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Karl Hegel an Immanuel Hegel, Erlangen, 18. Februar 1877

Lieber Manuel!

So eben trifft bei uns die Trauerkunde ein, daß der liebe Onkel Gottlieb gestern früh um 4 Uhr in München verschieden ist. Vorbereitet waren wir bereits durch die letzten bedenklichen Nachrichten über seine schwere Erkrankung in Folge einer Erkältung; zuletzt ist Brustwassersucht hinzugetreten, an der er noch acht Tage lang schwer zu leiden hatte. 1798 im Mai geboren1 hat er das 79. Lebensjahr nicht ganz vollendet! Er war ein herzlicher und seltener Mann von Geist und Charakter, frisch und geistig lebendig bis zuletzt und bei streng kirchlicher Richtung immer von vielseitigen Interessen bewegt, mit einem warmen Herzen voll Liebe und Freundlichkeit.

So habe ich ihn noch im vergangenen October gefunden, wo ich ihn jedoch leider nur wenig sah, weil er sich meist auf der Feldmühle aufhielt. Seine treue Fürsorge war in letzter Zeit besonders dem Münchener Diakonissenhaus gewidmet, welches er mit begründet.

Wie wird die Tante Thekla den Verlust ertragen! Morgen früh soll die Beerdigung sein. –

Für meine liebe Susanna bin ich doch recht in Sorge. Sie ist brustleidend und sehr kraftlos, ohne allen Appetit; nur der Schlaf ist gut, wenn nicht bisweilen durch heftigen und schmerzlichen Husten gestört, der sich zumeist des Morgens einstellt. Heute ist sie wegen Brustschmerzen im Bett liegen geblieben.

In 14 Tagen wollte ich sie mit Sophiechen nach dem südlichen Tirol in die Gegend von Botzen bringen, nicht nach Meran, sondern etwa nach Gries bei Botzen, dessen geschütztere Lage vorgezogen wird. An eine weitere Reise ist nicht zu denken. In St. Remo herrschen im März, wie mir die Tante von dort schrieb, sehr angreifende Seewinde. Davos wird im März bei Eintritt der Schneeschmelze geflohen; erst Ende Mai gehen die Kranken wieder dorthin. Das bleibt uns später noch vorbehalten.

Wenn ich Susanna sicher untergebracht habe und sie verlassen kann, bleibt Sophie bei ihr zurück, währende Marie hier den Haushalt leitet. Georg wird im März zum Examen nach München einberufen werden; die Bedingungen sind sehr erleichtert worden, doch wird es immer noch hart gehen, daß er sie erfüllt: an Fleiß läßt er es nicht fehlen.

Susanna hat Euch vor einigen Tagen das Bild der seligen Mutter geschickt und läßt Euch grüßen.

Ob ich nach Berlin kommen kann, wird sich später finden; ich habe an Waitz geschrieben, daß die Sitzungen2 erst auf die zweite Woche des April möchten anberaumt werden.

In treuer Liebe
Dein Bruder Karl.