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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 10. Februar 1877

Lieber Karl!

Die Zeiten sind so unruhig und arbeitsvoll, daß ich täglich nur zu dem allernothwendigsten Zeit finde. Doch drängt es mich, von Dir zu erfahren, wie es bei Euch geht. Das Wochenbett Deiner Tochter Louise wird, wie wir hoffen, auch ferner einen erwünschten Fortgang gehabt haben; Du wollest der lieben Wöchnerin und ihrem treuen Ehegatten Lommel wiederholt unsere herzlichen Glükwünsche aussprechen. Mit warmer Theilnahme erfüllt uns dagegen der leidliche Zustand der lieben Susanna, welcher nun auch einen längeren Aufenthalt in einem klimatischen Kurort nothwendig macht. Meran ist im Herbst zur Traubenkur vortrefflich; im Frühjahr war der Aufenthalt bei vielen Personen, welche ich kenne, ein verfehlter wegen schlechter Witterung bei sehr mangelhaftem Unterkommen wegen Ueberfüllung des Orts mit Gästen. Dagegen weiß ich von ausgezeichneten Kuren in Davos, ohne Unterschied des Wetters. Jedenfalls möchte ich empfehlen, möglichst bald aufzubrechen; das Frühjahr kündigt sich schon jetzt schlimm genug an.

Ueber die verdiente Auszeichnung durch den Maximiliansorden haben wir uns sehr gefreut und wünschen, daß Du Dich dieses Besitzes und Ehrenzeichens möglichst lange erfreuen möchtest. Mit dem Alter pflükt man Rosen; wird aber das Alter zur Jugend, so ist es wundervolle Tugend.

Die Aussicht, daß Georg schon im Frühjahr zur Kriegsschule kommen kann, ist wohl erfreulich; doch will ich nach meinen Erfahrungen als Vormund nicht unbemerkt lassen, daß die Kriegsschule häufig eine sittlich und finanziell sehr gefährliche Durchgangsperiode ist, und ich herzlich wünschen möchte, daß Georg daran nicht scheitere. An nachdrüklichen Ermahnungen wirst Du es nicht fehlen lassen; doch hast Du selbst wenig Vertrauen zu Ihrer Wirkung. Wir wollen ihn daher der gnädigen Führung unseres himmlischen Vaters im Gebet empfehlen.

Von Professor Wattenbach erfuhr ich vor acht Tagen bei Lepsius, daß Waiz Deine Kommission1 zur ersten Woche nach Ostern2 im April einberufen werde. Wir haben daher die Hoffnung, Dich alsdann wieder hier zu sehen und bitten Dich, als Gast in unser Haus wieder einzukehren. Das Gastzimmer ist für Deine Aufnahme bereit. In derselben Zeit erwartet auch Marie ihre Entbindung in Waldenburg; doch ist es noch zweifelhaft, ob sie dabei den Beistand meiner Frau bedürfen wird; sie meint für jetzt ihn entbehren zu können. Wie es aber sein mag, mein Hausstand würde auch unter Clärchens wirtschaftlicher Führung ohne alle Schwierigkeit einen lieben Gast aufnehmen können.

Bei vieler Arbeit und mancher Aufregung hat sich in letzter Zeit bei mir leider Schlaflosigkeit eingestellt, welche ich in meinem Alter noch weniger wie früher vertragen kann. Ich suche daher so gut es geht eine möglichst regelmäßige Lebensweise einzuhalten und werde hoffentlich das Uebel bald wieder bezwingen. Im Uebrigen befindet sich die ganze Welt in solcher Gährung, daß ich gar nicht erst anfangen will, meine Gedanken darüber kund zu thun, und da ich wünsche, daß dieser Brief noch heute Abend abgehen möchte, so will ich schließen mit herzlichen Grüßen und treuen Wünschen als

Dein Bruder
 Immanuel