Erlangen, den 28. Januar 1877
Sehr verehrter Herr Professor!
Ihrer ehrenvollen Aufforderung vom 7. dieses Monats, das Directorium der Wedekind’schen Preisstiftung mit Vorschlägen für die nach § 20 der Ordnungen auszusetzenden Preise zu unterstützen, will ich gerne entsprechen, wenn ich auch sehr im Zweifel darüber bin, ob meine Vorschläge geeignet seien, die Billigung der mit mir zugleich zu Rath gezogenen Fachgenossen zu finden. Indessen ist es immerhin gut, eine größere Auswahl von Aufgaben vor sich zu haben, und ich werde durchaus nicht empfindlich darüber sein, wenn das von mir als wünschenswerth bezeichnete Werk hinter anderem gleich oder noch mehr erwünschtem zurückstehen sollte.
Bei der Bestimmung des Themas für die eine wie für die andere Preisaufgabe muß, dünkt mich der Gesichtspunkt leitend sein, daß | alles das von vornherein auszuschließen ist, was sei es von der historischen Commission in München oder von der Centraldirection der Monumenta bereits bestimmt ins Auge gefaßt und dessen Ausführung in naher oder wenigstens nicht sehr langer Zeit zu erwarten ist. Ich glaube nun nach keiner Seite hin vorzugreifen mit meinem ersten Vorschlag, welcher die Bearbeitung eines Geschichtsschreibers von Werth aus dem deutschen Mittelalter betrifft.
Die Chronik des Fürstbisthums Würzburg von Lorenz Fries ist die werthvollste Bearbeitung und zugleich Quelle der fränkischen Geschichte für das 14. und 15. Jahrhundert. Sie ist schlecht edirt von Ludewig in seiner Sammlung würzburger Geschichtsschreiber nach unverwarten Abschriften; eine neue Ausgabe nach der von Fries selbst revidirten authentischen Handschrift, welche sich in der Sammlung des historischen Vereins von Unterfranken zu Würzburg befindet, ist seit lange ein dringendes Bedürfniß, auch von Professor
Contzen vor Jahren angekündigt worden, aber niemals zur Ausführung gekommen. Das Werk ist umfänglich genug – die Handschrift zählt 23 Pergamentblätter und 335 Papierblätter –, um mit der kritischen Herstellung des Textes und der nöthigen Sprach- und Sach- | erläuterung ein gehöriges Stück Arbeit zu erfordern. Zweifelhaft kann es allerdings erscheinen, ob Lorenz Fries genau genommen noch zu den Geschichtsschreibern des Mittelalters zu zählen sei; doch erwarte ich kaum, daß man dies gegen ihn einwenden wird. Sein Leben fällt in die Übergangszeit 1491–1550; geschrieben hat er die Chronik, so vil bekannt, zwischen 1541–1546, sie reicht aber in allen Handschriften nicht weiter als bis 1495. Ein anderes selbständiges Werk von Fries ist die Geschichte des Bauernkriegs in Ostfranken, welches der historische Verein in Würzburg jetzt eben im Begriff ist herauszugeben.
Für den zweiten Preis möchte ich vorschlagen eine kritische Bearbeitung der Geschichte Kaiser
Heinrichs VII. Diese Regierungsgeschichte, welche zum letzten mal Deutschland und Italien gleichmäßig umfaßt, ist ohne Zweifel die anziehendste von allen in der letzten Kaiserzeit des Mittelalters, sowohl in Betracht der Persönlichkeit des Fürsten, als auch seines Unternehmens, die kaiserliche Autorität über den Parteiungen von Italien und gegenüber dem Papst in Avignon wieder aufzurichten. Sie ist bisher nur sehr ungenügend dargestellt worden und neue wichtige Quellen haben sich in der letzten Zeit für sie eröffnet. |
Ich weiß kein Werk oder Unternehmen zu nennen, für welches der verfügbare Fond nach § 33 der Ordnungen verwendet werden könnte. Aber ich würde es für sehr wünschenswerth erachten, diesen schönen Fond einstweilen noch zu schonen bis zur eventuellen Auflösung der historischen Commission in München im Herbst 1879, bei welcher er nöthigenfalls für die ununterbrochene Fortsetzung einzelner Werke und Arbeiten die schätzbarsten Dienste im Interesse deutscher Geschichtsforschung leisten könnte.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Ihr ergebener
Carl Hegel.
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
WedekindstiftungDirektor der Wedekindstiftung (Georg Waitz)
Erlangen49.5928616,11.0056Mittelfränkische Universitätsstadt, etwa 20 Kilometer nördlich von Nürnberg gelegen, seit 1810 Stadt und Universität des Königreichs Bayern.
Archiv der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen
Chron. 16,4, 16,5, 16,6; Pers. 12, 20, 67; Scient 205,8, 205,10.
