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Karl Hegel an Susanna Maria Hegel, geb. Tucher, Erlangen, 26. Juli 1876

Meine liebe Susanna!

Deinen lieben Brief vom Montag, 24. Juli erhielt ich gestern durch die liebe Mutter unmittelbar vor der Trauung2, als wir uns in der Sacristei zu Sankt Sebald versammelten; nur flüchtig konnte ich ihn dort durchlesen; er bewies mir wie gern Du bei mir und bei der schönen Feier gewesen wärest; und wie gern hätte auch ich Dich neben mir und in dem Kreis der lieben Verwandten gesehen! Und wie sehr wurdest Du in diesem Kreise vermißt, wie mir alle und besonders oft die gute Frau Stramer versicherten. Es konnte eben nicht anders sein, es hätte Dir keine Ruhe bei uns gelassen! Und wir vermißten schmerzlich auch andere geladene Gäste, Caroline mit ihrem Mann, – lezteren erwartete Stephanie noch am Abend vorher und hatte sein Gastbett neben dem meinigen im eigenen Schlafzimmer hergerichtet. Von den Schwestern fehlten 3, die eine leider für immer, von den Schwiegersöhnen der lieben Mutter nur der eine, Ulrich. Die männlichen Tuchers waren zahlreich vertreten; als das Haupt der liebe Onkel Gottlieb mit seiner Frau, die recht stark geworden ist und wohl aussieht, ihr Sohn August, der glückliche Bräutigam3; von den Leitheimern abgesehen von Theodor mit Frau Josephine auf Schoppershof, Max der Ägypter, der sich recht erholt hat und seine Mutter Frida, die ebenfalls stark geworden ist und gut aussieht. – Susanna war nur beim Polterabend; sie war noch vor kurzem mit Fräulein Ramann 4 Wochen lang in Rom und sieht recht strapaziert aus; – von der älteren Linie4: Christoph, doch ohne Paula, die in Berchtesgaden ist, und der sonnengebräunte Cavallerieoffizier Heinrich. Von den Grundherrs waren, außer August mit Frau und Sohn Carl, die Glockenhöfer5, Friedrich und Ferdinand mit ihren Frauen, anwesend. Bei August und Marie waren Löffelholz und Luise, bei unserer guten Mutter, Onkel Gottlieb und Frau, und Max Crailsheim – letzterer wie die Löffelholz schon ohne Kind – einquartiert; wir Hegels allein auf dem Glockenhof, Marie und Sophie in Lina’s großem Gastzimmer oben, ich allein wie bemerkt in Ferdinands und Stephanie’s Schlafzimmer, was mein lebhaftes Bedauern wegen Störung hervorrief, denn sie haben sich oben über diesem Zimmer wahrscheinlich viel weniger gut beholfen. Doch um in dem Katalog der Gäste fortzufahren: von Stramer’scher Seite waren mehrere Verwandte da, zwei Brüder von ihm, der eine Oberförster bei Kempten, ein sehr gemüthlicher Mann, der andere ein dicker Privatier, früher Brauherr in Nürnberg; eine junge Frau Bauer, der Mann ist Ingenieur in Treuchtlingen; eine Frau Cousine, hochgewachsen im grünen Kleid aus Pirmasenz; vermißt wurden auf dieser Seite besonders schmerzlich die beiden nächsten Freundinnen von Auguste, die junge Frau Rosa Grundherr, die vor kurzem an böser Brust operirt worden, und die andere junge Frau – ich glaube Scheibert – die ein Wochenbett erwartet. Weiter sind zu nennen die Brautjungfern, Fräulein Koch genannt Liebe, Fräulein Meier, genannt Freundschaft – warum? wirst Du gleich hören; Minna die Dichterin und in diesem Zusammenhang  noch einmal zu nennen unser Mariechen mit einem frischen Rosen- und Epheukranz im Haar, geführt von Max Tucher; ein junger Forstmann, Stark, Jugendfreund unseres Bräutigams, Heinrich Tucher, Carl Grundherr waren die anderen Brautführer. Im ganzen saßen, wenn ich nicht irre, 35 beim Hochzeitsmahle; etwa 20 mehr waren ursprünglich oder nach einander geladen.

