Am vergangenen Dienstag den 5ten dieses Monats Morgens haben wir dem schönen Johannisbad Lebewohl gesagt. Ich fuhr mit Clärchen in einer Tour nach Hause zurük, während meine Frau noch einen Abstecher nach Waldenburg zu einem Besuche bei Marie machte, welche sie im Beginn neuer mütterlicher Hoffnungen noch zu begrüßen wünschte. Marie befindet sich im Ganzen wohl, doch muß sie sich nach dem wiederholten Fehlschlagen früherer Hoffnungen sehr ruhig halten. Clara ist dann am Donnerstag auch hierher zurükgekehrt, so daß, wenn Willi am Anfang Oktober zurükkommen wird, mein Hausstand wieder vollzählig sein und sich in gewohnter Weise bewegen wird.
In Johannisbad haben wir sehr gemüthliche Tage verlebt; in den ersten drei Wochen war auch ein unveränderlich schönes Wetter, bei dem wir auch im hohen Gebirge von der Hitze nicht zu leiden hatten; in den letzten 14 Tagen war zwar viel und oft strömender Regen; doch war es immer im Walde erquicklich und es fehlte in sehr angenehmer Gesellschaft nicht an guter Gesellschaft. In unserer Silberquelle1 hatte sich ein Kreis liebenswürdiger Menschen zusammengefunden, darunter ein Geheim-Rath von Zahn aus Dresden mit Familie, ein etwas zu höflicher Sachse, aber ein recht gebildeter, gediegener Mann. Der Stand der Pastoren, zwar nicht Jedermann sympathisch, aber mir doch von Amtswegen und aus Neigung zugehörig, war auch reichlich vertreten, darunter vornehmlich der altlutherische Pastor Dr. Besser aus Waldenburg, in der lutherischen Kirche hochgeachtet und durch seine Bibelstunden2 sehr bekannt, auch gesellig voller Geist und Leben. Er ist auch für meine Kinder in Waldenburg der interessanteste Umgang. Außer ihm war auch die altlutherische Kirche sonst ansehnlich vertreten, und besonders durch das ehrwürdige Oberhaupt, Geheim Rath Dr. Huschke aus Breslau, mit dem ich auch viel verkehrte. – Das Bad war mir wieder sehr erquiklich und hoffentlich nachwirkend für den Winter von gutem Erfolg. Auch für Clärchen hat das Bad immer einen wohlthätig stärkenden Einfluß. Clara kann es nicht vertragen und hat es sich neben der schönen Luft mit Molke genügen lassen. Zu großen anstrengenden Unternehmungen, in denen wir uns sonst gefielen und tapfer bewiesen, waren wir wenig aufgelegt; dazu wollen die Kräfte nicht mehr ausreichen; wir haben daher dem Alter entsprechend einen behaglichen Müßiggang vorgezogen. Derselbe scheint uns verbunden mit der Bequemlichkeit des Lebens etwas verwöhnt zu haben, und es bedarf einiger Zeit um die Unruhe und Anstrengung des hiesigen Lebens überwinden zu können. Erfrischend und ermuthigend sind auch die Zustände, in die ich zurükgekehrt bin, nach keiner Richtung; überall ist die Ueberzeugung ihrer Unhaltbarkeit und das Gefühl einer zunehmenden Krisis. Ob diese nun Luft, Licht und nüchternen Verstand bringen wird, ist freilich die Frage.
Von meinem Schwager Theodor erhielt ich hier die Nachricht, daß seine Pensionirung nun zum 1sten Dezember currentis3 bestimmt und ihm aus besonderer Rücksicht für seine Hülfsbedürftigkeit eine erhöhte Pension von 5000 Mark bewilligt. Mit dieser wird er auskommen und auch vermuthlich in Potsdam bleiben können. Für ihn bleibt aber die große Schwierigkeit einer genügenden Beschäftigung, welche ihm besonders bei seinem ungewöhnlich regen und unruhigen Geist Lebensbedürfniß ist, und ohne welche er sich einem moralischen Tod verurtheilt findet. Es wird deshalb nun sehr überlegt werden, wie ihm eine anderweite Beschäftigung verschafft werden kann.
Von Gottlieb aus Simmelsdorf habe ich in Johannisbad einen Brief erhalten, nach welchem unser Vetters August Hochzeit am 25sten dieses Monats in Pommern gefeiert werden soll und er die Absicht hat, mit der Tante daran persönlich Theil zu nehmen. Da sein Weg dahin ihn nothwendig über Berlin führen muß, so habe ich Onkel und Tante dringend eingeladen, in meinem Hause Rast zu machen. Ich hoffe, daß er die Einladung annehmen werde, habe aber bis heute noch keine Antwort. Der Entschluß zu der weiten Reise wird wohl sehr von ihrem beiderseitigen Befinden anhängen; ich bin aber überzeugt, daß sie, wenn irgend möglich, sich aufmachen werden.
Ich nehme an, daß Du jetzt wieder nach Erlangen zurükgekehrt sein wirst. In München war inzwischen viel Noth und Sorge bei der lieben Anna, wie dergleichen meistens zusammenzukommen pflegt und wir auch in jüngeren Jahren reichlich erfahren haben. Nach der letzten freundlichen Nachricht von Susanna, die wir noch in Johannisbad erhalten haben, waren die vielfachen Drangsale mit Gottes Hülfe überwunden und wird hoffentlich die Taufe Deines Enkels Otto ungetrübt gefeiert worden sein.
Deinen Entschluß, Georg für den Offiziersstand vorzubereiten, halte ich auch unter den gegebenen Umständen und bei seiner eigenen Neigung für den einzigen verständigen Ausweg. Die Art der Beschäftigung und die feste Ordnung dieses Berufs ist jedenfalls für ihn am geeignetsten, und bei seinem eigenen Wunsch ist auch zu hoffen, daß er sich so weit anstrengen werde, und die nöthige Qualifikation erwerben werde. Doch wirst Du Dich durch Rücksprache beim Regiments-Kommandeur vergewissern müssen, daß er auch als Avantageur4 angenommen werden wird. Bei uns hat auch hernach jedes Offizierskorps selbstständig darüber zu beschließen, ob es einen solchen, nachdem er das Fähnrichs- und das Offiziersexamen bestanden hat, in das Regiment als Offizier aufnehmen will, und ein solcher Beschluß wird, wenn er verneinend ausfällt, nur in seltenen Ausnahmefällen vom König nicht berücksichtigt.
Die herzlichsten Grüße von Clara und Clärchen, auch für die liebe Susanna, die nun wohl auch in ihr Haus zurükgekehrt sein wird.
In herzlicher Liebe