Ich erlaube mir, mich mit meiner Anfrage direct an Sie zu wenden. Es ist mein dringender Wunsch Sie für unsere Universität zu gewinnen. Die Facultät, deren Decan ich gegenwärtig bin, und ich zweifle keinen Augenblick, daß das Staatsministerium, welches noch in keinem Fall von unseren Vorschlägen abgewichen ist, Sie berufen wird. Von Ihrem vortrefflichen Collegen Scherer hörte ich bereits zu meiner Freude, daß Sie nicht abgeneigt seien, einem Rufe an die hiesige Universität zu folgen. Ich muß Sie aber näher mit den Bedingungen bekannt machen. Das Gehalt eines ordentlichen Professors, welches Ihnen angeboten werden wird, beträgt 4200 Mark; es kommen hinzu die Quinquennalzulagen das heißt nach den ersten 5 Jahren 360 Mark, nach den zweiten, | dritten usw., so lange der Professor activ ist das heißt wirklich Vorlesungen hält, immer 180 Mark. Ist ein Professor in diesem Sinne nicht mehr activ, so bleibt er doch im Besitz seines erhöhten Gehalts; er wird niemals quiesciert1, es sei denn daß er sich eines Flagranten Vergehens schuldig macht, und dann auf Antrag des Senats; er kann sich aber mit vollem Gehalt quiescieren lassen, wenn er das 70. Lebensjahr vollendet hat. Die Bestimmungen über die Wittwenpension, wobei auch die minorennen Kinder berücksichtigt werden, sind außerordentlich günstig; die Wittwe des Professors erhält eine gesetzlich fixirte Pension aus der Staatswittwencasse und eine zweite aus der reich dotierten Universitäts-Wittwencasse; das Nähere hierüber kann ich Ihnen mittheilen, wenn Sie es wünschen. Das collegiale Leben an unserer Universität ist vortrefflich, wie kaum an irgend einer andern; die Autonomie der Corporation, auch in den Finanzsachen, geht so weit als denkbar: Alles, was sie betrifft, geht durch den akademischen Senat und in den Senat kann jeder ordentliche Professor | eintreten, so daß jeder von den Angelegenheiten der Universität unterrichtet ist und an ihren Geschäften theilnimmt. Diese angenehmen und liberalen Verhältnisse bewirken, daß jeder Professor, der seine Stelle ausfüllt, sich hier wohl fühlt, und manche, die von hier fortgegangen sind, haben es nachträglich bitter bereut.
Ich schreibe dies alles bloß, um sie noch mehr geneigt zu machen, der unserige zu werden; doch streng nach der Wahrheit ohne auch nur ein bißchen schön zu färben. Die Beschränkungen, welche in dem Wesen einer kleinen Universitätsstadt, in einer nicht reich, aber doch im ganzen genügend dotirtenUniversitäts-Bibliothek gegeben sind, brauche ich nicht besonders hervorzuheben, weil sie sich Ihnen von selbst darbieten. | Der Zweck meines Schreibens ist nun aber nicht eigentlich von Ihnen selbst zu erfahren, daß Sie zu kommen geneigt seien, weil ich dies bereits weiß, sondern einen Bitte an Sie zu richten.
Ihre Berufung hierher kann nicht vor Ende des Jahres erfolgen. Die Vorschläge der Facultät müssen durch den Senat gehen, der sie an das Staatsministerium2 bringt; dieses berichtet an den König. Vielleicht werden Sie schon früher zur Entscheidung gedrängt, wenn der Ruf nach Bonn an Sie kommt, in diesem Fall möchte ich Sie bitten, mich sofort dessen zu benachrichtigen, sei es daß Sie bereits sich für Bonn entschieden haben, oder noch schwankend sind, und im letzten Fall meine Antwort abzuwarten, während ich im ersten alle weiteren unnöthigen Schritte unterlassen oder aufhalten würde. Dr. Wagner wollte es schon vorgestern ganz sicher aus Straßburg wissen, wie mir ein College sagte, daß Sie bereits in Bonn angenommen hätten; ich glaube es, aber vorläufig noch nicht, bis ich es von Ihnen selbst erfahren.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Ihr ergebener Carl Hegel.
1In den Ruhestand versetzt werden. 2„Staatsministerium“ hier wohl bezogen auf das bayerische Kultusministerium.
