Nachdem ich von München, wo mich die Prüfungen der Lehramtscandidaten bis zu Ende vorigen Monats aufhielten, zurückgekehrt bin und hier in Erlangen das Decanat der philosophischen Facultät übernommen habe, liegt mir zunächst als die wichtigste Angelegenheit ob, die Vorschläge für die Wiederbesetzung der ordentlichen Professur für deutsche Sprache und Literatur vorzubereiten. Indem ich mich auf unsere Besprechungen in München beziehe, wo Sie so freundlich waren, mir einzelne jüngere Vertreter Ihrer Fachwissenschaft und namentlich Ihrer Collegen, ProfessorSteinmeyer, für unsere Universität zu empfehlen, bitte ich Sie nun um gefällige nähere Mittheilung über letzteren in Bezug auf seine literarischen Leistungen, | seine Docententhätigkeit und Vorlesungen, seine bisherige Laufbahn und sein Alter, damit ich von Ihrem gewichtigen Urtheil sowohl, wie von Ihren Angaben Gebrauch machen kann. Doch vielleicht ist es schon unnütz sich nach Ihrem geschätzten Collegen zu erkundigen; denn ich hörte, daß er bereits mit Sievers2 in Bonn vorgeschlagen sei und vielleicht ist er auch schon berufen. Da Sie dies aber am besten wissen, so mache ich Ihnen jedenfalls keine vergebliche Mühe, denn Sie werden Sie sich sparen, wenn es sich so verhält. In diesem Fall aber, oder auch in dem andern, wenn in Bonn noch nichts entschieden ist, werden Sie mich immerhin verpflichten und unserer Facultät einen Liebesdienst thun, wenn Sie mir die gleiche Auskunft über Sievers, wie über Steinmeyer, so weit es Ihnen möglich ist, geben wollten. Müssen wir zwar hinter Bonn zurücktreten, so werden wir doch einen von beiden haben können. Zwei oder drei sind von Facultät und Senat vorzuschlagen. | Es ist bei uns Regel, daß der Senat die Vorschläge der Facultät annimmt und daß das Ministerium den an erster Stelle vorgeschlagenen durch Prorector und Senat berufen läßt. Sie nannten mir noch Schöntag3 in Gratz; auch von Paul in Freiburg war die Rede; letzterer soll jedoch durch Augenleiden gehindert sein; auch Braune in Leipzig ist von anderer Seite empfohlen worden, der aber ist erst Docent und vielleicht noch nicht zum ordentlichen Professor qualificirt. Die Facultät wird keinen außerordentlichen Professor vorschlagen, wobei jüngere Docenten in Betracht kommen könnten. Als solcher hat in diesem Semester Dr. Wagner, Ihr Schüler, einen guten Anfang gemacht; Professor Hoffmann in München hat, nicht veranlaßt durch mich, mit Anerkennung seine Dissertation in einer Prüfung erwähnt; ich wüßte nicht, warum man ihm einen anderen jungen Docenten als außerordentlichen Professor voranstellen und zur Seite setzen sollte! Daran ist, wie ich Ihnen schon in München sagte, gar nicht zu denken. Für jede weitere zur Sache dienende Mittheilung, sei es über die genannten | oder noch andere, die nach Ihrer Meinung in Betracht kommen können, bin ich Ihnen zum voraus von Herzen dankbar.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Ihr ergebener Carl Hegel.
1Der Brief enthält auf dem linken und oberen Rand der zweiten Briefseite wohl von Seiten des Adressaten Lebensdaten-Notizen über die von Karl Hegel angefragten Personen. 2Es handelt sich hier wohl um den Germanisten (Georg) Eduard Sievers (1850-1932). 3Wohl: Schönbach, vgl. dazu hier auch Brief 18761225_01.
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Scherer, WilhelmWilhelm Scherer11860720018411886Scherer, Wilhelm (1841–1886), war Germanist und Literaturhistoriker. Seit 1868 wirkte er als ordentlicher Professor für Deutsche Philologie an der Universität Wien, 1872 folgte er dem Ruf an die neugeschaffene Kaiser-Wilhelms-Universität in Straßburg, um fünf Jahre später schließlich an die Universität Berlin zu wechseln, wo er Professor für Neuere Deutsche Literaturgeschichte wurde.
Erlangen49.5928616,11.0056Mittelfränkische Universitätsstadt, etwa 20 Kilometer nördlich von Nürnberg gelegen, seit 1810 Stadt und Universität des Königreichs Bayern.
Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin
: PAW (1812-1945), II-III-121. 123; II-V-53, 64, 77, 153.
