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Karl Hegel an Immanuel Hegel, Erlangen, 8. Mai 1877

Lieber Manuel!

Dein inhaltsreicher letzter Brief1 hat mir große Freude gemacht. Eine Audienz bei dem Kaiser und eine so eingehende und offene Unterhaltung über die wichtigsten Angelegenheiten, die Dich beschäftigen – Besseres konntest Du selbst Dir nicht wünschen. Wie human und liebenswürdig hat sich doch der treffliche Herr dabei benommen! man fühlt es ihm an, wie schwer ihm die Entscheidung in diesen verworrenen Dingen fällt, und doch muß sie getroffen sein! am liebsten vermuthlich durch ein Auskunftsmittel, welches die Personen schont, in der Sache aber schwerlich weiter hilft. Ich freue mich, daß Du dem Ausgang mit großem Gleichmuth entgegen siehst, und an persönlicher Genugthuung wird es Dir, wie es auch sein möge, gewiß nicht fehlen. Dein Abgang wird ein sehr ehrenvoller sein.

Von Deiner Tochter Marie sind Gottlob weiter gute Nachrichten eingegangen und wenn ihre Genesung seitdem ungestört fortgeschritten ist, so wird nun wohl auch Deine Clara wieder zurückgekehrt sein und wie sonst im Hause walten.

Mit meiner lieben Susanna geht es recht langsam, doch wie ich hoffe zum Besseren voran. Das Fieber hat längst aufgehört, der Appetit ist besser, der Husten geringer geworden; nur die Athemnoth und die Schwäche sind immer noch groß. Nur des Nachmittags ist sie gewöhnlich einige Stunden außer Bett; der Genuß der stärkenden frischen Luft blieb ihr bei dem fortdauernd kalten Wetter bis heute versagt; erst heute ist seit lange ein milder Frühlingstag eingetreten und die Nachmittagsstunden wurden von der lieben Kranken in meinem Zimmer am offenen Fenster mit dem Blick auf das frische Grün zugebracht. Es wird ja doch nun endlich einmal der wirkliche Frühling kommen.

Unser Altstädter Berg prangt bereits im weißen Schmuck der Kirschenblüte. Prof. Rosenthal hat sich dort die schöne Enke’sche Villa2 gekauft und ist bereits hinaufgezogen.

Lommels haben ihre alte nicht sehr freundliche Wohnung mit einer viel angenehmeren und geräumigeren, zu der auch ein kleiner Garten gehört, noch etwas mehr in unserer Nähe vertauscht. Die ganze Familie ist wohl und vergnügt: die beiden Knaben und das kleine Mädchen strahlen in frischer Gesundheit.

Auch von Anna aus München sind gute Nachrichten da; sie schreibt mit Entzücken von ihrem kleinen Otto, der seit kurzem von der Dachauer Amme, nicht ohne Schwierigkeit, entwöhnt wurde.

Der Kriegsdonner an der Donau schweigt noch für uns; bald sind die großen Schläge oder wenigstens der große Lärm derselben zu erwarten. Ich rechne sicher darauf, daß weder Österreich noch Deutschland werden hineingezogen werden. Rußland geht nicht so weit!

An die liebe Clara, Willi und Clärchen meine besten Grüße. Auch Susanna grüßt herzlich aus ihrem Bett.

Treulich
Dein Bruder Karl.