Johannisbad bei Trautenau
in Böhmen den 8ten August 1876
Lieber Karl!
Deinen lieben Brief, den ich noch in Berlin empfing, habe ich zunächst nur mit dankbarer Rükerstattung Deiner Auslagen für das Hochzeitsgeschenk an Vetter Friedrich beantwortet; ich hoffe, daß Dich die Postanweisung noch in Erlangen erreicht haben wird. Es freut mich, daß der Kupferstich des Rubenschen Bildes Eure Billigung erhalten hat, womit ich dadurch einem Wunsche des alten Onkels Gottlieb entgegen gekommen bin. Wir bedauerten, daß Susanne der schönen Feier der Hochzeit nicht beiwohnen konnte, und sind nun gespannt, von ihr aus München, so Gott will, frohe Botschaft zu erhalten. Die junge Frau scheint sich, wie es zuweilen geschieht, in der Zeit verrechnet zu haben.
Wir sind von Berlin, da es sehr heiß geworden war, schon am Montag den 31sten vorigen Monats abgereist. Wir fuhren um 11 Uhr ab und ich bestand die Nachtfahrt leidlicher als sonst; zur Belohnung hatten wir einen herrlichen Morgen und wurden von Rudolf mit Conrädchen schon in Dittersbach, der letzten Station vor Waldenburg mit der eigenen Equipage abgeholt. Wir haben dann bei den Kindern mehrere Tage recht gemüthlich verlebt, und da auch Willi jetzt in Waldenburg verweilt, so war hier meine ganze liebe Familie versammelt. Meine Kinder bewohnen eine recht schöne und geräumige Wohnung, in der | wir auch ohne Beschwerden beherbergt werden konnten. Marie war, Gott sei Dank, recht wohl und frisch, und hat sich in ihrem Ehe- und Hausstand ebenso erfreulich, als liebenswürdig entwickelt. In jeder Beziehung empfingen wir den Eindruck eines glüklichen, wenig ausgestatteten und befriedigenden Daseins und ich kann nur den Herrn bitten, daß Er den Kindern diesen Segen gnädig bewahren möge. Rudolf ist als Landrath in einem besonders durch eine großartige Industrie sehr interessanten Kreise mit seiner jugendlich rüstigen Kraft und entschlossenem Selbstvertrauen völlig an seinem Platze und in dieser selbstständigen Thätigkeit ganz befriedigt. Da er sich eigene Equipagen halten muß und darin durch die freigebige Unterstützung des Wetters reichlich ausgestattet ist, so hat dadurch auch die Familie eine sehr angenehme Gelegenheit zu vergnüglichen Fahrten in der schönen Gebirgsgegend. Wir machten an den Nachmittagen bei herrlichem Wetter Ausflüge nach Ober-Salzbrunnen und Gerbersdorf, zwei bekannten Bade- und Kurorten des Kreises.
Am Freitag Nachmittag fuhren wir nach Johannisbad und kehrten hier wieder in der freundlichen Silberquelle ein. Von den alten Kurgästen der vergangenen Jahre sind nur noch wenige hier; doch fehlt es nicht an guten Freunden; besonders ist hier der Stand der Pastoren, wie immer, ausreichend vertreten; darunter der geistvolle Altlutheraner Beßer, welchem nun auch das Oberhaupt, der alte Huschke aus Breslau nachgefolgt ist.
Johannisbad den 9ten August 1876
Gestern Abend erhielten wir durch eine Korrespondenzkarte von Susanna die freudige Nachricht von der glücklichen Geburt eines hoffnungsvollen kleinen Kleins, und wir sprechen nur zu diesem frohen Ereigniß unsern herzlichen Glückwunsch aus. Gott segne und behüte gnädig die liebe Mutter und ihr Kind! Es kehrt in ein Haus mit dem Kinde eine große Veränderung, viel Mühe und Arbeit, aber auch ein unendlich reicher Gottessegen ein. Mögen die Eltern und Großeltern sich dessen ungetrübt erfreuen können.