Nun muß ich auf den Anfang des Festes, der mit dem Polterabend auf Schoppershof gemacht wurde, zurückkommen und zuerst von unseren Töchtern reden. Die waren schon am Sonntag ganz früh, 5 Uhr 42, nach Glockenhof gefahren, um bei der um 11 Uhr anberaumten Probe anwesend zu sein: beide schneeweiß mit großer blauer Schleife hinten; der andere Staat war auf mein Andringen bereits am Tage vorher durch den Boten besorgt worden; beide Mädchen hatten in den Tagen vorher viel damit zu thun, besonders Sophiechen mit ihren Schneeglöckchen, ein großes auf dem Kopf, viele kleine auf dem Kleid, es sah sehr hübsch aus; auch Mariechen nahm sich recht gut aus als „Häuslichkeit“, mit schwarzem, goldbesetztem Mieder, blauem Gewand, eiserner Kette und einem Spinnrocken in der Hand. Sie hatten auch ihre Rollen aus dem Gedicht noch zu lernen, bei dem das Wollen mehr als das Gelingen zu loben war. Sie also hielten ihre Probe ab auf Schoppershof und hatten am folgenden Tag noch viel bei ihrem Staat nachzuholen. Ich fuhr erst am Montag Nachmittag hinüber und mit dem ganzen Glockenhof zum Abend nach Schoppershof. Diesen Schoppershof hättest Du sehen sollen! Was für ein nettes Nürnberger Schlößchen, ganz nach alter Art, wie aus dem Spielkasten, ringsum mit lang dahingestrecktem Garten eingefaßt mit einer rothen Mauer, das Schlößchen selbst viereckig, hoch mit Thürmchen, Erker zum Ausschauen und drüber ein Balcon mit vergoldeten Kugeln und Wappen; daran ein einstöckiger Anbau, früher allein als Wohnung eingerichtet, vor diesem ein besonders eingefaßter Hausgarten mit Obstbäumen und großen viereckigen Beeten, von geradlinigen Wegen durchschnitten. In diesem Garten wurden die ankommenden Gäste von dem Hausherrn Theodor empfangen: in dem langen Zimmer des Anbaus waren die Damen bei Frau Josephine versammelt. Man begab sich im Zuge nach dem Schloß, die Wendeltreppe hinauf in das neu getäfelte Hauptzimmer, welches viele Fenster und den Erker hat und eine weite Aussicht über die Umgebung und nach der Stadt Nürnberg gewährt. Man setzte sich an mehrere Tafeln, die mit kalten Schüsseln bedeckt waren, und nachdem die Begierde des Hungers mit Speise und Trank gestillt war, wurde man abgerufen nach den unteren Räumen, wo das Festspiel stattfand und eine kleine Bühne errichtet war. Klavierspiel hinter dem Vorhang machte die Ouvertüre; nach aufgezogenem Vorhang erschien „Häuslichkeit“ mit einem Spirituslämpchen in der einen, dem Spinnrocken in der andern Hand. Das brennende Lämpchen war gefährlich und hätte beinahe ein Unglück angerichtet; unser Mariechen aber ließ sich nicht aus der Fassung bringen und machte ihre Sache noch gut; Schneeglöckchen und Waldmeisterlein – Max von Grundherr – traten hinzu; Sophiechen war unbefangen und wußte ihre Rolle besser herzusagen, als die reizende Wasserfee, das goldbesonnte Mariechen Grundherr mit den blühend rothen Wangen auf weißem Grunde.

In der folgenden Scene erschienen Liebe roth, Freundschaft blau, neben einander sitzend, und weiter entwickelte sich das ganze bis zur Übergabe der Geschenke, wobei Mariechen ihr hübsch grün ausgeschmücktes Arbeitskörbchen, Sophiechen eine Tischglocke überreichten.

