Indem ich Ihnen für Ihre ehrenden Zeilen vom 18 dieses Monats3 meinen herzlichsten Dank ausspreche, beeile ich mich, Ihnen über die Bonner Angelegenheit die gewünschten Mittheilungen zu geben. Von einer Berufung dorthin ist bisher noch nicht die Rede, sondern die Facultät hatte im August dieses Jahres Scherer, mich und Sievers vorgeschlagen; aber das Preußische Cultusministerium remittierte diese Vorschläge, weil es Professor Siveres ! nach Berlin zu berufen gedenke und weil ich hier in Straßburg sein Nachfolger werden solle. Die Facultät musste also neue Vorschläge machen, und bei dieser Gelegenheit wurde ich von Prof. Usener aufgefordert eine Erklärung abzugeben, die dahin lautete dass ich einer Professur in Bonn einer solchen in Straßburg | vorzöge. Das habe ich dann alsbald, vor etwa 14 Tagen, gethan, bin aber selbstverständlich dadurch nicht im entferntesten gebunden, da in der Zeit, wo ich meine Erklärung abgegeben, die Erlanger Stelle für mich noch gar nicht in Frage stand. Es ist aber auch keineswegs sicher dass ich unter diesem Umständen wirklich nach Bonn gerufen werde, da ich Grund zu der Annahme zu haben glaube dass auch ProfessorMartin in Prag unter den Candidaten der zweiten Liste sich befindet: und diesen würde das Ministerium vielleicht als den ältesten vorziehen.
Ich werde Ihnen selbstverständlich als bald und vor jeder Entscheidung melden, wenn ich noch einen Ruf nach Bonn erhalten sollte, um so mehr als ich persönlich sehr gern nach Erlangen gehen werde.
Die Straßburger Universitätsverhältnisse sind ja freilich großartig zugeschnitten, wie das bisher noch kaum an einer anderen Hochschule der | Fall ist: aber die völlige Ausführung des hiesigen Platzes erfordert eine Summe von Kraft, die fast jede eigene Production erstickt. Während der Zeit, die ich hier zugebracht habe, musste ich sechs Semester hinter einander je ein neues Colleg ausarbeiten, hatte daneben die alleinige, durch die große damit verbundene Correspondenz äußerst zeitraubende Redaction meiner Zeitschrift, die teilweise Redaction unserer Quellen und Forschungen und endlich die gesammten Catalogisierungsgeschäfte für unser Seminar; und in den Ferien, so sonst andere sich erholen oder für sich arbeiten können, musste ich fast immer wissenschaftliche Reisen unternehmen. Die Früchte derselben sind freilich nicht verloren, aber zu ihrer Verwerthung fand sich noch nicht die Muße. Sie werden darum begreifen, dass ich mich sehne, meine Thätig- | keit etwas mehr concentrieren zu können.
Und nun möchte ich noch einen Punct berühren. Wenn ich für Ostern4 berufen werde, so muss ich hier, da ich meine Wohnung erst zu Ostern für Michaelis kündigen kann, ein halbes Jahr Miethe im Betrage von 480 Mark unnütz bezahlen; ferner würden die Kosten der Übersiedlung meines Mobiliars, das ich erst vor zwei Jahren neu beschafft habe, auch einige hundert Mark betragen. Es wäre mir daher erwünscht, bei Gelegenheit zu erfahren, ob eine Entschädigung der Umzugskosten in Baiern ebenso wie in Preußen eintritt, oder nicht. Ich brauche kaum zu bemerken dass eine Gewährung oder Nichtgewährung ohne Einfluss auf meine Bereitwilligkeit, einem Rufe nach Erlangen zu folgen, sein würde: nur freilich wäre mir ein Ersatz der Auslagen recht erwünscht.
Indem ich Sie nochmals meines herzlichen Dankes versichere,
habe ich die Ehre
mich zu nennen Ihren hochachtungsvollst ergebenen Steinmeyer.