Wir haben hier bis jetzt ununterbrochen schönes Wetter gehabt, und genießen mit neuem Entzücken die schöne Natur, die uns hier in Berg und Thal, Wald und Wiese umgiebt, und in der besonders die reine leichte Gebirgsluft belebt und erquikt. Die alten verwöhnten und steifen Glieder werden aber erst wieder allmählich in Uebung kommen müssen, bevor sie zu anstrengenderen Märschen auf die hohen Berge gebraucht werden können.
Durch Beßer, welcher in Leipzig kürzlich gewesen ist, haben wir recht betrübende Nachricht von Mangelsdorf erhalten; nach dem Schlaganfall ist eine fortschreitende Abnahme der geistigen und körperlichen Kräfte eingetreten, und man erwartet sein baldiges Ende, zu dem er auch selbst völlig vorbereitet ist. Er und die arme Anna haben sich darüber auch gegenüber Beßer | mit herzlicher Ergebung ausgesprochen.
In Berlin erlebte ich noch den Tod meines lieben trefflichen Kollegen Ober-Konsistorialraths Bachmann; es ist dies, vornehmlich unter den jetzigen Verhältnissen für das Konsistorium und für mich ein unersetzlicher Verlust. Er hatte sich im hohen Alter von 77 Jahren bis zu seiner letzten Krankheit die volle Frische und Kraft des Geistes und Gemüths bewahrt, und war in der Entschiedenheit des Bekenntnisses, in der pastoralen Erfahrung und namentlich im Fache der Liturgie und Hymnologie eine zuverlässige Stütze im Collegium. Das letztere wird sich nun auch durch die Uebertragung der Kirchenvermögensverwaltung von den Regierungen auf die Konsistorien, wesentlich verändern und ich war unmittelbar vor meiner Abreise mit einem ausführlichen Bericht über diese Organisationsveränderung und die dadurch nothwendige Vermehrung der Arbeitskräfte und Fonds des Konsistoriums noch sehr beschäftigt; es war mir sehr lieb, diese Arbeit noch vor Beginn meines Urlaubs erledigen zu können.
Clara, welche so eben auch eine Postkarte nach München mit unseren Glükwünschen expedirt hat, sendet Dir und Deinen Kindern im Hause die herzlichsten Grüße, welchen auch Clärchen die ihrigen hinzufügt.
In herzlicher Liebe
Dein Bruder
Immanuel
Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel)Immanuel HegelJurist/Konsistorialpräsident der Provinz Brandenburg11657072518141891 Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel) (1814–1891), Bruder Karl Hegels, studierte von 1832 bis 1834 und von 1835 bis 1836 Jura an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, von 1834 bis 1835 an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München, trat 1836 in den preußischen Staatsdienst ein und war als Verwaltungsjurist in verschiedenen Verwendungen des Königreichs Preußen, vor allem im Staatsministerium, tätig, wurde 1865 Präsident des Konsistoriums der Provinz Brandenburg, heiratete 1845 Friederike Flottwell (1822–1861) und 1865 Clara Flottwell (1825–1912), beide Töchter des oftmaligen preußischen Oberpräsidenten und Staatsmanns Eduard Heinrich Flottwell (1786–1865), war u. a. Vater des preußischen Verwaltungsbeamten und Politikers Wilhelm (Willi) Hegel (1849–1925), war 1856 Taufpate seines Neffen Georg Hegel (1856–1933).
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Johannisbad50.6305685,15.7806938Etwa 150 Kilometer südwestlich von Breslau auf circa 520 Meter Höhe im böhmischen Riesengebirge gelegen.
Privatbesitz
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Privatbesitz
1000
Neuhaus
, Helmut (Hg.): Karl Hegels Gedenkbuch. Lebenschronik eines Gelehrten des 19. Jahrhunderts, Köln, Weimar, Wien 2013.
