Recht lang haben wir nichts von einander gehört. Auch meinen Monatsbrief habe ich im Drang der Geschäfte bis heute verschoben. Seit meiner Rückkehr von München zu Ende October war ich angestrengt bei der Arbeit, nachdem ich den ganzen Monat hatte pausieren müssen. Dazu gaben Verwaltungsrath und das Decanat der philosophischen Facultät1 ungewöhnlich viel zu thun, das letztere namentlich bei den Vorschlägen zur Wiederbesetzung der von Raumer’schen Professur. Auch die Auseinandersetzung des mütterlichen Nachlasses rief mich nach Nürnberg; durch die minorennen Kinder2 von Max wurde dieses Geschäft sehr erschwert und so weitläufig gemacht, daß es noch nicht beendigt ist. Indessen ist der ganze Hausstand der seligen Mutter aufgelöst worden; ein Theil des Mobilars wurde von den Erben übernommen, ein anderer in der Auction verkauft; die Wohnung ist geräumt und vermiethet.
Das Erbe eines jeden der 6 Kinder beträgt zwischen 15–16000 Mark.
Susanna war viel öfter, als ich, durch diese Angelegenheit veranlaßt nach Nürnberg zu fahren. Ihr Husten und Angegriffensein wurde dadurch nicht wenig vermehrt; sie leidet sehr an Kurzathmigkeit, wahrscheinlich in Folge von Lungenemphysem, hält sich daher meist zu Hause auf und gebraucht Medicamente, namentlich Malzextract mit Eisen, um wieder besser zu Kräften zu kommen, und die Mittel scheinen gut anzuschlagen. Wir leben also häuslich und stille; nur die Töchter kommen mehr hinaus, in dem akademischen Singverein und sonst, Sophiechen auch in der Tanzstunde. Georg ist, wie ich gern anerkenne, fleißig bei der Arbeit zur Vorbereitung auf das Examen zur Kriegsschule, nachdem er vom Dienst bis Ende Juni Urlaub erhalten hat. Freilich hat er auch sehr viel zu lernen und nachzuholen, da er das meiste, was er wußte , und das war nicht viel, vergessen hat. Er bekommt wöchentlich 8 Mathematik-, 3 lateinische, 3 französische, 1 englische Stunde, hört Chemie und Physik, jede 5 Stunden, dazu 2 Stunden Repetitorien, lernt Geschichte und Geographie. Er vermag sich anzustrengen für einen bestimmten Zweck, wenn er muß; eigenen Trieb hat er nicht.
Aus Nürnberg ist noch zu berichten, daß der kleine 15jährige Friedrich, Leitheimer, für dessen Erhaltung Onkel Wilhelm und Tante Frida so große Opfer gebracht haben, nun doch ganz unerwartet zu San Remo bei seiner Mutter gestorben ist. Es wird ein großer Schmerz für die gute Frida sein, welche dieses Kind besonders liebte und wie man sagte, der katholischen Kirche geweiht hatte. Sie bringt die Leiche nach Leitheim.
Unserer Anna in München geht es gut. Das Kind nimmt prächtig zu, seitdem es eine tüchtige Dachauerin zur Amme bekommen hat. Sein Vater Felix ist mit mathematischen Problemen wie Gleichungen 5. Grades beschäftigt.3 Luises zwei kleine Buben sind prächtig; der ältere fängt an zu sprechen, und der jüngere zu laufen.
Ich wünsche nachträglich Willi Glück zu seinem Geburtstag, der wie mir Susanna, als lebendiger Geburts- kalender sagt, vorgestern gewesen ist.4
Herzlichen Gruß an die liebe Clara.