Man begab sich wieder hinauf in den getäfelten Saal, um mit Eis, Torte, Punsch bewirthet zu werden und erging sich zum Schluß in dem mit farbigen Transparentlaternen beleuchteten Garten, während schwarzes Gewölk am Himmel drohte und ein Gewitter anzukündigen schien. Indessen kam das Gewitter leider auch in der Nacht nicht zu Stande und es blieb trocken und staubig wie zuvor; zu Fuß ging ich mit Ferdinand, Stephanie nach Hause, die Mädchen fuhren mit Lina und Friedrich.

Doch mein Brief wird schrecklich lang, ich bin erst mit dem Polterabend fertig. Der Hochzeitstag bietet aber weniger Stoff zu eigentlicher Beschreibung, denn die Gefühle, welche die Herzen, zumal des Brautpaares bewegten, versuche ich nicht zu schildern. Das vorgeschriebene Programm des Tages wurde genau eingehalten; nach 10 ½ Uhr kamen die Wagen nach Glockenhof, ich fuhr mit Friedrich und Lina (hellgrünes schweres Kleid6 und Brillantschmuck), Ferdinand und Stephanie holten ihren Karl in der Stadt ab; Mariechen wurde von dem Brautführer Max Tucher mit weißem Rosenstrauß abgeholt. Die Sacristei von St. Sebald war etwas eng für die zahlreiche Versammlung. Ich bemerkte, daß unser Sophiechen mit Mariechen Grundherr und Susanna Tucher, die nicht zu den Hochzeitsgästen gehörten, die Trauung in der Kirche unter dem sehr zahlreich versammelten Publicum ansahen. Ich führte Tante Thekla im Zuge zum Altar, vor mir ging der Onkel mit Frau Stramer, vor diesen Vater Stramer mit unserer lieben Mutter, weiter Brautjungfern und Führer bis zum Brautpaar selbst: Auguste, versteht sich, im reich geschmückten weißen Hochzeitskleide und langen Schleier, Myrten im Haar und auf der Brust. Die Kirche nahm sich wundervoll aus, der Altar mit Blumen bedeckt, mit Gewächsen umgeben, die Gäste im Chor zu beiden Seiten, hier die Damen, dort die Herren, das Brautpaar vor dem Altar, hinter ihm zwei Küster; Pfarrer Bähr, auf der oberen Stufe, hielt die Traurede über den Text: Ich segne euch, spricht der Herr, und ihr sollt ein Segen sein.7 Die Rede war gut, nicht zu lang und befriedigte alle Welt, auch den Onkel Gottlieb. Hierauf Rührung und allgemeines Küssen in der Sacristei, Abfahrt nach dem rothen Roß, wo man ziemlich lang auf das Essen wartete, weil dieses erst um 1 ½ Uhr, um dem Pfarrer auch für eine längere Rede Zeit zu lassen, bestellt war. Die Hochzeitstafel war in dem selben Saal nach dem Hofe zu bereitet, wo wir einst8 bei Carolinens Hochzeit fröhlich beisammen saßen. Mein Platz war an der Ecke der Mitteltafel zwischen der lieben Mutter und Lina. Du kannst Dir denken, wie bewegt die gute Mutter war!