Neuhaus
, Karl Hegels Gedenkbuch
2013
Tucher, Friedrich Wilhelm Sigmund Friedrich Wilhelm Sigmund Tucher116153730918461924Tucher, Friedrich Wilhelm Sigmund (1846–1924), Sohn Johann Sigmund Karl Tuchers (1794–1871) und Maria Magdalena Tuchers, geb. Grundherr (1802–1876), jüngster Bruder Susanna Maria Hegels (1826–1878), Taufpate Gottlieb Friedrich Hegels (1867–1874), 1867 Forsteleve in Aschaffenburg, Ehemann Auguste Marianna Tuchers, geb. Stramer (1857–1887), nach deren Tod ab 1888 Maria Margarethe Charlotte Tuchers, geb. Anns (1852–1917).
Rubens, Peter Paul11860354X15771640Rubens, Peter Paul (1577–1640), in Siegen in der damaligen Grafschaft Nassau-Dillenburg geborener Maler des Barock, dessen Familie aus dem niederländischen Antwerpen stammte.
Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher
Susanna Maria Hegel, geb. Tucher116146891918261878Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher (1826–1878), häufig „Susette“ genannt, Tochter Johann Sigmund Karl Tuchers (1794–1871) und Maria Magdalena Tuchers, geb. Grundherr (1802–1876), Ehefrau Karl Hegels (1813–1901); siehe auch: Tucher, Susanna Maria.
Bitter, Rudolf11619799418461914Bitter, Rudolf, der Jüngere (1846–1914), in Merseburg geborener preußischer Verwaltungsjurist und Politiker, Sohn (Hans) Rudolf Bitters, des Älteren (1811–1880), und Anna Bitters, geb. Nauen, 1819–1885) sowie Ehemann Marie Bitters, geb. Hegel (1848–1925). Nach seinem Studium der Rechts- und Staatswissenschaften an den Universitäten Berlin, Bonn und Lausanne ging er im Jahre 1873 in den preußischen Verwaltungsdienst in Posen, wurde 1875 Landrat im schlesischen Kreis Waldenburg, wechselte von 1882 bis 1888 und in den Jahren 1898/99 (als Ministerialdirektor) ins preußische Innenministerium, wurde 1888 Regierungspräsident in Oppeln, 1899 Oberpräsident der Provinz Posen. Von 1879 bis 1888 war er als Mitglied der Freikonservativen Fraktion Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses.
Hegel, Wilhelm (Willi)Wilhelm Hegel13593263718491925Hegel, Wilhelm (Willi) (1849–1925), in Berlin geborener Sohn Immanuel (1814–1891) und Friederike Hegels (1822–1861), Ehemann Armgard Hegels, geb. Wulffen (1862–1928), und Neffe Karl Hegels. Er war hoher preußischer Verwaltungsbeamter, u. a. von 1886 bis 1890 Landrat des Kreises Jerichow I, von 1895 bis 1905 Regierungspräsident von Gumbinnen, von 1905 bis 1908 in Allenstein, von 1908 bis 1917 Oberpräsident der Provinz Sachsen. Es war von 1887 bis 1890 Mitglied des Deutschen Reichstages und wurde im Jahre 1909 in den erblichen preußischen Adelsstand erhoben.
Besser, Wilhelm Friedrich11615484518161884Besser, Wilhelm Friedrich (1816–1884), aus der Nähe Quedlinburgs stammender lutherischer Theologe, der nach seinem Studium an den Universitäten Halle und Berlin zunächst Hauslehrer und Prädikant war, bevor er Pfarrer u. a. in Pommern und Leipzig wurde. Im Jahre 1864 wurde er Mitglied des evangelisch-lutherischen Oberkirchenkollegiums in Breslau.
Huschke, Georg Philipp Eduard11870830918011886 Huschke, Georg Philipp Eduard (1801–1886), in Hannoversch Münden geborener Jurist, der ab 1817 an den Universitäten Göttingen und Berlin studierte, von 1822 bis 1824 Privatdozent in Göttingen und von 1824 bis 1827 ordentlicher Professor an der Universität Rostock war. Von 1827 bis zu seinem Tode war er Ordinarius an der Universität Breslau, dazu ab 1841 Direktor des Breslauer Oberkirchendirektoriums der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Preußen.
