Ich habe lange gezögert, an Dich zu schreiben, weil ich immer eine Entscheidung in meiner persönlichen Lage erwartete und Dir davon Nachricht geben wollte. Doch ist nun die Wiederkehr Deines Geburtstages1 herangekommen und es mahnt mich dies zum Briefschreiben, ebenso wie das recht dringende Verlangen, über das Befinden der lieben Susanna von Dir Nachricht zu erhalten. Wir richten oft im Geiste diese sorgenvolle Frage um Nachricht an Euch, und möchten erfahren, ob die liebe Kranke die rauhe Zeit dieses Frühjahrs ohne Nachtheile überstanden, und ob jetzt die warmen Tage ihr zur Erquickung dienen und sie so weit kräftigen, daß an die gehoffte Reise in die Alpen gedacht werden kann. Möchte die Feier Deines Geburtstags durch eine freudige Hoffnung in dieser schweren Sorge erhöht werden! Wir vereinigen unsere herzlichen Wünsche mit denen der Deinigen und bitten Gott, daß Er Dich und Dein Haus in Deinem neuen Lebensjahr gnädig bewahren möge!
Meine Pensionierung beschäftigt lebhaft die Zeitungen und versetzt die Welt in einige Spannung. Seit meiner Audienz beim Kaiser2 habe ich nichts Näheres erfahren; die Zeitungsartikel laßen nur erkennen, daß der Kaiser von der anderen Seite sehr bedrängt wird, sich aber bis jetzt noch sträubt. Je länger es aber dauert, desto wahrscheinlicher wird es, daß er schließlich nachgiebt, um einem ernsteren Konflikt mit seinen höchsten Behörden aus dem Wege zu gehen. Er hat sich gewöhnt, seine persönlichen Wünsche ihnen unterzuordnen, und dies ist ihm, besonders in seinem Alter auch gar nicht zu verdenken. Wenn er es verlangt, werde ich getrost in meinem Amt ausharren, so sauer es mir auch wird. Ich muß es aber als eine Pflicht gegen die Kirche und gegen die gläubigen Glieder derselben betrachten, welche mir diesen Wunsch in zahlreichen Adreßen aus unserer Provinz und anderen Gegenden, oft recht bewegend ausgesprochen haben. Sie klammern sich in ihrer Noth an das Vertrauen zu einer Person, die ihnen doch sehr wenig Schutz und Hülfe gewähren kann. Das Kirchenregiment schwimmt auf dem Thron des Liberalismus und muß ihm die Führung des Steuerruders überlaßen. Die Wasserfluhten schwemmen von der Ladung des Kirchenschiffs ein Stük nach dem anderen herunter, bis zuletzt das Schiff selbst als ein Spiel der Wellen an den Klippen oder Sandbänken zerschellt. Unter diesen Umständen ist es eine traurige und trostlose Lage, selbst in dem Kirchenregiment zu sitzen. Ich werde es daher, wenn ich herauskomme, als eine Erlösung betrachten, und hoffe in dem kurzen Rest meines Lebens für die Kirche nützlich und mit Befriedigung in freier Thätigkeit arbeiten zu können. Es giebt in unserer Kirche viele treffliche geistliche Kräfte, aber wenig Männer, welche mit den Formen und Verhältnißen der Welt und des Staats vertraut sind, auch die Verwaltung verstehen und den gebotenen Kampf um das Dasein der Kirche mit Geschick und den nöthigen Waffen führen zu können. Bei der Ungewißheit in meiner gegenwärtigen Lage kann ich jedoch bestimmte Pläne für die Zukunft nicht fassen; ich bin nicht einmal im Stande, mir auszudenken, was ich in diesem Sommer zu meiner Erholung unternehmen möchte. Es ist mir eine Ausspannung und eine Kräftigung für meine Nerven ein dringendes Bedürfniß; ich hatte daher wieder an Johannisbad gedacht, um so mehr als ich dann auf der Hin- oder Rückreise wieder meine Kinder in Waldenburg besuchen könnte; so muß ich aber auch diese Frage in der Schwebe halten. Es wird auch für mich daher schwierig sein, mich jetzt von meinem Amte los zu machen. Die neue Organisation der ganzen Kirchenverwaltung, insbesondere der Konsistorien, welchen die äußere Kirchenverwaltung von den Regierungen übertragen werden soll, ist in der vollen Vorbereitung und soll bis zum 1sten Oktober vollständig ins Leben treten. In Berlin wird eine vereinigte Stadtsynode gebildet, welche Kirchensteuer einführen soll, um der dringenden Noth der Geistlichen und der Kirchenkasten, welche keine Gebühren von Taufen und Trauungen mehr erhalten, abzuhelfen. Ferner soll ich zwei Juristen ausfindig machen, welche Neigung und Fähigkeit haben, als Aßeßoren mit einem miserablen Gehalt in mein Konsistorium einzutreten.
Clara hat vor einiger Zeit an Susanna geschrieben und wird ihr erzählt haben, daß sie meine Marie in Waldenburg in erfreulich fortschreitender Genesung verlaßen hat, und daß auch Willi, dessen Erkrankung an einem schleichenden Fieber ihre Rückkehr beschleunigte, völlig wiederhergestellt ist. So ist dann das Haus und Familie, Gott sei Dank, wieder in guter Ordnung, und der stille Gang wird nur durch den Besuch der durchreisenden Verwandten unterbrochen; kürzlich reiste Pauline mit ihren Kindern aus Lautensee nach Kreuznach; morgen erwarten wir Ella mit der kleinen Ellis aus Marienwerder, welche ihre Geschwister von Arnim3 in der Ukermark besuchen will. Unter den Freunden plant auch Jeder seine Sommerfrische und bald wird es in Berlin stille werden. Möchte es auch der lieben Susanne und Dir vergönnt sein, in frischer Gebirgsluft Genesung und Stärkung zu suchen!
Die herzlichsten Glückwünsche und Grüße von Clara und meinen Kindern Dir, der lieben Susanne und Deinen Kindern.