Akademie der Wissenschaften zu Göttingen
1000
Neuhaus
, Helmut: 150 Jahre Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Eine Chronik, München 2008.
Neuhaus
, 150 Jahre Historische Kommission
2008
Fries, Lorenz1185360281489/14911550Fries, Lorenz (1489/1491–1550), in Mergentheim geborener Sekretär des Fürstbischofs von Würzburg und Archivar, der als der bedeutendste Geschichtsschreiber Frankens im 16. Jahrhundert gilt.
Ludewig, Johann Peter11952452X16681743Ludewig, Johann Peter (1668–1743), in der Nähe von Schwäbisch Hall geborener Reichspublizist, Historiograph, Jurist und Archivar, der nach seinem Studium an den Universitäten Tübingen und Wittenberg ab 1695 an der Universität Halle nacheinander Professor für Philosophie, Geschichte und Rechtswissenschaften war.
Contzen, Martin Theodor13347190X18071881Contzen, Martin Theodor (1807–1881), im westfälischen Münster geborener Historiker, der nach seinem Studium an den Universitäten Münster und München 1836 in München promoviert wurde und sich 1837 an der Universität Würzburg habilitierte; dort war er von 1839 bis 1869 ordentlicher Professor für Bayerische Geschichte und von 1856 bis 1871 Vorsitzender des Archivkonservatoriums.
Heinrich VII., Römischer König und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches1185483011278/791313Heinrich VII. (1278/79–1313), Römisch-deutscher König ab 1308, Kaiser von 1312 bis 1313.
München48.1371079,11.5753822Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Bayern an der Isar in Oberbayern.
DeutschlandKulturgeschichtlich ist damit der Raum deutscher Nation und Sprache gemeint, wo „Teutschland“ im Laufe der Frühen Neuzeit eine Kurzbezeichnung für das „Heilige Römische Reich teutscher Nation“ wurde. Im 19. Jahrhundert wurde „Deutschland“ immer mehr zur inoffiziellen Bezeichnung für die deutschsprachigen Gebiete Mitteleuropas, zunächst das Gebiet des 1815 gegründeten Deutschen Bundes, dann des 1871 gegründeten Deutschen Reiches.
ItalienDie in der Form eines Stiefels als Apeninnen-Halbinsel ins Mittelmeer hineinreichende Landschaft von den Alpen bis Sizilien war politisch bis ins 19. Jahrhundert vom Nebeneinander einer Vielzahl von Staaten und von Fremdherrschaft geprägt. Im Zuge der italienischen Nationalbewegung (Risorgimento) kam es erst 1861 zur Gründung des Königreiches Italien als eines Nationalstaates mit König Viktor Emanuel II. (1820-1878) an der Spitze.
Avignon43.9492493,4.8059012Am Ufer der Rhône in der südfranzösischen Provence gelegene Stadt, etwa 80 Kilometer nördlich der Küste des Mittelmeeres gelegen. Von 1309 bis 1378 war Avignon Sitz von sieben Päpsten der römisch-katholischen Kirche.
Wedekindsche Stiftung, Wedekind’sche Stiftung, Wedekind’sche PreisstiftungVon dem Juristen und Historiker Anton Christian Wedekind (1763-1845) im Jahre 1819 ins Leben gerufene, bei der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen angesiedelte Stiftung zur Verleihung des Preises für deutsche Geschichte.
Historische Commission/Kommission, MünchenIm Jahre 1858 in München auf Anregung des Berliner Historikers Leopold Ranke (1795-1886) vom bayerischen König Maximilian II. Joseph (1811-1864) bei seiner Akademie der Wissenschaften gegründete Institution zur Erforschung der deutsche Geschichte.
Zentraldirektion der Monumenta Germaniae HistoricaNach dem Ausscheiden von Georg Heinrich Pertz (1795-1876) als Leiter der 1819 auf Anregung Heinrich Friedrich Karl Freiherr vom und zum Steins (1757-1831) in Frankfurt am Main gegründeten „Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde“ im Jahre 1874 wurde für die Herausgabe der „Monumenta Germaniae Historica“ aufgrund neuer Statuten von 1875 mit der Einrichtung einer Zentraldirektion eine kollegiale Leitungsstruktur geschaffen. In diese einmal jährlich in Berlin tagende Zentraldirektion wurden von den Mitgliedern der Monumenta Germaniae Historica einzelne ordentliche Mitglieder als Vertreter der Universitäten und der Akademien der Wissenschaften im Deutschen Reich und in Österreich gewählt, zum Beispiel Karl Hegel und Wilhelm Giesebrecht (1814-1889) für die Königlich Bayerische Akademie der Wissenschaften zu München.
Historischer Verein für Unterfranken und AschaffenburgDer 1831 auf Wunsch König Ludwigs I. von Bayern (1786-1868) gegründete Verein hatte die Aufgabe, die Lokal- und Kulturgeschichte des Raumes am Untermain zu erforschen.