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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 15. September 1877

Lieber Karl!

Seit 14 Tagen nach Berlin zurückgekehrt, bin ich in ungewöhnlichem Maaße von Geschäften und Arbeiten bedrängt, bei welchen es mir schwer wird durchzukommen, so daß ich auch zum Briefschreiben kaum Zeit und Ruhe erübrigen kann. Von unserem Aufenthalt in Görbersdorf und Johannisbad haben wir Euch Nachricht gegeben1; es war an beiden Orten sehr befriedigend und ich hoffe, daß die Muße, schöne Luft und das erquikliche Bad mir zur Stärkung für den Winter gedient haben. Ich habe das auch sehr nöthig, denn die Ansprüche im Amt und in den kirchlichen Bewegungen, werden immer größer und die Arbeitskraft mit dem Alter immer geringer; sie erlahmt leicht bei ungewöhnlicher Anspannung an der Erschöpfung. Doch so lange der Strick nicht reißt, muß er ziehen. Am 1sten October wird die äußere Kirchenverwaltung von den Regierungen auf das Konsistorium übergehen; es ist dies eine wichtige Veränderung und bringt uns eine bedeutende Vermehrung der Geschäfte. Es sind mir zwar dazu zwei Konsistorial-Aßeßoren zugewiesen; diese Hülfe wird aber schwerlich ausreichen. – Am 27sten dieses Monats wird die Plenarsitzung des Konsistoriums unter Zuziehung des Provinzialsynodal-Vorstandes zur Beschlußfassung über die Wahl des Predigers Hossbach zum Pfarramt an St. Jacobi statt finden. Ich hoffe eine günstige, d. h. eine verurtheilende Entscheidung; das Gegentheil würde zum Bruch der Landeskirche führen; jedenfalls giebt es stürmische Aufregung. Das Kirchenschiff schwankt unter der unsicheren Leitung des Ober-Kirchenraths und die Excellenz bringt dem guten Präsidenten Herrmann weder Verstand, noch Geld, noch Kraft und Autorität. Die Gegensätze verschärfen sich zum Kampf über Sein und Nichtsein, und es scheint überhaupt in Staat und Kirche eine stürmische Zeit bevorzustehen.

Wir haben uns gefreut, daß Du Dir nach der ermüdenden Prüfungsarbeit in Würzburg noch einen erfrischenden Ausflug nach Brückenau hast machen können.2 Aber freilich begleitete Dich überall die Sorge um die liebe Susanne und wir fürchten, daß auch die in Aussicht genommene Uebersiedlung ins Gebirge für sie nicht ausführbar gewesen ist. Es ist wohl dabei große Vorsicht nothwendig, und für Schwerkranke kann an Bequemlichkeit und Pflege nirgends beßer gesorgt werden, als im eigenen Hause. Wir wünschen herzlich in Deinem nächsten Brief einige beruhigende Nachricht zu erhalten.

Wir haben uns inzwischen auch in unser Berliner Leben rasch wieder zurecht gefunden. Willi, der den ganzen Sommer über hier in angestrengter Arbeit zugebracht hatte, trat einige Tage nach unserer Rükkehr eine Erholungsreise nach dem Harz für 14 Tage an; er ist vom Wetter sehr begünstigt und schreibt uns vergnügte Wanderberichte.

In den Zeitungen hatte ich mit besonderem Interesse die Mittheilungen von dem Feste des Germanischen Museums in Nürnberg gelesen3; es muß das Fest, namentlich durch die musikalische Ausstattung – Riedel und Renner – sehr gelungen ausgefallen sein und das alte Nürnberg konnte sich in seinem vollen Glanze zeigen.

Meine Frau und Clärchen senden Euch viele herzliche Grüße. Mit den innigsten Wünschen für Euer Wohlergehen

Dein Bruder
Immanuel