Du wirst gewiß schon durch die Zeitungen von der Entscheidung des Kaisers auf mein Pensionierungsgesuch Kenntniß erhalten haben; doch will ich nicht unterlaßen, Dir auch noch eine Abschrift davon zu übersenden.1 Durch die Länge der Zeit, in der meine Personalfrage schwebte, durch die eifrige unabläßige Besprechung derselben in den liberalen Blättern hat sie eine ungewöhnliche Bedeutung gewonnen, und alle Welt sah ihrer Lösung mit Spannung entgegen, ich vielleicht am ruhigsten, weil ich bereit war, mich nach jeder Entscheidung zurechtzufinden; ich hatte sie in die Hände meines Gottes gelegt. Wenn ich die Entlassung aus dem Amte als eine Erlösung betrachten konnte, so mußten dagegen die dringenden Wünsche meiner Freunde, die zahlreichen Adreßen und Zuschriften von nahe und ferne mir die Pflicht auflegen, das Amt, wenn es geboten war, mit Hingebung und Pflichttreue fortzuführen. Das Letztere hat nun der Kaiser entschieden in einer erhebenden, großartigen Weise, die weit über meine schwache Person hinausreicht. Er hat lange gezögert; es wurde ihm schwer, dem Drängen seiner höchsten Räthe Widerstand zu leisten. Da kamen die jüngsten Vorgänge in Berlin, die ihn tief erregten, und in seinem Gewißen vor Gott und seinem Volk hat er sich zu der königlichen That selbstständiger Entscheidung hindurchgerungen. Der Erlaß ist von ihm selbst gemacht, aus seinen eigensten Worten hervorgegangen, und mir auch nicht durch das Geheime Civilkabinet, sondern von ihm selbst persönlich gesiegelt, am Donnerstag2 Nachmittag zugefertigt. Der Herr möge weiter gnädig durchhelfen!
Am folgenden Tage besuchte ich Präsident Herrmann, um wenigstens äußerlich einen nothwendigen modus vivendi herzustellen. Wir begrüßten uns mit gegenseitigen Achtungsbezeugungen und Erklärungen über unsere Standpunkte unter diskreter Vermeidung von neuen Konflikten. Es ist und bleibt eine schwierige Lage und übergroße Last, die mir von Neuem aufgelegt ist. Der Herr möge mir Kraft geben, darin zu Seines Namens Ehre zu bestehen. Die Schwäche des zunehmenden Alters macht sich immer mehr fühlbar, und es ist mir eine Erholung und Stärkung in diesem Sommer dringend nöthig. Die Kinder in Waldenburg haben uns aufgefordert, mit ihnen in Gerbersdorf, einem in einem lieblichen Thal zwei Stunden von ihrem Wohnort und in ihrem Kreise gelegenen Kurort, einen Aufenthalt zu nehmen. Ich habe diesen Plan mit Freuden ergriffen, da mir vor Allem Stille und Ruhe nöthig ist. Zwar steht in nächster Zeit in meinem Amt – Hossbach, Rohde, Umgestaltung des Konsistoriums etc. – so viel bevor, daß ich noch nicht recht einsehen kann, wann ich mich werde losmachen können.
Ich habe Dir zunächst so viel von mir erzählt, weil Du erwarten durftest, nicht bloß durch die Zeitungen von meinem Geschick unterrichtet zu werden, und auch hierauf habe ich bei zahlreichen Besuchen und Ansprachen erst heute Nachmittag etwas Zeit gefunden. Doch nicht minder drängt es mich Dir auf die dargestellten und schmerzlichen Nachrichten, die auch Dein letzter Brief3 über das Befinden der lieben Susanne enthält, unsere innigste Theilnahme auszusprechen. Die große Schwäche und das ungebrochene Leiden muß freilich die höchste Besorgniß erregen und wir fühlen mit Dir die schwere Heimsuchung, die der Herr Dir und den Deinigen aufgelegt hat. Möchten die schönen Sommertage der lieben Kranken in frischer Luft Erleichterung und Erquikung gewähren. Bringe ihr unsere herzlichen Grüße und Segenswünsche, insbesondere auch von meiner Frau. Der Herr sei mit Euch!
Abschrift der Entscheidung König Wilhelms I. von Preußen vom 12. Juni 1877 über das Entlassungsgesuch Immanuel Hegels vom 23. Februar 1877, adressiert: An den Präsidenten des Konsistoriums der Provinz Brandenburg Hegel zu Berlin
Auf das Immediatschreiben vom 23 Februar cr.4 gebe ich Ihnen Folgendes zu erkennen:
Als Ich nach Erlaß der Generalsynodal Ordnung den Vorstand der Generalsynode empfing, habe Ich Mich vor demselben mit den Worten: „Vor allem kommt es darauf an, daß die Kirche auf dem rechten Grunde stehen bleibt, auf dem Grunde des Apostolischen Glaubensbekenntnisses; Ich stehe auf diesem Grunde, auf dem Glauben, auf welchen Ich getauft und konfirmirt bin, und nichts kann Mich bewegen, davon abzuweichen; werden Mir hingegen Einwürfe gemacht, so werde Ich sie jederzeit zurückweisen“, öffentlich und nachdrücklich zum Apostolicum bekannt, auf welches nicht allein Ich für meine Person, sondern auch die Vorfahren und Angehörigen Meines Hauses Taufe und Konfirmation empfangen haben. In dem Augenblicke, in welchem, wie kürzlich geschehen, bei einer zu den Organen der evangelischen Kirche gehörenden Synodalversammlung der Hauptstadt die Symptome des Unglaubens und der Glaubensfälschung in einem bis zum Antrage auf Beseitigung des Apostolischen Glaubensbekenntnisses gesteigerten Grade auftreten und an der Oeffentlichkeit erscheinen, kann Ich Beamte, deren Festhalten am strengen Glauben bekannt ist, nicht entlassen, ohne in den Begriffen Meines Volkes Verwirrung zu erzeugen. Aus diesem Grunde weise Ich Ihr Gesuch um Entlassung aus Ihrem Amte hiermit zurück. Ich spreche dabei die Erwartung aus, daß Sie das Vertrauen, welches Ich Ihnen durch diese Entscheidung beweise, durch treue Befolgung der von Mir für die evangelische Kirche gegebenen Gesetze rechtfertigen und Sich der höheren Entscheidung auch dann fügen werden, wenn Ihre abweichende Ansicht, die auszusprechen Ihnen gleich jedem Staatsbürger unbenommen ist, nicht berücksichtigt werden könnte.