Sie selbst hatte kaum gehofft, der ganzen Hochzeitsfeier vom Anfang des Polterabends an beiwohnen zu können; doch war ihr der Abend ganz gut bekommen, sie hatte gut geschlafen und war daher ganz guten Muthes. Du erwartest von mir keine Beschreibung von Speisen und Getränken des Hochzeitsmahls; es genügt zu sagen, daß das Essen besser war als das in der Harmonie9 im vergangenen Jahr, nicht so der Wein, den ich damals geliefert10, wiewohl er auch gut war. Für die Toaste war der Ehrenpokal der Tucher’schen Familie, der neue von Kreling, den Du kennst, bereit. Vater Stramer machte den Anfang, sprach gut, nicht mehr als das Richtige und Erforderliche. Der junge Ehemann erwiederte mit längerer, gefühlvoller Rede, worin er seiner Auguste ewige Liebe und Treue gelobte, ihren Eltern für das Vertrauen dankte. Vater Stramer sprach wieder und nahm mir meinen Toast auf die liebe Mutter weg, der ich mehr liebes hätte sagen mögen, als es in einem mehr formellen Spruch geschehen konnte. Vor Onkel Gottlieb stand der Pokal; man erwartete eine lange ernste Rede, die dann auch nicht ausblieb, über das Wesen der Ehe, besonders über das kluge und rechte Verhalten der Frau, eingedenk des Worts: und er soll Dein Herr sein.11 Nun dachte ich, würde der Pokal an mich kommen; er wurde jedoch noch festgehalten auf dem Wege rund um den Tisch, von einem Gelbschnabel von Brautführer, Herrn Stark, auf den seine Nachbarin, Liebe in roth, starken Eindruck zu machen schien; dieser ließ vorschnell die Brautjungfern leben; mir wurde als erster Telegraphenarm12 der Deckel des Pokals zugeschickt; Christoph hatte den Pokal und gedachte mit wenigen ausdrucksvollen Worten des lieben Vaters Sigmund. Nun bekam ich endlich als zweiten Telegraphenarm den Pokal; ich wollte die Leute doch wieder etwas essen lassen – bautz – kam mir doch dieser und jener zuvor; da aber bis dahin der Ernst, wie mir schien, allzu viel oder ausschließlich vorgeherrscht hatte, so brachte ich in einem Trinkspruch auf unsere Frauen, die uns zu regieren verstehen, allerlei Humoristisches und persönlich Anspielendes vor, was allgemein erheiternd wirkte und besonders gut aufgenommen wurde. Um 5 Uhr brach das junge Paar vom Tische auf, erschien aber, wie mir Friedrich versprochen hatte, nachdem es sich umgekleidet, noch auf einen Augenblick im Saal und fuhr davon nach Regensburg. Während des Essens trübte sich der Himmel und es regnete ein bischen, am späteren Abend war es wieder klar, warm und ruhig. Man blieb noch länger beisammen; die jungen Leute tanzten nach dem Klavier, unser Sophiechen und Mariechen Grundherr, die sich um 5 Uhr einfanden, waren auch dabei; ich selbst ließ mich mit anderen Alten fortreißen zu einer Française, oder zu zweien. Später ging ich noch zur Mutter, um mich nach ihr umzusehen, und fand sie gar nicht ermüdet; Max Crailsheim war eben bei ihr gewesen und hatte bitterlich geweint; von Onkel Gottlieb und Tante Thekla nahm ich dort auch Abschied. Zuletzt saßen wir noch auf dem Glockenhof in der Veranda zusammen; erst heute morgen nach 7 Uhr bin ich herübergefahren; ich erwarte noch die beiden Mädchen, die so früh mit dem Einpacken noch nicht fertig werden konnten. (Schluß siehe blatt 1) –

Dies ist mal ein ungewöhnlich langer Brief, aber ich wollte Dich, liebe Susanna, doch etwas schadlos zu halten über so viel Gutes, das Du nicht mit uns genossen hast, und auch Anna wird es freuen, die näheren Umstände der Hochzeit zu erfahren, ebenso Carolina, deren Mann ihr hätte berichten können, wenn er gekommen wäre.

Herzliche Grüße an Anna und Felix. Möchten wir bald eine mit Spannung erwartete Nachricht empfangen.13

Treulich der Deinige Carl Hegel

P. S. Euer Telegramm ist zu rechter Zeit zu Mittag angekommen und wurde verlesen, aber ich fand nöthig, die richtige Interpunction hinzuzusetzen, weil es heißt: Susanna Sündenbock Anna, wo das Komma offenbar vor Sündenbock stehen muß; Sündenbock Anna will so viel heißen, daß sie sich ebenso unschuldig fühlt, wie der Bock der von den Juden zum Tempel hinausgejagt wurde. – Der Kupferstich von München ist rechtzeitig angekommen und in Nürnberg eingerahmt worden.