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Karl Hegel an Immanuel Hegel, Erlangen, 22. September 1876

Lieber Manuel!

Zum herannahenden 24. September, an dem Du vor 62 Jahren das Licht der Welt erblicktest, bringen wir Dir und Deinem Hause aufs neue unsere innigsten Glückwünsche entgegen. Ich erinnere mich dabei der Jahre unserer Jugend, da wir diesen Tag mit einer frohen Familienfeier verherrlichten. Jetzt sind wir beide an dem Abend unseres Lebenslaufs angelangt, haben mit vielen Genüssen die das menschliche Leben bietet abgeschlossen und sehen dem Ende, das nur zu Gott zurückführt, entgegen. Eine sehr eindringliche Mahnung hieran war mir der unerwartete ganz plötzliche Tod meines vortrefflichen Collegen von Raumer, der, um 2 Jahre jünger als ich, sich wohl ein längeres Leben versprechen konnte. Er besaß eine zähe Constitution und war selten durch Unwohlsein angefochten. Am Abend vor seinem Todestage, 30. August, war er noch wohl auf und gedachte seine Ferienreise anzutreten. Morgens um 4 Uhr fühlte er sich beunruhigt, stand auf und nahm ein Brausepulver; wenige Minuten daruf war er verschieden! Ich las die Nachricht im Schwäbischen Merkur beim Frühstück in Rorschach; selten hat ein Todesfall einen so tiefen Eindruck auf mich gemacht, keiner mir den Gedanken an das Ende so nahe gebracht. Er hatte am Vorabend seines Todes den 90. Psalm in seiner Familie vorgelesen, und der Prediger, der die Grabrede hielt, wählte daraus zum Text den Vers: Lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen, auf das wir klug werden!1 – Heute ist mir die Familie auf dem Wege, auf dem ich ihn so oft mit ihr wandeln sah, in Schwarz begegnet! –

Doch das ist keine frohe Stimmung, die ich Dir zu Deinem Geburtsfeste entgegenbringen sollte! Möge es Dir noch lange vergönnt sein, Dich des Lebens mit den lieben Deinigen zu erfreuen! Erfrischt und gestärkt bist Du nach Hause zur Arbeit zurückgekehrt; ich hoffe, daß Dir ein guter Winter beschieden sein wird.

In meinem Hause steht es so. Susanna ist nicht frisch, fühlt sich nervös angegriffen und hustet viel; sie gebraucht Salzbäder. Das Wochenbett in München mit seinen mancherlei Nöthen war gewiß keine Erholung für sie. Leider denkt sie zu wenig an sich. Den Kindern geht es gut. Georg ist vom Manöver in 4 wöchentlichen Übungen zurück und hat angefangen sehr theure Mathematikstunden zu nehmen. Ich muß ihm außerdem noch eine große Zahl von Privatstunden ertheilen lassen, und es bedarf von seiner Seite großen und unausgesetzten Fleißes, um in 10 Monaten zum Examen, das ihm den Eingang in die Kriegsschule verschaffen soll, befähigt zu sein. Gute Vorsätze wenigstens hat er, und er weiß, was für ihn auf dem Spiele steht. Die spätere Aufnahme von Seiten des Offizierscorps ist auch bei uns erforderlich; jetzt steht selbst noch die Genehmigung zum Dienst auf Beförderung von Seiten des Commandos aus, ist aber ohne Zweifel vor dem 1. October zu erwarten.

Meine Tochter Luise Lommel hat, wie die Deinige, gleichfalls wieder schöne Mutterhoffnungen, die sich wenigstens für uns rascher, als erwünscht, wiederholen. Von Anna und ihrem Kinde, das mehr in die Länge als in die Breite wächst, sind gute Nachrichten eingegangen.

Mir selbst fehlt, wie öfter, der sichere Schlaf und ich muß mich deshalb sehr mit der Arbeit zurückhalten, was mich ungeduldig macht. Vielleicht bessert sich’s in München! Schon am 1. October muß ich zu den Prüfungen2 hin und werde wohl den größten Theil des Monats damit zu thun haben und so gut wie restieren. Die schwerste Last meines Amts! Einen zweiten Band Cöln3 bringe ich fertig zu den Sitzungen der historischen Commission mit.4

Meine Frau grüßt Dich und Clara und wird an letztere schreiben.

Von Onkel Gottlieb habe ich nichts weiter gehört als daß es seine Absicht ist mit seiner Frau zur Hochzeit nach Pommern zu kommen.

Meine Preußische Prämien Obligation5 zu 100 Thalern ist mit Serie 381 am 15. September ausgeloost worden: die Auszahlung erfolgt erst am 1. April 1877; bis dahin komme ich wohl nach Berlin und kann das Geschäft selbst besorgen. Unter wiederholtem Glückwunsch

Dein Bruder Karl.