Meine Marie, die Frau Landräthin von Waldenburg ist zur Freude des ganzen Kreises am frühen Morgen des Ostersonnabend, den 31sten vorigen Monats von einem Mägdlein leicht und glücklich entbunden worden, und wir preisen Gottes Gnade, der sie bis dahin behütet hat. Rudolf schreibt sehr glüklich, und nach der letzten gestern eingegangenen Nachricht war die liebe Wöchnerin den Umständen nach wohl und fieberfrei. Wenn der weitere Verlauf sich frei von Sorgen und häuslichen Nöthen erhält, wird auch meine Frau ruhig zu Hause bleiben.
Nach Deinem letzten Brief1 von Kaisers Geburtstag2 hatte sich leider das Befinden der lieben Susanne nicht gebessert, und es erfüllen uns diese Nachrichten mit herzlicher Sorge und Theilnahme. Das sehr wechselnde und oft recht rauhe Frühlingswetter ist auch für solche Leiden keinesweges günstig; es giebt überall Erkältungen und Fieber. Zu Ostern3 werdet Ihr durch den Besuch der Kinder aus München erfreut worden sein, und es mag dies auch der lieben kranken Mutter zur Erfrischung und Herzensstärkung gedient haben. Dagegen thut es mir für sie und für Dich, so wie für Dein ganzes Haus herzlich leid, daß die Hoffnungen von Georg wieder getäuscht worden sind. Es ist dies eine schwere Geduldsprobe; möchte er nur nicht auch selbst den Muth und ernsten ausdauernden Eifer verlieren. Die Eltern dürfen niemals an ihrem Kinde verzweifeln.
Wir erwarten nun von Dir Nachricht, ob und wann Du zu den Sitzungen der Monumenta Germaniae Historica Kommission herkommen wirst. Wir würden uns sehr freuen, wenn Du dies würdest möglich machen können.
Ueber meine Pensionirung wird viel geredet und geschrieben; ich empfange zahlreiche Adreßen von Pastoren, bemühe mich aber eine größere Agitation zu vermeiden, um so mehr als ich noch im Amte bin und der Kaiser noch nicht mein Gesuch genehmigt hat. Dies dürfte sich auch noch lange hinziehen; denn der Kaiser hat von Alters her zu mir gutes, und zu dem Evangelischen Ober-Kirchenrath schlechtes Vertrauen, und will mich aus dem Amte nicht laßen. Auch werden von wohlgesinnten Männern bei ihm viel Anstrengungen gemacht, ihn in diesem Vorhaben zu bestärken, obwohl ich dagegen, wo ich kann, vorstellig werde mit der Versicherung, daß meine amtliche Stellung schon jetzt nicht haltbar sei und sich nach aller Voraussicht nur noch verschlechtern werde und ich außer dem Amte als freier Mann der Kirche beßere Dienste werde leisten können, als jetzt in dem Amt. Ich muß nun den weiteren Verlauf ruhig abwarten; wenn der Kaiser persönlich von mir mein Bleiben fordern sollte, da würde ich freilich sehr ins Gedränge kommen; ich könnte mich diesem landesherrlichen Gebot aber nur mit großer Resignation fügen. Präsident Herrmann erkennt auch selbst den großen Fehler, den er gemacht hat und läßt mir die freundlichsten Versicherungen zugehen. Nach dem offenkundigen Bruch kann ich aber einen verständigen Ausgleich nicht wohl für möglich halten. Jedenfalls werde ich noch bis zum Herbst im Amt bleiben, und für den Fall dieser Verzögerung habe ich dann Minister Falk bei einem Besuch vor 10 Tagen den Wunsch ausgesprochen, daß ich zum 1sten November pensionirt werden möchte; ich werde dann 41 Dienstjahre vollendet haben, und für das letzte Jahr noch 50 Reichstaler = 150 Mark mehr Pension erhalten. Falk hat mir dies auch freundlichst zugesagt.
Die Welt ist heute durch die Nachricht von Bismarks Ausscheiden4 bewegt; gewiß eine gewaltige Veränderung und das Deutsche Reich wird damit wohl in ein Prüfungsjahr eintreten. Es sind alle Zustände so in Unruhe und Gährung, daß man das Gefühl des Herannahens einer Katastrophe haben kann. Die Rückstände einer noch nicht überwundenen Uebergangsperiode, die Künstlichkeit der modernen Staatsmaschine, bei welcher nur eine feste Hand starke Reibungen überwinden kann, und endlich der verhängnisvolle Kulturkampf liefern einen überreichen Stoff zur Gährung und schweren Kämpfen. Doch bleibt bei Allem die Zuversicht bestehen: „Wer Gott vertraut, hat wohl gebaut im Himmel und auf Erden.“5
Klara und die Kinder senden viele herzliche Grüße: mit Clärchens Befinden geht es bei sehr regelmäßiger und vorsichtiger Lebensweise auch wieder besser.
Der Herr sei mit Dir und behüte gnädig die liebe Kranke und Dein Haus!