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Karl Hegel an Elias Steinmeyer, Erlangen, 18. November 1876

Sehr geehrter Herr College!

Ich erlaube mir, mich mit meiner Anfrage direct an Sie zu wenden. Es ist mein dringender Wunsch Sie für unsere Universität zu gewinnen. Die Facultät, deren Decan ich gegenwärtig bin, und ich zweifle keinen Augenblick, daß das Staatsministerium, welches noch in keinem Fall von unseren Vorschlägen abgewichen ist, Sie berufen wird. Von Ihrem vortrefflichen Collegen Scherer hörte ich bereits zu meiner Freude, daß Sie nicht abgeneigt seien, einem Rufe an die hiesige Universität zu folgen. Ich muß Sie aber näher mit den Bedingungen bekannt machen. Das Gehalt eines ordentlichen Professors, welches Ihnen angeboten werden wird, beträgt 4200 Mark; es kommen hinzu die Quinquennalzulagen das heißt nach den ersten 5 Jahren 360 Mark, nach den zweiten, dritten usw., so lange der Professor activ ist das heißt wirklich Vorlesungen hält, immer 180 Mark. Ist ein Professor in diesem Sinne nicht mehr activ, so bleibt er doch im Besitz seines erhöhten Gehalts; er wird niemals quiesciert1, es sei denn daß er sich eines Flagranten Vergehens schuldig macht, und dann auf Antrag des Senats; er kann sich aber mit vollem Gehalt quiescieren lassen, wenn er das 70. Lebensjahr vollendet hat. Die Bestimmungen über die Wittwenpension, wobei auch die minorennen Kinder berücksichtigt werden, sind außerordentlich günstig; die Wittwe des Professors erhält eine gesetzlich fixirte Pension aus der Staatswittwencasse und eine zweite aus der reich dotierten Universitäts-Wittwencasse; das Nähere hierüber kann ich Ihnen mittheilen, wenn Sie es wünschen. Das collegiale Leben an unserer Universität ist vortrefflich, wie kaum an irgend einer andern; die Autonomie der Corporation, auch in den Finanzsachen, geht so weit als denkbar: Alles, was sie betrifft, geht durch den akademischen Senat und in den Senat kann jeder ordentliche Professor eintreten, so daß jeder von den Angelegenheiten der Universität unterrichtet ist und an ihren Geschäften theilnimmt. Diese angenehmen und liberalen Verhältnisse bewirken, daß jeder Professor, der seine Stelle ausfüllt, sich hier wohl fühlt, und manche, die von hier fortgegangen sind, haben es nachträglich bitter bereut.

Die Vorlesungen über deutsche Grammatik, Mittel- und Althochdeutsch, welche von Raumer gehalten hat, haben immer Zuhörer gefunden; die über neuere deutsche Literatur waren sogar sehr zahlreich besucht. Auch der Privatdocent Dr. Wagner hat in diesem Semester mit seinen Vorlesungen einen guten Anfang gemacht. Ich habe immer bedauert, daß von Raumer nicht auch über die ältere deutsche Literaturgeschichte, die sicher nicht weniger als die neuere angezogen hätte, gelesen hat.

Ich schreibe dies alles bloß, um sie noch mehr geneigt zu machen, der unserige zu werden; doch streng nach der Wahrheit ohne auch nur ein bißchen schön zu färben. Die Beschränkungen, welche in dem Wesen einer kleinen Universitätsstadt, in einer nicht reich, aber doch im ganzen genügend dotirten Universitäts-Bibliothek gegeben sind, brauche ich nicht besonders hervorzuheben, weil sie sich Ihnen von selbst darbieten. Der Zweck meines Schreibens ist nun aber nicht eigentlich von Ihnen selbst zu erfahren, daß Sie zu kommen geneigt seien, weil ich dies bereits weiß, sondern einen Bitte an Sie zu richten.

Ihre Berufung hierher kann nicht vor Ende des Jahres erfolgen. Die Vorschläge der Facultät müssen durch den Senat gehen, der sie an das Staatsministerium2 bringt; dieses berichtet an den König. Vielleicht werden Sie schon früher zur Entscheidung gedrängt, wenn der Ruf nach Bonn an Sie kommt, in diesem Fall möchte ich Sie bitten, mich sofort dessen zu benachrichtigen, sei es daß Sie bereits sich für Bonn entschieden haben, oder noch schwankend sind, und im letzten Fall meine Antwort abzuwarten, während ich im ersten alle weiteren unnöthigen Schritte unterlassen oder aufhalten würde. Dr. Wagner wollte es schon vorgestern ganz sicher aus Straßburg wissen, wie mir ein College sagte, daß Sie bereits in Bonn angenommen hätten; ich glaube es, aber vorläufig noch nicht, bis ich es von Ihnen selbst erfahren.

Mit vorzüglicher Hochachtung
Ihr ergebener
Carl Hegel.