1Monat kleingeschrieben. 2Vermerk wohl von Seiten des Verfassers am oberen Rand der ersten Briefseite: „(An Professor Karl von Hegel Erlangen als Antwort auf dessen Brief Nr. 1 vom 18.11.1876)“. 3Vgl. dazu Brief 18761118_01. 416./17. April 1876.
Steinmeyer, Emil EliasElias Steinmeyer11861755918481922Steinmeyer, Emil Elias (1848–1922), in der Nähe Potsdams geborener, aus preußischem Pfarrhaus stammender Germanist und Altphilologe, der nach seinem Studium an der Berliner Universität von 1873 bis 1877 außerordentlicher Professor für germanistische Mediävistik an der Universität Straßburg war, anschließend bis 1913 Ordinarius für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Erlangen.
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Straßburg48.584614,7.7507127Ehemalige Reichs-, Universitäts- und Bischofsstadt am Westufer des Rheines und an der Ill zwischen Vogesen im Westen und Schwarzwald im Osten gelegen.
Scherer, WilhelmWilhelm Scherer11860720018411886Scherer, Wilhelm (1841–1886), war Germanist und Literaturhistoriker. Seit 1868 wirkte er als ordentlicher Professor für Deutsche Philologie an der Universität Wien, 1872 folgte er dem Ruf an die neugeschaffene Kaiser-Wilhelms-Universität in Straßburg, um fünf Jahre später schließlich an die Universität Berlin zu wechseln, wo er Professor für Neuere Deutsche Literaturgeschichte wurde.
Sievers, Georg Eduard11879711518501832Sievers, Georg Eduard (1850–1932), war Philologe, Sprachwissenschaftler und mediävistischer Germanist, der als Professor an den Universitäten Jena, Tübingen. Halle und Leipzig wirkte.
Usener, Friedrich Philipphttps://www.deutsche-biographie.de/sfz83435.html11732185017731867Usener, Friedrich Philipp (1773–1867), war Jurist, Politiker und Historiker.
Martin, Ernst11680351718411910Martin, Ernst (1841–1910), war Germanist und Romanist, der nach einem Studium in Jena zunächst als Gymnasiallehrer in Berlin wirkte, sich 1866 in Heidelberg habilitierte, 1868 wurde er Extraordinarius in Freiburg im Breisgau, dort 1872 dann Ordinarius, bevor er 1874 nach Prag ging. 1877 erfolgte seine Berufung nach Straßburg; er war auf der Berufungsliste für die Besetzung des Erlanger Lehrstuhls im Jahr 1876 auf Platz zwei hinter dem Germanisten Elias Steinmeyer (1848–1922), der schließlich an die Universität Erlangen berufen wurde.
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
BonnAuf eine römische Gründung zurückgehende alte kurfürstliche Residenzstadt am Rhein mit menschlichen Besiedlungsspuren, die ca. 14.000 Jahre zurückreichen, nach französischer Herrschaft ab 1815 eine Stadt des Königreiches Preußen, etwa 30 Kilometer nördöstllich von Köln gelegen.
Prag50.0874654,14.4212535Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Böhmen, an der Moldau gelegen.
Erlangen49.5928616,11.0056Mittelfränkische Universitätsstadt, etwa 20 Kilometer nördlich von Nürnberg gelegen, seit 1810 Stadt und Universität des Königreichs Bayern.
Bayern (Baiern)Das Königreich Bayern bestand von 1806 bis 1918.
Preußen, Prusse Königreich Preußen (französisch: Prusse), auch Ostpreußen als östlichste Provinz des Königreichs.
Professor, ProfeßorBerufs- oder Amtsbezeichnung und Anrede für den Inhaber einer Professur an einer Universität oder Hochschule, wobei nicht jeder Professor eine Professur bekleidet; früher auch Bezeichnung für einen Gymnasiallehrer (Gymnasial-Professor) bzw. Lehrer an einer Lateinschule.
BonnerZu Bonn gehörend, auf Bonn bezogen, Bonn zuzuordnen.