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Steinmeyer, Emil EliasElias Steinmeyer11861755918481922Steinmeyer, Emil Elias (1848–1922), in der Nähe Potsdams geborener, aus preußischem Pfarrhaus stammender Germanist und Altphilologe, der nach seinem Studium an der Berliner Universität von 1873 bis 1877 außerordentlicher Professor für germanistische Mediävistik an der Universität Straßburg war, anschließend bis 1913 Ordinarius für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Erlangen.
Erlangen49.5928616,11.0056Mittelfränkische Universitätsstadt, etwa 20 Kilometer nördlich von Nürnberg gelegen, seit 1810 Stadt und Universität des Königreichs Bayern.
Scherer, WilhelmWilhelm Scherer11860720018411886Scherer, Wilhelm (1841–1886), war Germanist und Literaturhistoriker. Seit 1868 wirkte er als ordentlicher Professor für Deutsche Philologie an der Universität Wien, 1872 folgte er dem Ruf an die neugeschaffene Kaiser-Wilhelms-Universität in Straßburg, um fünf Jahre später schließlich an die Universität Berlin zu wechseln, wo er Professor für Neuere Deutsche Literaturgeschichte wurde.
Raumer, Rudolf (Heinrich Georg)11878796918151876Raumer, Rudolf (Heinrich Georg) (1815–1876), in Breslau geborener Germanist sowie Sohn des Geographen und Pädagogen Karl Georg Raumer (1783–1865) und Bruder Johannes (Hans) Raumers (1820–1851). Er studierte von 1832 bis 1839 an den Universitäten Erlangen und Göttingen Klassische Philologie, Orientalistik und Germanische Sprachwissenschaft, wurde 1839 in Erlangen promoviert und habilitierte sich dort 1840. Zunächst Privatdozent, wurde er 1846 außerordentlicher und war von 1852 bis 1876 ordentlicher Professor für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Erlangen. In den akademischen Jahren 1858/59 und 1866/67 war er deren Prorektor.
Wagner, Albrecht11569869818501909Wagner, Albrecht (1850–1909), Philologe, Anglist, Germanist und Literaturhistoriker, wirkte von 1876 an der Universität Erlangen, wo er sich im selben Jahr habilitierte, als Privatdozent, bevor er 1885 außerordentlicher Professor für Englische Philologie an der Universität Göttingen wurde; 1887 wechselte er nach Halle-Wittenberg, wo er zunächst Lehrstuhlvertreter war, seit 1889 außerordentlicher Professor, seit 1893 ordentlicher Professor und Direktor des dortigen Englischen Seminars.
Ludwig II., König von BayernKönig Ludwig II. von Bayern11857489218451886Ludwig II. (1845–1886), bayerischer König von 1864 bis 1886.
BonnAuf eine römische Gründung zurückgehende alte kurfürstliche Residenzstadt am Rhein mit menschlichen Besiedlungsspuren, die ca. 14.000 Jahre zurückreichen, nach französischer Herrschaft ab 1815 eine Stadt des Königreiches Preußen, etwa 30 Kilometer nördöstllich von Köln gelegen.
Straßburg48.584614,7.7507127Ehemalige Reichs-, Universitäts- und Bischofsstadt am Westufer des Rheines und an der Ill zwischen Vogesen im Westen und Schwarzwald im Osten gelegen.
Historisches Seminar (Universität Erlangen)Zur Verbesserung der wissenschaftlichen Ausbildung der Gymnasiallehrer im Fach „Geschichte“ wurde aufgrund der maßgeblichen Initiative Karl Hegels (1813-1901) seit Beginn seiner Berufung auf einen Lehrstuhl für Geschichte an der Universität Erlangen im Jahre 1872 das Historische Seminar gegründet.
Ordentliche Professur, ordentlicher Professorsiehe: Ordinarius
MarkIm Jahre 1871 eingeführte Währung des Deutschen Reiches, die in 5, 10 und 20 Stücken geprägt wurde. Da sie eine zu einem Drittel goldgedeckte Währung war, wurde sie auch als Goldmark bezeichnet.
Professor, ProfeßorBerufs- oder Amtsbezeichnung und Anrede für den Inhaber einer Professur an einer Universität oder Hochschule, wobei nicht jeder Professor eine Professur bekleidet; früher auch Bezeichnung für einen Gymnasiallehrer (Gymnasial-Professor) bzw. Lehrer an einer Lateinschule.