BBAW Berlin1000
Steinmeyer, Emil EliasElias Steinmeyer11861755918481922Steinmeyer, Emil Elias (1848–1922), in der Nähe Potsdams geborener, aus preußischem Pfarrhaus stammender Germanist und Altphilologe, der nach seinem Studium an der Berliner Universität von 1873 bis 1877 außerordentlicher Professor für germanistische Mediävistik an der Universität Straßburg war, anschließend bis 1913 Ordinarius für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Erlangen.
Sievers, Georg Eduard11879711518501832Sievers, Georg Eduard (1850–1932), war Philologe, Sprachwissenschaftler und mediävistischer Germanist, der als Professor an den Universitäten Jena, Tübingen. Halle und Leipzig wirkte.
Schönbach, Anton Emanuel11685998918481911Schönbach, Anton Emanuel (1848–1911), war Germanist, Kultur- und Literaturwissenschaftler, der seit 1873 als außerordentlicher Professor an der Universität Graz wirkte, seit 1876 als Ordinarius.
München48.1371079,11.5753822Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Bayern an der Isar in Oberbayern.
BonnAuf eine römische Gründung zurückgehende alte kurfürstliche Residenzstadt am Rhein mit menschlichen Besiedlungsspuren, die ca. 14.000 Jahre zurückreichen, nach französischer Herrschaft ab 1815 eine Stadt des Königreiches Preußen, etwa 30 Kilometer nördöstllich von Köln gelegen.
Graz47.0708678,15.4382786Etwa 180 Kilometer südwestlich von Wien an der Mur gelegene Hauptstadt der Steiermark.
Leipzig51.3406321,12.3747329Am Zusammenfluß von Weißer Elster, Pleiße und Parthe gelegene Universitäts- und Messestadt in Sachsen.
Philosophische Facultät (Fakultät) der Universität ErlangenDie Philosophische Fakultät an der Universität Erlangen war in zwei Sektionen gegliedert, was in dieser Form innerhalb der Universität nur in der Philosophischen Fakultät existierte. 1881, kurz nachdem alle naturwissenschaftlichen Fächer in die Philosophische Fakultät übergegangen waren, hatte man diese in eine „Philosophisch-historische“ und eine „Mathematisch-naturwissenschaftliche“ Sektion unterteilt. Ab dem Sommersemester 1903 findet sich die Unterteilung in Sektionen auch im akademischen Personalstandsverzeichnis, und 1922 wurde die Bezeichnung „Sektion“ in „Abteilung“ geändert. 1928 wurden die naturwissenschaftlichen Fächer in eine eigene Fakultät ausgegliedert.
Ordentliche Professur, ordentlicher Professorsiehe: Ordinarius
FachwissenschaftUniversitäres Fach; spezielles Fachgebiet innerhalbWissenschaftswelt, auf welchem in wissenschaftlicher Weise geforscht und gelehrt wird.
Professor, ProfeßorBerufs- oder Amtsbezeichnung und Anrede für den Inhaber einer Professur an einer Universität oder Hochschule, wobei nicht jeder Professor eine Professur bekleidet; früher auch Bezeichnung für einen Gymnasiallehrer (Gymnasial-Professor) bzw. Lehrer an einer Lateinschule.
Universität ErlangenDie im Jahre 1743 gegründete Universität Erlangen gewann im 19. Jahrhundert innerhalb des katholisch geprägten Königreichs Bayern durch ihre evangelische Theologische Fakultät als wissenschaftliche Ausbildungsstätte protestantischer Geistlicher für die neue, nach 1806 erst entstehende Bayerische Landeskirche eine besondere Bedeutung. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war die „Erlanger Theologie“ durch große Geschlossenheit und Einheitlichkeit im Sinne des „Neuluthertums“ gekennzeichnet.
literarische Leistungen, litterarische LeistungenSchriftstellerische Leistungen, Leistungen als Autor, Publikationsleistungen, Publikationstätigkeiten und deren Rezeption.
DocententhätigkeitDozententätigkeit, Lehrtätigkeit als Dozent an einer Universität oder Hochschule.
Vorlesung(en)Lehrveranstaltung(en) an Universitäten.
LiebesdienstGefälligkeit, aufgrund von Freundschaft oder aus Freundlichkeit heraus erwiesene Hilfe.
Senat (Universität)Höchstes Beratungsgremium einer Universität; andernorts auch als „Konzil“ bezeichnet, z. B. an der Universität Rostock.
Senat, akademischer (Universität Erlangen)Akademischer Senat der königlichen Universität Erlangen.
Prorector, Prorektor (Erlangen)Wie an der Universität Erlangen war an allen Universitäten des Königreichs Bayern stets der König Universitätsrektor, ein jährlich neu gewählter Professor sein Vertreter als Prorektor.
AugenleidenAugenkrankheit.
Docent, DozentLehrender.
DoctordissertationDoktorarbeit, Dissertation als wissenschaftliche Arbeit, die für die Erlangung des Doktorgrades angefertigt wurde.