsteller und Verehrer von Bach, den Du auch hier gelegentlich kennen gelernt hast. Die hiesigen Eltern Bitter wohnen jetzt wieder in ihrer freundlichen Villa am Wannensee, wo wir sie auch vor einigen Tagen besuchten; es ist einer der schönsten Punkte in der Nähe von Berlin.

In drei Wochen habt Ihr die Feier von Friedrichs Hochzeit in Nürnberg, und wir wünschen auch dabei unserer verwandtschaftlichen Pflicht zu genügen. Dein freundliches Anerbieten, uns ein passendes Hochzeitsgeschenk zu besorgen, nehme ich dankbar an, und stelle Dir dafür ungefähr 25–30 Mark zur Verfügung. Die liebe Susana wird am besten wissen und erfahren können, wo eine Ergänzung oder Ausschmückung des neuen Hausstandes passend und erwünscht sein möchte, und werden wir ihrer Wahl und Ausführung in jedem Falle zustimmen. Nur für den Fall, daß nichts Anderes und Passendes zu finden wäre, erlaube ich mir auf einen großen und schönen, würdigen und allgemein ansprechenden Kupferstich von der Kreuzabnahme4 von Rubens aufmerksam zu machen, welcher von der verwittweten Frau Kupferstecher Wagner5 in München, Landwehrstraße 37, zu beziehen ist und auf briefliche Aufforderung unverzüglich von ihr geschickt wird. Onkel Gottlieb hat ihn mir empfohlen, weil das Werk von dem Künstler, Kupferstecher Wagner, dem Evangelischen Waisenhause geschenkt ist6, und ich habe in Folge dessen schon jetzt hier 6 Exemplare abgesetzt; die ganze Bittersche Familie damit versehen; denn es ist ein schönes Werk und kostet nur 4 Reichstaler oder 12 Mark, während der Ladenpreis in den hiesigen Buchhandlungen 8 Reichstaler ist. Würde dazu in Nürnberg ein stattlicher Rahmen für circa 15 Mark besorgt, so gäbe das ein würdiges Geschenk, falls es passend erscheinen sollte.

In voriger Woche besuchten uns Frau von Mellenthin und ihre Tochter Marie, Braut von Vetter August; beide haben uns sehr wohl gefallen; sie wollten die neuen Verwandten in Halle und Leipzig besuchen und dann nach Marienbad gehen, wo sie Gottlieb und Thekla noch antreffen werden. Es ist die Absicht, im Herbst Hochzeit zu halten, wozu auch die alten Eltern nach Pommern hinkommen wollen, und sich dann in der dürftigen Feldmühle einzurichten; die etwas schwächliche pommersche Braut thut mir bei diesem kläglichen Aufenthalt in Alt-Bayern leid.

Willi ist in voriger Woche auf 3 Monate nach Waldenburg gezogen, wo er bei einem Rechtsanwalt arbeitet.7 Auf der Rückreise von Johannisbad hoffen wir auch die Kinder dort zu besuchen. – Zu Pfingsten8 besuchten wir wieder Knoblauchs in Pessin im Havelland und verlebten dort drei sehr gemüthliche Tage; am 2ten Pfingsttag machten wir ein Fest bei einem reichen benachbarten Gutsbesitzer Herr von Erxleben mit, erst Vergnügen mit großen Kindern der Familien, fast alle Brewdows9, im grünen Walde, dann Abends im reich geschmückten und festlich erleuchteten Schlosse.

Mein armer Schwager Theodor hat in nächster Zeit eine sehr schwere Veränderung zu erfahren: in Folge der neuen Organisationen ist ihm die Pensionierung wegen seiner Blindheit angekündigt; er sträubt sich zwar noch heftig dagegen, doch wird er doch sich fügen müssen. Es fällt ihm nicht allein die Verminderung der Einahmen bei seinen besonderen persönlichen Bedürfnissen schwer, sondern noch mehr die Beschäftigungslosigkeit. Es ist dies auch für die Geschwister bei seiner Kränklichkeit eine große Sorge.

Herzliche Grüße von Clara und Clärchen; Clara wird der lieben Susanna bald für deren lieben Brief persönlich danken.

In herzlicher Liebe Dein Immanuel