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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Johannisbad, 8./9. August 1876

Lieber Karl!

Deinen lieben Brief1, den ich noch in Berlin empfing, habe ich zunächst nur mit dankbarer Rükerstattung Deiner Auslagen für das Hochzeitsgeschenk an Vetter Friedrich beantwortet; ich hoffe, daß Dich die Postanweisung noch in Erlangen erreicht haben wird. Es freut mich, daß der Kupferstich des Rubenschen Bildes2 Eure Billigung erhalten hat, womit ich dadurch einem Wunsche des alten Onkels Gottlieb entgegen gekommen bin. Wir bedauerten, daß Susanne der schönen Feier der Hochzeit nicht beiwohnen konnte, und sind nun gespannt, von ihr aus München, so Gott will, frohe Botschaft zu erhalten.3 Die junge Frau scheint sich, wie es zuweilen geschieht, in der Zeit verrechnet zu haben.

Wir sind von Berlin, da es sehr heiß geworden war, schon am Montag den 31sten vorigen Monats abgereist. Wir fuhren um 11 Uhr ab und ich bestand die Nachtfahrt leidlicher als sonst; zur Belohnung hatten wir einen herrlichen Morgen und wurden von Rudolf mit Conrädchen schon in Dittersbach, der letzten Station vor Waldenburg mit der eigenen Equipage abgeholt. Wir haben dann bei den Kindern mehrere Tage recht gemüthlich verlebt, und da auch Willi jetzt in Waldenburg verweilt, so war hier meine ganze liebe Familie versammelt. Meine Kinder bewohnen eine recht schöne und geräumige Wohnung, in der wir auch ohne Beschwerden beherbergt werden konnten. Marie war, Gott sei Dank, recht wohl und frisch, und hat sich in ihrem Ehe- und Hausstand ebenso erfreulich, als liebenswürdig entwickelt. In jeder Beziehung empfingen wir den Eindruck eines glüklichen, wenig ausgestatteten und befriedigenden Daseins und ich kann nur den Herrn bitten, daß Er den Kindern diesen Segen gnädig bewahren möge. Rudolf ist als Landrath in einem besonders durch eine großartige Industrie4 sehr interessanten Kreise mit seiner jugendlich rüstigen Kraft und entschlossenem Selbstvertrauen völlig an seinem Platze und in dieser selbstständigen Thätigkeit ganz befriedigt. Da er sich eigene Equipagen halten muß und darin durch die freigebige Unterstützung des Wetters reichlich ausgestattet ist, so hat dadurch auch die Familie eine sehr angenehme Gelegenheit zu vergnüglichen Fahrten in der schönen Gebirgsgegend. Wir machten an den Nachmittagen bei herrlichem Wetter Ausflüge nach Ober-Salzbrunnen und Gerbersdorf, zwei bekannten Bade- und Kurorten des Kreises.

Am Freitag5 Nachmittag fuhren wir nach Johannisbad und kehrten hier wieder in der freundlichen Silberquelle6 ein. Von den alten Kurgästen der vergangenen Jahre sind nur noch wenige hier; doch fehlt es nicht an guten Freunden; besonders ist hier der Stand der Pastoren, wie immer, ausreichend vertreten; darunter der geistvolle Altlutheraner Beßer, welchem nun auch das Oberhaupt, der alte Huschke aus Breslau nachgefolgt ist.

Gestern Abend erhielten wir durch eine Korrespondenzkarte von Susanna die freudige Nachricht von der glücklichen Geburt eines hoffnungsvollen kleinen Kleins, und wir sprechen nur zu diesem frohen Ereigniß unsern herzlichen Glückwunsch aus. Gott segne und behüte gnädig die liebe Mutter und ihr Kind! Es kehrt in ein Haus mit dem Kinde eine große Veränderung, viel Mühe und Arbeit, aber auch ein unendlich reicher Gottessegen ein. Mögen die Eltern und Großeltern sich dessen ungetrübt erfreuen können.

Wir haben hier bis jetzt ununterbrochen schönes Wetter gehabt, und genießen mit neuem Entzücken die schöne Natur, die uns hier in Berg und Thal, Wald und Wiese umgiebt, und in der besonders die reine leichte Gebirgsluft belebt und erquikt. Die alten verwöhnten und steifen Glieder werden aber erst wieder allmählich in Uebung kommen müssen, bevor sie zu anstrengenderen Märschen auf die hohen Berge gebraucht werden können.

Durch Beßer, welcher in Leipzig kürzlich gewesen ist, haben wir recht betrübende Nachricht von Mangelsdorf erhalten; nach dem Schlaganfall ist eine fortschreitende Abnahme der geistigen und körperlichen Kräfte eingetreten, und man erwartet sein baldiges Ende, zu dem er auch selbst völlig vorbereitet ist. Er und die arme Anna haben sich darüber auch gegenüber Beßer mit herzlicher Ergebung ausgesprochen.

In Berlin erlebte ich noch den Tod meines lieben trefflichen Kollegen Ober-Konsistorialraths Bachmann; es ist dies, vornehmlich unter den jetzigen Verhältnissen für das Konsistorium und für mich ein unersetzlicher Verlust. Er hatte sich im hohen Alter von 77 Jahren bis zu seiner letzten Krankheit die volle Frische und Kraft des Geistes und Gemüths bewahrt, und war in der Entschiedenheit des Bekenntnisses, in der pastoralen Erfahrung und namentlich im Fache der Liturgie und Hymnologie eine zuverlässige Stütze im Collegium. Das letztere wird sich nun auch durch die Uebertragung der Kirchenvermögensverwaltung von den Regierungen auf die Konsistorien, wesentlich verändern und ich war unmittelbar vor meiner Abreise mit einem ausführlichen Bericht über diese Organisationsveränderung und die dadurch nothwendige Vermehrung der Arbeitskräfte und Fonds des Konsistoriums noch sehr beschäftigt; es war mir sehr lieb, diese Arbeit noch vor Beginn meines Urlaubs erledigen zu können.

Clara, welche so eben auch eine Postkarte nach München mit unseren Glükwünschen expedirt hat, sendet Dir und Deinen Kindern im Hause die herzlichsten Grüße, welchen auch Clärchen die ihrigen hinzufügt.

In herzlicher Liebe
Dein Bruder
Immanuel