Vorlesung(en)Lehrveranstaltung(en) an Universitäten.
quiescieren (quieszieren)In den Ruhestand versetzen bzw. gehen; ruhen.
Senat, akademischer (Universität Erlangen)Akademischer Senat der königlichen Universität Erlangen.
Wittwenpension, auch: Pension der Witwesiehe: Witwenkasse
Staatswittwencasse (Bayern)Pekuniäre Witwenversorgung verstorbener bayerischer Staatsbeamter im 19. Jahrhundert.
Universitäts-Wittwenkasse (Erlangen)Pekuniäre Versorgung von Hinterbliebenen von Universitäts-Angehörigen an der Universität Erlangen.
CorporationKorporation, Körperschaft.
Deutsche Grammatik, auch: GrammatikTeilgebiet der im 19. Jahrhundert sich erst als Universitätsdisziplin etablierenden Germanistik.
mittelhochdeutschAdjektiv zu Mittelhochdeutsch als Sprachstufe des Deutschen, die im oberdeutschen und mitteldeutschen Raum zwischen 1050 und 1350 gesprochen wurde.
althochdeutschAdjektiv zu „Althochdeutsch“, das die älteste schriftlich überlieferte Sprachstufe des Deutschen bezeichnet, die ca. zwischen 750 und 1050 gesprochen und geschrieben wurde.
Neuere deutsche LiteraturTeilgebiet innerhalb der Germanistik als universitäre Disziplin.
Privatdocent, Privat-Docent, PrivatdozentBezeichnung für einen habilitierten Wissenschaftler an einer Hochschule oder Universität, der keine Professur innehat.
SemesterHier in der Bedeutung von: Studienhalbjahr an einer Universität.
Ältere deutsche LiteraturgeschichteFachgebiet innerhalb der germanistischen Mediävistik, auch Altgermanistik, als universitäre Disziplin, die sich vornehmlich mit der mittelalterlichen bzw. teilweise auch frühneuhochdeutschen Literatur beschäftigt.
dotirtdotiert, finanziell mit einer bestimmten Geldsumme ausgestaltet, ausgestattet.
Universitätsbibliothek, Universitäts-Bibliothek ErlangenDie Erlanger Universitätsbibliothek wurde 1743 zusammen mit der Gründung der Universität durch den Markgrafen Friedrich von Brandenburg-Bayreuth (1711-1763) gegründet und verfügt heute über mehrere Standorte sowie Teilbibliotheken, die sich teilweise auch aus Fusionierungen der Universität und Neugründungen von Fakultäten im weiteren Verlauf der Universitätsgeschichte ergaben.
BerufungHier im Sinne von: Ruf auf eine Professur und damit Angebot für ein wissenschaftliches Amt.
Philosophische Facultät (Fakultät) der Universität ErlangenDie Philosophische Fakultät an der Universität Erlangen war in zwei Sektionen gegliedert, was in dieser Form innerhalb der Universität nur in der Philosophischen Fakultät existierte. 1881, kurz nachdem alle naturwissenschaftlichen Fächer in die Philosophische Fakultät übergegangen waren, hatte man diese in eine „Philosophisch-historische“ und eine „Mathematisch-naturwissenschaftliche“ Sektion unterteilt. Ab dem Sommersemester 1903 findet sich die Unterteilung in Sektionen auch im akademischen Personalstandsverzeichnis, und 1922 wurde die Bezeichnung „Sektion“ in „Abteilung“ geändert. 1928 wurden die naturwissenschaftlichen Fächer in eine eigene Fakultät ausgegliedert.
Staatsministerium des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten, Staats-Ministeriums des Innern für Kirchen- und Schul-Angelegenheiten (Bayern)Von 1849 bis 1918 offizielle Bezeichnung für das Bayerische Kultusministerium.
KönigAuf das Althochdeutsche zurückgehender Begriff („kuning“ zu „kunni“ für „Geschlecht“) als Bezeichnung für einen Träger des Königstitels in seiner Funktion als höchster (nach dem Kaiser) weltlicher Herrscher oder Repräsentant einer Monarchie.
Mehrere Registerverweise
Zitierempfehlung
Die wissenschaftliche Korrespondenz des Historikers Karl Hegel (1813-1901), bearbeitet von Helmut Neuhaus und Marion Kreis