Mangelsdorf, Edmund-18191879Mangelsdorf, Edmund (1819–1879), Ehemann von Anna Sophia Maria Mangelsdorf, geb. Tucher (1842–1935), Kaufmann in Leipzig, der in einer Leipziger Verlags- und Sortimentsbuchhandlung gelernt hat. Seine erste Ehefrau stammte aus einer alten Leipziger Buchhändlerfamilie.
Bachmann, Johann Friedrich11776655017991876Bachmann, Johann Friedrich (1799–1876), im neumärkischen Drossen bei Frankfurt an der Oder geborener evangelischer Theologe, der nach seinem Studium an den Universitäten Halle und Berlin von 1825 bis 1829 Pfarrer in Lissabon war, dann an der Luisenstädter Kirche und an St. Jakobi in Berlin. Von 1852 bis 1876 war er Konsistorialrat, dann Oberkonsistorialrat in der preußischen Hauptstadt.
Hegel, Clara (Klara), geb. Flottwell
Clara Hegel, geb. Flottwell116570776?18251912Hegel, Clara (Klara), geb. Flottwell (1825–1912), Tochter Eduard Heinrich Flottwells (1786–1865) und Auguste Flottwells, geb. Lüdecke (1794–1862), jüngere Schwester Friederike Hegels, geb. Flottwell (1822–1861), der ersten Ehefrau Immanuel Hegels (1814–1891) und dessen zweite Ehefrau ab 8. September 1865.
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
Erlangen49.5928616,11.0056Mittelfränkische Universitätsstadt, etwa 20 Kilometer nördlich von Nürnberg gelegen, seit 1810 Stadt und Universität des Königreichs Bayern.
München48.1371079,11.5753822Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Bayern an der Isar in Oberbayern.
Dittersbach50.6149738,16.2666573Etwa drei Kilometer südöstlich von Waldenburg in Schlesien gelegener Ort des Steinkohlebergbaus und wichtiger Eisenbahnknotenpunkt.
Waldenburg50.7659054,16.2825424Etwa 75 Kilometer südwestlich von Breslau am Rande des Riesengebirges gelegene, sich rasche entwickelnde Handels- und Industriestadt im Landkreis Waldenburg.
Salzbrunn (Niedersalzbrunn)50.819505,16.2933986Etwa vier Kilometer nördlich von Waldenburg in der Nähe des mit seiner Geschichte ins 13. Jahrhundert zurückreichende Schlosses Fürstenstein gelegener Ort mit bedeutender Hausweberei.
Görbersdorf50.6852363,16.2333222Etwa 15 Kilometer südlich von Waldenburg am Rande des Riesengebirges gelegener heilklimatischer Kur- und Badeort.
Breslau51.1089776,17.0326689Etwa 380 Kilometer südöstlich von Berlin gelegene Hauptstadt der preußischen Provinz Schlesien am Oberlauf der Oder, die als Herzogtum Schlesien im Jahre 1742 vom Erzherzogtum Österreich an das Königreich Preußen überging.
Leipzig51.3406321,12.3747329Am Zusammenfluß von Weißer Elster, Pleiße und Parthe gelegene Universitäts- und Messestadt in Sachsen.
EquipagePferdegespann mit Kutsche und Kutscher.
LandratIm Königreich Preußen Leiter der untersten staatlichen Verwaltungsbehörde, des Landratsamtes.
Landkreis (Preußen)Untere staatliche Verwaltungsebene in den Provinzen des Königreichs Preußen mit einem Landrat an der Spitze.
AltlutheranerBezeichnung für die Lutheraner, die die Union ihrer Landeskirchen mit reformierten Kirchen zu einer Evangelischen Kirche nicht akzeptierten, wie sie zum Beispiel König Friedrich Wilhelm III. von Preußen (1770-1840) im Jahre 1817 für sein Königreich verordnet hatte.
Consistorial-RathKonsistorialrat, Mitglied eines Konsistoriums, einer konsistorialverfassten Landeskirche, Mitglied einer kirchlichen Verwaltungsbehörde, Mitglied im Range eines Rates eines Konsistoriums.
KonsistoriumOberste kollegiale Verwaltungsbehörde einer evangelischen Landeskirche, durch die der Landesherr sein ihm zustehendes Kirchenregiment ausübte.