BerufungHier im Sinne von: Ruf auf eine Professur und damit Angebot für ein wissenschaftliches Amt.
preußischZu Preußen gehörend, auf Preußen bezogen, sich auf Preußen beziehend.
ErlangerZu Erlangen gehörend, Erlangen zuzuordnen, auf Erlangen bezogen.
CandidatenKandidaten.
MinisteriumSeit dem 19. Jahrhundert gebräuchlicher Begriff für die höchste Verwaltungsbehörde eines Landes mit einem bestimmten, ihr zugewiesenen Aufgabenbereich im Sinne von Ressort sowie Dienststelle; darüber hinaus auch die Gesamtheit der Minister, Ministerrat und Regierung bedeutend.
Ruf (Universität)Berufung in ein hohes wissenschaftliches Amt, hier speziell auf einen Lehrstuhl an einer Universität.
Straßburger, StraßburgischZu Straßburg gehörend, auf Straßburg bezogen, Straßburg zuzuordnen.
SemesterHier in der Bedeutung von: Studienhalbjahr an einer Universität.
Colleg, Collegium, CollegienAkademische Vorlesung(en) bzw. Vorlesung(en) an einer Universität oder Hochschule.
CorrespondenzKorrespondenz.
Redaction, Redactionen (Redaktion)Redaktion hier als Tätigkeit in Bezug auf die Herausgabe einer historisch-kritischen Quellen-Edition; auch: Zeitungsredaktion.
Zeitschrift für deutsches Alterthum und Deutsche LitteraturWissenschaftliches Periodikum aus dem Fachgebiet der Germanistik mit dem inhaltlichen Schwerpunkt auf der Mediävistik, durchaus aber auch Arbeiten aus der neueren deutschen Literatur enthaltend; 1841 von dem deutschen Klassischen Philologen Moriz Haupt (1808-1874) gegründet wurde und im Hirzel-Verlag erschienen; sie wurde auch von dem Straßburger (1873-1877), dann bis zu seiner Emeritierung 1913 Erlanger Germanisten Elias Steinmeyer (1848-1922) als Herausgeber von 1874 bis 1895 redaktionell betreut.
Quellen und Forschungen Germanistische Zeitschrift, welche herausgegeben wurde von Elias Steinmeyer (1848-1922) et al. unter dem Titel: „Quellen und Forschungen zur Sprach- und Culturgeschichte der germanischen Völker“.
CatalogisierungsgeschäfteTätigkeiten, die mit Katalogisieren, d. h. in einen Katalog, ein Verzeichnis aufnehmen zu tun haben; innerhalb des Hochschulbetriebes auch auf entsprechende Verwaltungstätigkeiten im Sinne von Datenerhebung, Erfassung, Registrierung bezogen.
SeminarInstitutionalisierte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der jeweiligen universitären Disziplin, für welche dieses Seminar besteht; es dient der wissenschaftlichen Vertiefung auf dem jeweiligen Fachgebiet in Form kleinerer, differenzierter Lehrveranstaltungen (Seminare, Übungen mit unterschiedlichen Lehr- und Lernmethoden), die im Gegensatz zu Vorlesungen eine verstärkte Interaktion zwischen Teilnehmenden und Lehrenden ermöglicht.
concentrieren, concentrirenkonzentrieren.
Michaelis (Michaeli)Michaelistag als Fest des heiligen Erzengels Michael und aller Engel nach römisch-katholischer, anglikanischer und teilweise auch protestantischer kirchlicher Tradition am 29. September.
MarkIm Jahre 1871 eingeführte Währung des Deutschen Reiches, die in 5, 10 und 20 Stücken geprägt wurde. Da sie eine zu einem Drittel goldgedeckte Währung war, wurde sie auch als Goldmark bezeichnet.
Mehrere Registerverweise
Zitierempfehlung
Die wissenschaftliche Korrespondenz des Historikers Karl Hegel (1813-1901), bearbeitet von Helmut Neuhaus und Marion Kreis